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AUF DER ALLEE DER VULKANE 2. ETAPPE. QUITO – LATACUNGA, 98 KILOMETER, 1.313 HÖHENMETER

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Beim Frühstück Hektik. 40 aufgeregte Weltenbummler drängeln sich im viel zu kleinen Frühstücksraum. Niemand weiß, was auf ihn zukommt. Jeder stopft sich vorsorglich mit allem voll, was angeboten wird. Das ist nicht allzu viel, denn in Südamerika fällt das Frühstück karg aus. Wilbert vom Veranstalter „Bike Dreams“ verteilt Zettel mit der Tagesaufgabe. 98 Kilometer, 1.313 Höhenmeter. Das Tagesprofil gleicht einer Wellenlandschaft. Erst kurz runter, dann hoch auf 3.100 Meter, wieder runter auf 2.700 und noch mal hoch auf 3.500 Meter. Am Ende 35 Kilometer Talfahrt nach Latacunga. Kein Profil, das wirklich Angst verbreitet.

Wäre da nicht der wahnwitzige Verkehr. Über proppenvolle Ausfallstraßen schaufeln wir uns als 40-köpfiger Konvoi aus Quito heraus. Müssen vierspurige Highways überqueren, unsere schmale Fahrspur auf autobahnähnlichen Pisten verteidigen. Dann sind wir erstmals auf der PanAmericana. Südamerikas wohl größter Mythos in Sachen Fernstraßen verbindet grob gesagt Alaska und Feuerland miteinander. Wo und wie genau die Strecke verläuft, ist häufig unklar. Denn die Ruta Panamericana ist keine stringente Autobahn, sondern ein Netz aus Fernstraßen. In vielen Regionen nennt man seine Überlandstraßen allein aus Werbezwecken „PanAmericana“.

Am ersten Anstieg fällt die Gruppe auseinander. Ich kurble alleine weiter. Suche mein Tempo, will nicht gleich überdrehen. Bis zum ersten Pausentag in Cuenca warten sieben Fahrtage in Folge. Es sind zwar nur etwas mehr als 500 Kilometer, dafür aber fast 10.000 Höhenmeter. Das ist eine Ansage!

Als Quito hinter mir liegt, dünnt der Verkehr ein wenig aus. Die vierspurige Straße hat einen Seitenstreifen, auf dem ich halbwegs ungestört kurbeln kann. Doch idyllisch geht anders. Eher fühle ich mich an eine deutsche Autobahn erinnert. Auf deren Standstreifen ich allerdings kaum mit dem Fahrrad unterwegs wäre. Bald habe ich den ersten „Wellenkamm“ auf 3.100 Meter überwunden und rolle zurück auf Quito-Höhe. Das wird in den ersten Tour-wochen unser Schicksal sein: berghoch, bergrunter, und das den ganzen Tag lang.


Autobahn-Radeln

Gedankenverloren klettere ich in den nächsten Anstieg, als eine Figur aus dem Busch springt und armwedelnd hinter mir herrennt. Irgendein Kleinkrimineller, der mir ans Leder will! Ich gebe Gas. Sehe im Rückspiegel, dass der Angreifer zurückfällt und aufgibt. Fünf Minuten später prescht unser Monteur Lucho heran. Ein bärenstarker Bergfahrer. Mit allen Wassern gewaschen, als Peruaner gegen die Höhenkrankheit immun und dabei, mich locker einzufangen. Seinem spanischen Redefluss entnehme ich, dass ich am Lunchstopp vorbeigefahren bin. Und dass der vermeintliche Kleinkriminelle unser Truckdriver Walter war. Gemeinsam rollen wir zurück. Achselzuckend empfängt mich ein grinsender Walter: „Du warst zu schnell, da kam ich nicht hinterher.“

Nach der Mittagspause fahre ich mit Alfred weiter. Den plagt ein derber Schnupfen. Vor ein paar Tagen ist er den Hang des Cotopaxi-Vulkans mit dem Fahrrad runtergefahren. „Ich war vom Aufstieg verschwitzt, und da oben war es ziemlich kalt. Da habe ich mich wohl verkühlt.“ Schweigend arbeiten wir uns an dem 3.500-Meter-Gipfel ab. Alfred leidet. Nicht nur an seiner laufenden Nase, sondern vor allem an der Höhe. Er hatte nur eine Handvoll Tage zum Akklimatisieren, und je höher wir kommen, desto abgehackter werden seine Kurbelumdrehungen. Bei mir läuft es flüssiger, kommt der Sauerstoffin den Lungenflügeln an. Irgendwann fahre ich ihm davon. Kurz vor dem Scheitelpunkt taucht der Cotopaxi auf. Mit knapp 6.000 Metern ist er der König in Alexander von Humboldts berühmter „Allee der Vulkane“, die zwischen Quito und Riobamba durch die Anden verläuft. „Seine Bedeutung für die Anden entspricht der des Matterhorns für die Alpen“, informiert mein Reiseführer. Sanft schaut der schneebedeckte Riese zu, wie ich den zweiten Gipfel des Tages überwinde und anschließend von der Schwerkraft hinab nach Latacunga gesogen werde.

Der erste „richtige“ Tag ist vorbei. Im Hotel gibt es Suppe, tauschen wir unsere Eindrücke aus. Jeder ist erschrocken über den dichten Autoverkehr. Und alle haben Respekt vor der Höhe. Sind zugleich stolz, den ersten Tag bewältigt zu haben. Der Nachmittag geht für Regeneration und Radpflege drauf. Ich streite mit meinem Tachometer, das auf der langen Schlussabfahrt den Dienst verweigert hatte. Der Magnet sitzt zu locker an der Speiche und lässt sich nicht richtig feststellen. Bei hohem Tempo ziehen die Fliehkräfte ihn nach außen. Noch ahne ich nicht, dass mich das Problem bis zum allerletzten Tag begleiten wird. Abends marschiere ich mit Alfred durch das gemütliche Örtchen. Wir finden ein kleines Restaurant, sind früh zurück im Hotel. Um 9 Uhr geht das Licht aus.

Jenseits der Komfortzone

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