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ОглавлениеGEISTER AUF DEM TIVOLI | 2003 |
Wer die Hauptrolle im ersten Geisterspiel in der Geschichte des deutschen Profifußballs spielte? Was für eine Frage, der 1. FC Nürnberg natürlich, und dazu bedurfte es weder einer Viruspandemie noch irgendwelcher anderer Naturgewalten.
Am 24. November 2003 wurde Trainer Wolfgang Wolf in der 73. Minute des Zweitligaduells bei Alemannia Aachen von einem Wurfgeschoss getroffen, mit einer Platzwunde am Kopf brach er zusammen. Vorausgegangen waren Zuschauertumulte nach einer Gelb-Roten Karte für Alemannia-Stürmer Erik Meijer, der FCN-Torhüter Raphael Schäfer rücksichtslos attackiert hatte. Die Club-Spieler verließen geschlossen den Platz, dabei hatte man sich wenige Wochen zuvor in der Vorbereitung mit den Aachenern noch ein Hotel in der Türkei geteilt.
Wolf, der über Sehstörungen und Unwohlsein klagte, wurde an einen Tropf angeschlossen und konnte seine Mannschaft bis zum Abpfiff der nach zehnminütiger Unterbrechung wieder aufgenommenen Partie nicht mehr betreuen. Der FCN legte Protest gegen die 0:1-Niederlage ein – und hatte Erfolg. Der DFB-Kontrollausschuss unter Vorsitz von Horst Hilpert setzte wegen eines „nicht ausreichenden Ordnungsdienstes und mangelnden Schutzes des Gegners“ ein Wiederholungsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit an und verurteilte die Alemannia zu einer Geldstrafe von 50.000 Euro.
So kam es am 26. Januar 2004 auf dem von 500 Sicherheitskräften abgeriegelten Aachener Tivoli zu einer Partie ohne Zuschauer. Lediglich 40 Personen pro Verein (inklusive Spieler) waren zugelassen, dazu die Schiedsrichter, ausgewählte Medienvertreter, Sanitätsdienst, Stadionsprecher, Techniker, zwei Würstchenverkäufer, die Bratwürste – keine Nürnberger! – grillten und gratis verteilten, Toilettenpersonal und ein einziger Fan: Der in Aachen wohnende 78-jährige DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun. Und wer sich hinter dem Kostüm des Gespensts versteckte, das während der 90 Minuten über die Tribüne geisterte, blieb ungeklärt.
Trotz zweimaliger Führung durch Marek Mintal und Lawrence Aidoo unterlag der Club auch in diesem Wiederholungsspiel mit 2:3 und bescherte den Aachenern 39 Tage nach Ende der Hinrunde nachträglich die Herbstmeisterschaft. Am Saisonende durfte einer der beiden Hauptdarsteller im ersten Geisterspiel den Aufstieg in die Bundesliga bejubeln – nein, nicht die Alemannia.
Für Wolf blieb es übrigens nicht das einzige Geisterspiel. 2011 arbeitete er als Trainer bei Hansa Rostock, als das Ost-Duell gegen Dynamo Dresden unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt wurde. Stürmer bei Hansa damals: FCN-Legende Marek Mintal – noch ein Phantom.