Читать книгу Jenseits der Komfortzone - Hardy Grüne - Страница 5
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Vorab ein Wort der Warnung: Wer hier einen adrenalingespeisten Rennbericht erwartet und von ständig neuen Rekorden hören möchte, wird enttäuscht werden. Stattdessen warten entschleunigte Landschaftsbilder und entspannte Begegnungen mit Einheimischen, jammernde Leidensreportagen aus dem Sattel und euphorische Ausflüge in das Land der totalen Glückseligkeit.
Ja, ich habe an einem der längsten und härtesten Radetappenrennen der Welt teilgenommen. Ja, meine Zeit wurde gewertet, fast jeden Tag gab es Etappensieger, und am Ende standen in Ushuaia auf Feuerland die drei Besten unter uns auf dem berühmten Treppchen und ließen sich bejubeln. Und trotzdem ist das 11.000-Kilometer-Rennen „The Andes Trail“ kein gewöhnliches Rennen. Denn alles kann, nichts muss. Die Tagesetappen sind fordernd (um die 100 Kilometer pro Tag, häufig im Hochgebirge), die Rahmenbedingungen in Bushcamps oder einfachen Unterkünften dürftig bis beschwerlich. Die Mitradler sind Konkurrenten wie Kollegen, doch ob man seinen Schwerpunkt auf das rasante Erringen von Etappensiegen oder das gemächliche Erobern des durchquerten Raumes legt, bleibt jedem selbst überlassen.
Ich habe meinen Fokus an den meisten Tagen auf das Erleben von Landschaft, Kultur und äußeren Umständen gelegt. Genoss den Respekt der Einheimischen, wenn ich nach stundenlanger Kurbelarbeit einen weiteren 4.000er bezwungen hatte und schweißgebadet auf der Passhöhe ankam. Genoss die eigentümliche Erfahrung, mich im einsamen Patagonien über hunderte von Kilometern gegen den Wind zu stemmen, um schließlich in einer einsamen Estancia anzukommen und mit den dort wohnenden Menschen über Gott und die Welt zu plaudern. Ein Abenteuer ganz im Sinne von Berufs-Globetrotter und Schriftsteller Ryszard Kapuściński, der „Reise“ einst definierte als „Versuch, alles zu erfahren – das Leben, die Welt, sich selbst“.
Das Fahrrad ist ein großartiges Fortbewegungsmittel für eine Kontinentaldurchquerung. Schnell genug, um vorwärtszukommen, langsam genug, um nichts zu verpassen. Den Elementen ebenso ausgesetzt wie dem täglichen Leben. 2011 entdeckte ich diese großartige Kombination, als ich im Rahmen der Tour d’Afrique von Kairo nach Kapstadt radelte. Damals fing ich mir jenen Virus ein, der mich nun nach Quito in Ecuador brachte. 11.000 unglaubliche Kilometer vor der Nase, gefüllt von jeder Menge Abenteuer und Erlebnissen, die mir die Kraft, die Zuversicht, die Ausdauer und nicht zuletzt die Lust schenkten, über viereinhalb Monate fast jeden Tag auf den Fahrradsattel zu klettern, um ein weiteres Stück Südamerika unter die Pneus zu nehmen.
Noch etwas blass, aber wild entschlossen: der Autor vor dem Aufbruch nach Südamerika. Das Trikot mit den Logos des Lieblingsklubs und ein paar Unterstützern sitzt schon mal gut
Bevor wir nun gemeinsam Aufstellung im Startblock beziehen, noch ein Wort des Dankes, denn eine Tour wie diese ist schwerlich möglich ohne wohlwollende Unterstützung. Die bekam ich reichhaltig über meinen Blog www.hardygruene.wordpress.com, in dem aus der Heimat immer wieder aufmunternde Worte auftauchten, die enorm halfen, mich Einsamkeit und Anstrengung zu stellen. Unterwegs haben mich Michelle und James während der gesamten 11.000 Kilometer mit Fröhlichkeit und Zuversicht häufig förmlich geflutet, waren mir Brigit, Max, Günter, Jürg, Robert, Walter, Hardy und Alfred wichtige Gesprächspartner, pedalierte ich mit Buck, Barry und J.R. so manch einsamen Kilometer durch entrückte Landschaften. Wilbert, Susana, Rob und dem gesamten Bike-Dreams-Team ein respektvolles Dankeschön für den Mut, uns diese Erfahrung machen lassen zu können. Wolf Maahn lieferte überlebenswichtige musikalische Fröhlichkeit, Jonny Cash und Peter Fox die Power, die mich antrieb.
Vielen Menschen, denen ich in den fünf bereisten Ländern begegnete, verdanke ich Befruchtungen vielfältiger Art. Mein Stotter-Spanisch schenkte mir herrliche Lachattacken auf beiden Seiten, während mich die Lebensrealität der Menschen im andinen Hochland mitunter vor Ehrfurcht verstummen ließ. Danke, dass ihr mir eure Welt gezeigt habt, wie sie wirklich ist! ¡Muchas gracias a todos!
Als Buchautor über eine Reise berichten zu dürfen, ist ein Glücksfall. Denn man darf sie noch einmal unternehmen. Diesmal mit dem Auftrag, heimzukehren mit Worten, die Bilder schaffen. Das entschleunigt und intensiviert das Erlebte, hilft, das zunächst Unverständliche zu entschlüsseln. Ich hatte zudem das rare Glück, mit Christoph Schottes vom Verlag Die Werkstatt einen Lektor zu haben, der mit gefühlvoller Hand sein Skalpell an das Manuskript setzte und es von manchen Unwuchten und Fettgeweben befreite.
Feurige Herzenswärme geht an Claudia, die mir so viel freiheitsgespeiste Liebe mitgab, dass ich fast nach Ushuaia geflogen wäre. Und doch war der schönste Moment die Rückkehr in unseren gemeinsamen Hafen.
Göttingen, 10. August 2015
Hardy Grüne
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Das Finisher-Trikot