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Es gab viel zu tun in Bukarest. Neben Gesprächen, die zu führen, Berichten, die zu verfassen waren, musste das Personal der Gesandtschaft auf Vordermann gebracht werden. Und Czernin machte einen zweitägigen Abstecher nach Sinaia, einem beschaulichen Ort in den südlichen Karpaten, oberhalb dessen König Carol seine Sommerresidenz Schloss Peles hatte errichten lassen. Es war ein Bauwerk, wie es dreißig Jahre zuvor modern gewesen war, hundertsechzig Zimmer, Türme, Balkons und viel Fachwerk. In den Sommermonaten zog der Hof hier heraus, gefolgt vom diplomatischen Corps. Von seinem Vorgänger übernahm Czernin das hübsche Haus, das er wohlwollend inspiziert hatte, um sich nicht nach einer anderen Immobilie umsehen zu müssen. Es handelte sich um eine der stilistischen Vorgabe der königlichen Residenz artig nacheifernde Villa mit turmartigem Erker an der Eingangsfront. Überdachte Balkons zur Straße wie zum Garten hin und braunes Fachwerk lockerten die Fassade auf. Czernin gab sich Mühe, das kleine Anwesen mit Maries Augen zu betrachten. Kinderseelen dagegen hielt er für entschieden zu bestechlich, um sie in Immobilienfragen zu berücksichtigen. Es gab einen Garten mit einer Laube, einer großen Wiese und einem wahrscheinlich schönen Blick auf die Berge, der allerdings von feuchten Nebeln verhangen war. Es war nicht die Villa am See, und die Aussicht würde nicht so prachtvoll sein wie die aufs Tote Gebirge und den Elefanten, aber es war eine passable Lösung. Selbst ein Gutteil des Mobiliars ließ sich übernehmen. Die Einrichtung war sommerlich, viel weiß lackiertes Holz, helle Tapeten mit unauffälligen Mustern und leichte Teppiche, während die Residenzwohnung in Bukarest mit schweren Fauteuils und Kanapees, dunklen Schreibtischen und dichten Volants möbliert wurde.

Zurückgekehrt aus den Karpaten, setzte Czernin die Serie der Antrittsbesuche fort. Für diesen Abend hatte der Österreichisch-Ungarische Klub geladen. Czernin eilte der Ruf voraus, ein verführerischer Redner zu sein. Überhaupt sprach man allenthalben von seiner überwältigenden Ausstrahlung. Man begrüßte, sofern man Deutschösterreicher war, seine Einstellung gegenüber Ungarn. Und es hieß, er habe nichts gelernt, keine Schule besucht, nie eine Prüfung gemacht, nicht einmal die Diplomatenprüfung. Letzteres allerdings galt als derart unwahrscheinlich, dass man auch alles andere ins neidgesäumte Reich der Nachrede verwies.

Czernin zwang sein Gesicht zu einer Art Lächeln. Er war spät dran gewesen. Der Zug aus Sinaia hatte Verspätung gehabt. Im Wagen hatte er die Rede überflogen. Es war nicht nur das übliche Gewäsch, sondern auch noch besonders lieblos zusammengestümmelt. Die Tage des Burschen, der das verzapft hat, sind gezählt, dachte Czernin, als er aus dem Wagenfenster in schummrig beleuchtete Straßen sah. Die Mitglieder des Empfangskomitees waren ganz eingeschüchtert von der Energie, mit der der Gesandte, noch voller Ärger, beinahe an ihnen vorbeigestürmt wäre.

Erstaunlich viele Menschen schoben sich durch die protzig überladenen Säle, nicht nur Herren. In Wien, dachte Czernin, wären nie so viele Damen auf einer so öden Veranstaltung. Hier galt offenbar einer wie er schon als Sehenswürdigkeit. Er betrat das kleine Podium und zog das Redemanuskript aus der Tasche. Irgendwie würde er sich daran entlanghangeln müssen. Er wollte gerade ansetzen, suchte im Auditorium nach einem Augenpaar, das ihm nach gewohnter Manier beim rhetorischen Aufschwung helfen sollte, da erwischte er unter den Gesichtern, grinsend, das Bürschlein, das den Text verbrochen hatte. Es war der Ärger gegenüber einem unbotmäßigen Kind, der den Gesandten durchschwemmte. Eine Ohrfeige, das wäre es jetzt gewesen. Er hüstelte, die Augen suchten nach einem anderen Gegenüber, das er stellvertretend für den Saal verführen konnte. Nicht nur die Augen, auch der Mund des Redners oder besser des Mannes, der eigentlich längst hätte begonnen haben sollen zu reden, standen weit offen, während sich sein Blick in die strahlend hellgrauen Augen verlor, derweil Hunderte von Augenpaaren auf ihn geheftet blieben.

Es war, als habe sie, nur für ihn, in poetischer Anspielung an ihre erste Begegnung die Farben vertauscht. Die Nähte des tiefblutroten, hochgeschlossen Kleides waren anthrazitfarben abgesetzt, ebenso dunkel der Kragen. Über dem vielen Rot tiefschwarz das volle Haar in seinem seidigen Glanz. Dazwischen leuchtete das Gesicht, in dem alle Vornehmheit der Welt bereit war, jederzeit schamlos in Sinnlichkeit umzuschlagen.

»Benötigen Exzellenz ein Glas Wasser? Wasser für Seine Exzellenz!«

Der Gesandte zerknüllte gerade sein Redemanuskript und stierte mit offenem Mund in die Menge. Man brachte ein Glas. Der Schluck kalten Wassers half. Die Hitzigkeit von Czernins Gemüt folgte den Gesetzen simpler Kartenspiele. Eine Karte bestimmte das Ganze, bis eine andere sie stach. So war er von genervter Hetze in Ärger verfallen, vom Ärger in Langeweile, von der Langeweile zurück in den Ärger und jetzt in diesen Zustand eines gewissen Aufruhrs der Triebe, dem er lieber keinen Namen geben wollte. Ein Schluck Wasser gegen diese grauen Augen.

»Meine hochgeehrten Herren«, konnte er jetzt einigermaßen fest vorbringen, wobei er weiter in die Augen schaute. Die schauten, lachend, zurück. »Gestatten Sie mir, Ihnen zunächst für den überaus freundlichen Empfang zu danken und den Wunsch auszusprechen …« Bei dem Wort Wunsch legte sie den Kopf schief, als wolle sie fragen, was da wohl zu erwarten sei. »… dass mein Verhältnis …« Er stockte, räusperte sich, setzte wieder an: »… mein Verhältnis …« Sie lachte. »… zu der Kolonie stets ein inniges bleibe.« Nur weiter, schnell weiter, irgendetwas. »Ein jeder, der wie ich zum ersten Mal …« Es gelang ihm einfach nicht, den Blick von den grauen Augen zu lösen. Und ihr schien es diebisches Vergnügen zu bereiten, es ihm schwer zu machen. »Ein jeder, der wie ich zum ersten Mal …« Da tuschelten die Ersten. Das sollte das faszinierende Rednertalent sein? Raunend begann Unruhe, sich in den Sälen auszubreiten. »… zum ersten Mal …« Das Haus. Das Haus als Metapher für das, worum es geht. Das funktioniert immer. »… das Haus …« Sie lachte. Er sah die weißen Zähne und das rosa Fleisch zwischen den roten Lippen. Das war frech. Den Anflug von Ärger vermochte er geschickt umzuleiten. Er riss sich los, sah an ihr vorbei auf den Marmorkamin, der sich hinter ihr auftürmte, darüber ein großer, golden gefasster Kristallspiegel in dem er immerhin nur noch das Abbild ihres Rückens sehen musste. Besser als die Augen. »… dieses schöne Gebäude betritt, wird wohl gleich mir … unter dem Eindruck … stehen, welch prachtvolles Werk Sie, meine Herren, hier in so kurzer Zeit aus eigener Kraft geschaffen haben.« Er hatte die Kurve gekriegt. Versiert glitt er, etwas weich in den Knien, weiter. »Und wird die Energie bewundern, mit der Sie Ihre Sache gefördert haben.«

Auch das Publikum schien erleichtert, dass da einer wenigstens flüssig sprach.

»In diesem Gebäude ist eine große politische Idee verkörpert, eine politische Idee von großer Tragweite: die Lehre, die wir alle beherzigen sollten in unserem gemeinsamen Vaterland, die Lehre von der gemeinsamen friedlichen nationalen Arbeit.« Und so weiter und so weiter. Czernin langweilte sich selbst bei dem, was er da sagte. Aber er war froh, dass er es sagen konnte. »Dieses schöne Haus steht nunmehr unter dem Schutz der beiden so innig befreundeten Monarchen.« Er knüllte die Blätter endgültig zusammen. »Es steht vor allem unter dem Schutz des edlen weisen Monarchen, der über dieses schöne Land herrscht, der nach schweren Zeiten böser Krisen die größten Triumphe seiner staatsmännischen Weisheit gefeiert hat, unter dem brausenden Enthusiasmus seiner ganzen Völker, unter der neidlosen aufrichtigen ehrlichsten Bewunderung unsrer ganzen Monarchie.« Und der Gesandte brachte ein dreimaliges Hoch auf König Carol aus. Da traute er sich, noch einmal hinzusehen, nicht zu den Augen, nur zum Rücken im goldenen Rahmen. Aber der Spiegel war leer.

Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen

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