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Am 28. November 1913 setzte der neue k.u.k. Gesandte in Bukarest sein erstes Telegramm nach Wien ab, das von der Thronrede des rumänischen Königs berichtete. Pflichtschuldig erging auch Bericht an Budapest. Zwei Tage später erfolgte ausführlich Rapport über die erste Audienz bei Seiner Majestät König Carol I.

Bukarest, 30. November 1913. Ich habe in dieser ersten Audienz, welche über zwei Stunden dauerte, die Taktik verfolgt, Allerhöchstdemselben möglichst wenig zu widersprechen, weil mir vor allem daran liegt, einen möglichst wenig ungünstigen Eindruck hervorzurufen, damit ich jenen permanenten direkten Kontakt erreichen kann, welchen mein Vorgänger in so überaus kluger und geschickter Weise herzustellen verstanden hat. Ich war daher auch sehr erfreut, als Seine Majestät am Ende der langen Audienz ohne Zutun meinerseits die Aufforderung an mich richtete, »mich von keinem der Bukarester Politiker influenzieren zu lassen, sondern mich in allen mir wichtig erscheinenden Fragen direkt an ihn selbst zu wenden«.

Es war nicht nur kluge Taktik, die den Gesandten vor allem zuhören ließ. Des Königs Freude über einen adäquaten Gesprächspartner zeigte sich vor allem darin, dass er vom einmal ergriffenen Wort ungern wieder ließ. Da blieb Czernin viel Zeit, sich den Erzähler genau anzusehen, dem er im oberflächlich frischen Prunk des Bukarester Schlosses gegenübersaß. Er trug die Uniform eines Generals, eleganter französischer Schnitt, die Großmütter waren beide Französinnen gewesen. Am Kragen glänzte der höchste preußische Orden Pour le mérite. Der Kopf war nicht ganz so imposant, aber dafür einnehmender, als Czernin es aufgrund der bekannten Bilder erwartet hatte. Die Enden eines ondulierten Schnurrbarts überlagerten die am Kinn spitz zulaufende Fläche eines gepflegten Vollbarts. Man sah, hier wurde einiger Aufwand betrieben, um der Erscheinung jene Würde zu verleihen, die sie am Ende ausstrahlte.

Im politischen Teil der Audienz drehte sich das Gespräch, wenn man es denn so nennen wollte, vor allem um den Streit um Siebenbürgen und um die serbische Frage. Beides sei ja »kriegsentscheidend«, rutschte es dem Monarchen heraus, der, »O pardon«, im Grunde seines Herzens immer deutscher Offizier blieb. Darüber hinaus hörte der Gesandte Czernin vielerlei Geschichten. Das, stellte er mit leisem Entsetzen fest, war jetzt sein Beruf.

Als König Carol sich unvorsichtig in eine Zäsur geredet hatte, versuchte es Czernin mit einem Räuspern, um wenigstens darauf aufmerksam zu machen, dass er im Raum war. Da sagte Seine Majestät: »Wir müssen noch über unseren Vertrag sprechen.«

Czernin war perplex, aber auch verärgert angesichts der Überrumpelung. Er war sich sicher, dass der König dieses Ass die ganze Zeit über im Ärmel gelassen hatte, um es in einem Moment anekdotischer Dürre auszuspielen.

»Wissen Sie eigentlich, Exzellenz, wie geheim dieser Vertrag hier ist?«

Czernin, auf den rhetorischen Status derartiger Fragen eingestellt, deutete ein Kopfschütteln an.

»Haha«, machte da der König in der fröhlichen Aussicht, den Gesandten darüber aufzuklären. »Sehr geheim, Graf Czernin. Davon, dass es einen Vertrag zwischen Rumänien und Österreich-Ungarn gibt, wissen außer mir nur der Ministerpräsident und der Außenminister. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen. Wir haben hier so häufige Regierungswechsel, dass das auch schon eine stattliche Zahl ist. Da haben Sie ja auch recht. Aber die müssen schwören, dass sie es für sich behalten. Es ist bekannt, dass die Ministerpräsidenten immer ganz gebügelt aus ihrer ersten Audienz beim König marschiert kommen. Was meinen Sie, was da für Geschichten kursieren, warum das so ist.«

Der König sah die Fassungslosigkeit im erbleichenden Gesicht seines Gegenübers und reagierte flexibel.

»Bei Gelegenheit, Exzellenz. Köstlich, sage ich Ihnen, ganz köstlich. Aber der wahre Grund, warum die so platt sind, sind Sie, lieber Graf Czernin, unser geheimer Verbündeter Österreich-Ungarn.« Der König wurde leiser. »Und wissen Sie, was das Beste ist? Reden dürfen sie darüber nur mit mir. So erfahre ich viel mehr von meinen Ministerpräsidenten, als ich sonst je hören würde. Und da bin ich Österreich-Ungarn immer schon herzlich verbunden, ohne dass der casus foederis bislang eingetreten wäre. Und Gott möge verhüten, dass es dazu kommt.«

Jetzt! Das wäre der Moment gewesen, schnell und direkt zu fragen, wie es um die Sache stand. Die Gelegenheit ergab sich so unerwartet, dass Czernin, Todsünde eines Diplomaten, einen Moment zu lang zögerte, zu viel Zeit brauchte, um zu seiner vom gelangweilten Zuhören erschlafften Spannkraft zurückzufinden. Da hatte der König längst wieder Fahrt aufgenommen.

Wut auf sich selbst gehörte zu den spitzesten Nadeln, mit denen sich Czernins Nerven malträtieren ließen. Er hasste sich für sein stümperhaftes Versagen. Er hätte es schaffen können. Auftrag erfüllt nach neunzig Minuten. Das war die Art von Meldung, die er und die Geschichte von ihm erwarteten. Und er verpasste seinen Einsatz, weil er gelangweilt war und nicht schnell genug zurück auf dem Quivive. Er war, gleich im ersten Gespräch, Opfer seiner Ungeduld geworden. Er verschränkte die Hände, drückte fest mit allen Fingern zu. Die Knöchel traten weiß unter der Haut hervor. König Carol hielt es für Konzentration.

»Haben Sie Bratianu schon getroffen?«, fragte der König. Gerade war der Liberale Ion Bratianu im Begriff, die Regierung des Konservativen Titu Liviu Maiorescu zu stürzen. Seine Majestät war überzeugt, dass Maiorescu ihm noch vor dem hiesigen, also dem orthodoxen Jahreswechsel sein Demissionsgesuch überreichen werde. Czernin kniff die Augen zusammen, hob die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie sich vor ihm in Acht. Vor allen, aber vor ihm besonders. Versprechen Sie mir das.«

Niedergeschlagen verließ der Gesandte das Schloss.

Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen

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