Читать книгу Jenseits der Komfortzone - Hardy Grüne - Страница 10

VIERBEINIGE FLUCHTHELFER 5. ETAPPE. ALAUSI – CHUNCHI, 35 KILOMETER, 701 HÖHENMETER

Оглавление

Der fünfte Fahrtag in Folge. Die Beine sind schwer, der Kopf müde. Doch die Etappe ist übersichtlich. 35 Kilometer, 700 Höhenmeter. Das wirkt nach den Anstrengungen der letzten Tage wie ein Kurzausflug. Es geht steil los. 300 Höhenmeter auf nicht einmal fünf Kilometern. In Serpentinen klammert sich die Straße an der Bergflanke entlang. Schenkt traumhafte Blicke auf eine Bilderbuchlandschaft: weiche grüne Wiesen, am Horizont mächtige Gipfel. Es herrscht tiefer Frieden. Im Tal künden Rauchfahnen aus den Wohnhäusern von Alausi vom erwachenden Leben. Bauern grüßen mit fröhlichen „Gringo! Gringo!“-Rufen von den Feldern. Ein perfekter Morgen. Radfahren als meditative Traumreise.

Nur die Köter stören. Südamerikas Hunde sind gefürchtet unter Radfahrern. Kläffen nicht nur, beißen auch ganz gerne mal. Einige in unserem Radeltross haben Elektroschocker dabei. Ich will mich auf meine Autorität verlassen. Die ersten Erfahrungen sind brauchbar, aber ausbaufähig. Als eine wilde Promenadenmischung aus einem Hauseingang schießt, belle ich ein kräftiges „Sitz, du Wurm!“. Der Hund ist so überrascht von den ungewohnten Worten in deutscher Sprache, dass er abrupt abbremst und ich verschwinden kann. Beim nächsten klappt es nicht ganz so gut, nimmt das Biest die Verfolgung auf. Zum Glück geht es leicht bergab, und ich kann entfliehen.

Die Anstiege sind bissig. Abrupt, scharf. Irgendwo zwischen sechs und neun Prozent Steigung. Flach ist es hier nie. Ständig fliegt die Kette zwischen dem größten und dem kleinsten Gang hin und her. Der dauernde Rhythmuswechsel fordert. Nicht nur den Körper, sondern auch den Geist, der zwischen Euphorie und Qual pendelt. Auch das gehört zur meditativen Traumreise. Nach knapp zwei Stunden rolle ich in Chunchi ein.


Chunchi in seiner ganzen Tristesse

Gegen Mittag breche ich zu einem Spaziergang auf. Atmosphäre wie in einem schlechten Horrorfilm. Dichter Talnebel verstopft die menschenleeren Straßen. Auf dem zentralen Marktplatz lungern ein paar Jugendliche unter der steinernen Abbildung irgendeines Heroen aus der Vergangenheit herum. An einer Ecke liefert sich ein Rudel Hunde ein Gebellgefecht. Gleichgültig beobachtet ein Ladenbesitzer das Spektakel. Mir schaudert in der feuchtkalten Luft. Bin ich jemals an einem tristeren Ort gewesen?

Zurück im Hotel, muss ich schallend lachen. Schadenfreude ist eine derbe Freude. Sie überfällt einen mitunter einfach. Heutiges Opfer: Diederich, einer der starken holländischen Bergfahrer. Beim Start am Morgen ist er in die falsche Richtung abgebogen. Hat sich jenen Berg hinaufgequält, den wir am Vortag hinabgerast sind. Erst als nach 35 Kilometern nicht das erhoffte Tagesziel auftauchte, realisierte er seinen Fauxpas. Also umdrehen und ein Dreifaches der eigentlich geforderten Tagesleistung absolvieren. Zunächst zurück nach Alausi, dann die 35 Kilometer nach Chunchi. Am Abend bekommt er für seine „Leistung“ unser Maskottchen überreicht. Ein kleines Stofflama, das im Fahrerlager herumgereicht wird. Jeden Tag bekommt es jener Fahrer, der aus irgendeinem Grund „aufgefallen“ ist. Zwei Tage war es in den Händen des US-Amerikaners Buck, der zweimal in Folge den Lunchtruck übersehen hatte. Dann übernahm Alfred, der nach einem Platten über drei Kilometer zu Fuß hatte marschieren müssen. Mit seinem uns alle erheiternden Ausflug ist Diederich der geeignete Nachfolger.

Abends präsentiert sich Chunchi ein wenig belebter. Der Talnebel hat sich gelichtet. Entlang der Hauptstraße sind die Läden und Restaurants geöffnet. Busse rattern den Berg herunter, spucken Fahrgäste aus, nehmen Reisewillige mit. Alfred und ich suchen ein Restaurant. An einer Straßenecke finden wir ein Chifa – Südamerikas Pendant zu einem China-Restaurant. Hinter den Scheiben ist Licht zu erkennen. Wir öffnen die Tür, blicken in 30 vertraute Augenpaare. Fast alle Mitfahrer sind hier gelandet. Hungrig und quasi zur selben Zeit. Zwei Stunden dauert es, bis die Küche ihre Köstlichkeiten reicht. Das kleine Chunchi ist völlig überfordert mit unserem Riesentross. Verständlich.

Jenseits der Komfortzone

Подняться наверх