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Frühling in Wien. Gab es etwas Schöneres, als dabei zu sein, wenn die Stadt ihr Innerstes nach den letzten Zuckungen der Wintersaison nach außen kehrte, um dann an einem nicht vorherzusehenden Tag im Mai in voller Pracht wieder ganz sie selbst zu sein? Maritschy und die Kinder kamen mit. Sie hatten alle Sehnsucht nach der Hauptstadt. Und Marie sollte sich von den besten Spezialisten untersuchen lassen. Czernin hatte von ganz neuen Methoden bei der Durchführung von Geburten gehört. Das musste alles geprüft werden für seine kleine Tochter. Man wohnte im Palais Kinsky in der Herrengasse. Mehrmals begegnete Marie auf der Straße ihrem dahineilenden Mann, die prall gefüllte Aktentasche unterm Arm. Sie war erst amüsiert, dann doch erschrocken angesichts der finsteren, gehetzten Gestalt.

Die Stadt stand in flirrender Frühlingsluft. Die Atmosphäre war nervös. Vor drei Wochen hatte Ministerpräsident Graf Stürgkh den Reichsrat vertagt. Er regierte jetzt per Notverordnung, de facto ein autoritäres Regime. Die Presse wurde rigide zensiert. Czernin imponierte das alles. Und er fand es aufregend. Im Innern nagte giftige Anspannung an der Monarchie, außen war sie von Feinden umstellt.

Während die Herren am Ballhausplatz nichts von Unbotmäßigkeit verlauten ließen, wäre jede Hoffnung, die Turbulenzen über dem Belvedere könnten sich verzogen haben, Augenwischerei gewesen. Jemand hatte dem Thronfolger hinterbracht, dass da auf dem Balkan gefährliche Allianzen geschmiedet würden, dass der Graf Czernin und der Graf Tisza jetzt die dicksten Freunde seien. Da schäumte der Erzherzog wieder, wie er nur schäumen konnte, und ließ Czernin unumwunden wissen, was er von so viel Treulosigkeit und Undank hielt. Der fand sich zum zweiten Mal in derselben Falle.

Für gewöhnlich wurde Czernin im Oberen Belvedere empfangen, dem prachtvollen Barockschloss mit seinen üppigen Wandgemälden, das dem Thronfolger als Wohnung diente. Die Militärkanzlei war im sehr viel schlichteren Unteren Schloss untergebracht. Zwischen den Bauten entfaltete sich die berühmte Gartenanlage, mit der Wien hundertfünfzig Jahre zuvor auf Versailles geantwortet hatte. Franz Ferdinand genoss es, am frühen Morgen den zentralen Weg in die Kanzlei hinunterzuschreiten. Dann sah er unter sich Wien liegen, bald seine Hauptstadt, dahinter die Hügel des Wienerwaldes, dann der Horizont.

Es war gezielte Demütigung, dass der Erzherzog den Grafen am Vormittag in die Räume der Militärkanzlei bestellte. Das bedeutete nichts Gutes, war andererseits als Aktion schon so exponiert strafend, dass sich der Disput abkürzen ließ. Franz Ferdinands Ungeduld war denn auch noch größer als sein Ärger. Er brüllte ein wenig, Czernin wand sich ein bisschen. Schon zur Jause sollte Czernin ins Obere Schloss kommen. Gesprochen wurde ausschließlich über Politik. Der k.u.k. Generalstabschef Conrad von Hötzendorf drängte den Kaiser zu einem Präventivkrieg gegen Serbien. Und er war nicht allein. Eine einflussreiche Kriegspartei intrigierte in der Stadt. Auch Graf Berchtold, der Außenminister, gehörte ihr an.

Beim abendlichen Diner im familiären Kreis zu Ehren des Königs von Württemberg, eines Schwagers von Franz Ferdinand, war der Balkan das Thema. Man sprach über die internationale Hetze gegen den Thronfolger. Dessen Pläne für die südslawischen Länder machten ihn den Serben wie auch den Russen zum Erzfeind. Er blieb dabei, dass er den Krieg gegen Serbien nicht wollte. »Nehmen wir sogar den Fall«, sagte er, »dass kein anderer uns stört, wir in aller Ruhe mit Serbien abrechnen. Was hätten wir davon? Nur einen Haufen Diebe und Mörder und Halunken mehr und ein paar Zwetschgenbäume. Also noch mehr Gesindel, den Verlust von so und so viel Soldaten und einige Milliarden Kosten. Der günstigste Fall aber, dass niemand uns behindern würde, ist mehr wie unwahrscheinlich.«

Wenige Wochen später hielt ein bosnischer Serbe, Gavrilo Princip, Student, gerade mal neunzehn, die Geschicke Europas in der Hand, nicht lange, nur ein paar Sekunden. Länger dauert es nicht, aus nächster Nähe zwei Schüsse aus einer FN Browning PK Kaliber 9 mm abzugeben. Der Rückstoß riss dem Schützen die Hand hoch, sodass eine Kugel in ihren Unterleib, die nächste fast einen Meter höher in seinen Hals eindrang.

Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen

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