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Magmatische Differentiation
ОглавлениеDer Vergleich, den ich oben zwischen dem Erdmantel und Wachs oder Blei gezogen habe, hinkt wie alle Vergleiche. Denn Blei und Wachs schmelzen bei einer gut definierten Temperatur, Peridotit jedoch über ein Temperaturintervall, da er aus mehreren Mineralen unterschiedlicher Zusammensetzung, Struktur und mit unterschiedlichen Schmelzpunkten besteht.
Den gleichen Unterschied im Verhalten erkennt man bei der Abkühlung. Wird flüssiges Wachs auf seine Schmelztemperatur gekühlt, wird es wieder fest. Ein Basaltmagma dagegen ist bei etwa 1200 °C noch ganz flüssig (seine Liquidustemperatur), aber erst bei etwa 1000 °C (seine Solidustemperatur) ganz erstarrt.
Lavasee-Abkühlung und Kristallisation
Die Bildung von unterschiedlichen Mineralphasen bei der Abkühlung eines Basaltmagmas und die stetige oder sprunghafte Änderung der chemischen Zusammensetzung des noch nicht kristallisierten Restmagmas kann man annähernd unter Laborbedingungen bei der Abkühlung von Lavaseen auf dem Kilauea-Vulkan (Hawaii) verfolgen. Diese Lavaseen bilden sich, wenn Lava aus einer Spalte oder aus einem Schlot in ältere, meist rundliche Einsturzkrater (Pitkrater) fließt und diese manchmal bis 100 m tief auffüllt (Abb. 3.8; 3.9). Die Untersuchung von vier derartigen Lavaseen (Kilauea Iki, Makaopuhi, Aloi, Alae) hat unsere Kenntnisse über die physikalischen und chemischen Prozesse bei der Abkühlung eines Magmas erheblich erweitert (z.B. 229; 384). Wenn die Kruste eines derartigen Lavasees verfestigt ist, kann man bis in das flüssige Innere hineinbohren und Proben unterschiedlich stark kristallisierter Schmelze bei vor Ort gemessenen Temperaturen nehmen, diese mikroskopisch und chemisch untersuchen und so die Prozesse bei der Abkühlung eines Magmas rekonstruieren (Abb. 3.10; 3.11).
Abb 3.8: Mauna-Ulu-Lavasee mit etwa 10 m hoher Lavafontäne. Kilauea-Vulkan (Hawaii).
Abb 3.9: Aloi-Pitkrater an der Ostriftzone des Kilauea-Vulkans einen Monat nach der Füllung am 29.12.1969. Die Wände sind etwa 20 m hoch. Die Kruste des ca. 20 m tiefen Lavasees ist schon fest und in einzelne Schollen zerbrochen. Die Volumenabnahme bei der Abkühlung spiegelt sich in der Einsackung des zentralen Teils und der nach innen einfallenden Randbereiche wider. Durchmesser einzelner Schollen etwa 5 m.
Abb 3.10: Schematischer Querschnitt durch den Alae-Lavasee (Ostriftzone, Kilauea-Vulkan, Hawaii). Die Kurven und Zahlen geben die Wanderung der 1000-°C-Isotherme in Tagen nach der Bildung des Lavasees an (nach 230).
Abbildung 3.10 zeigt die Dauer der Abkühlung eines Lavasees vom flüssigen Zustand (Liquidustemperatur) bis zur vollständigen Verfestigung (Solidustemperatur) in einem Querschnitt. Die Wärme eines Lavasees wird an seiner Oberfläche dadurch sehr viel schneller entfernt, daß erwärmte Luft abgestrahlt wird und konvektiv aufsteigt während kalte seitlich angesaugt wird. Im Gesteinsmaterial rings um den Lavasee dagegen wandert die Wärme durch Wärmeleitung nur relativ langsam nach außen. Das Temperaturmaximum liegt also im unteren Drittel eines derartigen Lavasees. Nach etwa 400 Tagen ist der Lavasee erstarrt, d.h., das Temperaturmaximum im unteren Drittel liegt bei ca. 1000 °C.
Kurz unterhalb der Liquidustemperatur (1200°C) beginnt die Mineralphase Olivin zu kristallisieren, in Hawaii oft schon in der langsam abkühlenden Magmakammer. Olivin wird daher als Phänokristall mit der Schmelze eruptiert (Abb. 3.11a, b; 3.12). Da Olivin mit ca. 39 % SiO2, 42 % MgO und 19 % FeO eine andere Zusammensetzung hat als die „Mutterschmelze“, d.h. das Basaltmagma (ca. 50 % SiO2, 8 % MgO, 12 % FeO und viele andere Elemente), verarmt die Schmelze durch die Kristallisation von Olivin und der in ihm häufig eingeschlossenen Chromspinelle an Magnesium sowie den Spurenelementen Nickel (ersetzt Magnesium im Kristallgerüst des Olivin) und Chrom, das im Spinell eingebaut ist, wird aber in den meisten anderen Elementen angereichert. Bei weiter sinkenden Temperaturen bilden sich Ca-Mg-Fe-Silikate (Pyroxene) und Ca-Na-Al-Silikate (Plagioklase), die beiden Hauptminerale des Gesteins Basalt oder seines Tiefenäquivalents, des Gabbros. Bei etwa 1070°C ist die Schmelze zu etwa 50 % auskristallisiert und so eisen- und titanreich geworden, daß sich die im Mikroskop opaken (lichtundurchlässigen) Oxide (Erzphasen) Magnetit und/oder Ilmenit bilden (Abb. 3.11c). Wenn die Schmelze zu etwa 75 % kristallisiert ist, ist der Phosphorgehalt in der Restschmelze so stark angestiegen, daß das häufige Phosphormineral Apatit – auch mit etwas anderer Zusammensetzung Bestandteil unserer Knochen – auskristallisiert (Abb. 3.11).
Abb 3.11: Kristallisationsdiagramm eines hawaiianischen Basaltmagmas, abgeleitet aus Bohrproben des Alae-Lavasees. Mit zunehmender Abkühlung steigen die relativen Volumenprozente der auskristallisierenden Mineralphasen bei sinkenden Anteilen der noch nicht kristallisierten Schmelze, die bei schneller Abschreckung zu Glas erstarren würde. Der Pfeil zeigt die Änderung der chemischen Zusammensetzung der Schmelze von einer initialen basaltischen zu einer hochdifferenzierten rhyolithischen an. Liquidustemperatur: 1200°C; Solidustemperatur: 980°C (nach 229).
Bei der relativ schnellen Abkühlung eines Lavastroms oder eines Lavasees kann die verbleibende Restschmelze (ca. 8 Vol.-% des Ausgangsmaterials) an der Solidustemperatur (1000 °C) zu Glas erstarren. Dieses Glas ist durch die Kristallisation der vorher ausgeschiedenen Mineralphasen Olivin, Pyroxen, Plagioklas, Oxid und Apatit an den Elementen Mg, Fe, Cr, Ni, Ca, Ti und P verarmt, dagegen an den Elementen Si, Al, K, Na und vielen Spurenelementen wie Rb, Y, Zr, Nb, U, Th und Ba angereichert. Dieses Restglas hat eine rhyolithische Zusammensetzung und würde bei langsamerer Abkühlung zu Quarz und Kalifeldspat auskristallisieren; es stellt also die Bildung eines extremen Derivatmagmas dar. Der Mikrokosmos der chemisch-mineralogischen Veränderungen in einem Lavasee zeigt uns also anschaulich, wie in der Natur die ungeheure Vielfalt der magmatischen Gesteine durch Abkühlung und damit einhergehender Differentiation entstehen kann.