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ZWISCHEN BERGDÖRFERN UND ANDENRIESEN PAUSENTAG IN LOJA

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Loja ist ein Schaufenster ins wahre Ecuador. Während uns in Quito und Cuenca überall westliche Kulturbeflissene begegneten, verirrt sich hier kaum ein Pauschaltourist hin. Denn in Loja locken keine Kirchen, sind keine steinernen Erben vergangener Tage zu finden. Stattdessen: schnödes Alltagsleben. Auf den Straßen vermischen sich die Lebensphilosophien. Hochnäsige Mädels in hautengen Jeans. Eilige Geschäftsmänner in feinem Zwirn lassen sich von Indiokindern die Schuhe putzen. Dazwischen Landbewohner in traditioneller Kleidung. Ecuador ist ein Land, in dem viele Welten nebeneinander existieren.

Auf der Suche nach einer Wäscherei lande ich in der Markthalle. Geschrei der Marktbetreiber durchbricht das Treiben. Ein heilloses Durcheinander. Scheinbar ohne Ordnung und doch sehr geordnet. In unzähligen Gängen werden Waren für alle Bereiche des Lebens offeriert. Auch Fleisch und Fisch hält dieses Kaufhaus der Frische bereit. Ungekühlt natürlich. Hygienestandard à la Südamerika. Jeder deutsche Lebensmittelkontrolleur würde panisch nach sofortiger Schließung des Gebäudes rufen. Hier indes regiert der gesunde Menschenverstand. Ich lasse mir ein Stückchen leckeren Käse aufschwatzen, streife entspannt durch die Gänge voller erstaunlicher Waren. Spüre die Blicke der Marktbeschicker. Ich falle auf. Auch ohne bunte Radkleidung. Meine Körpergröße, meine helle Hautfarbe. Wohlwollende Güte glitzert in ihren Augen. Man freut sich, dass ein „Westler“ die Kulturgrenzen überwindet, und heißt mich willkommen.

Auch Fußballhemden werden offeriert. Zumeist lokale Teams. Aber auch Real Madrid und der FC Barcelona stehen hoch im Fankurs. Umgerechnet acht Euro sind fällig für ein Leibchen. Natürlich keine Originalware, von deren Existenz man im Estadio Bernabéu oder dem Camp Nou wüsste. Stattdessen gefertigt in einer dieser kleinen Nähereien, in denen die Maschinen pausenlos die Kleider der Fußballgötter schneidern. Ich bin nicht an Real oder Barça interessiert, sondern an ecuadorianischen Hemden. Emelec zum Beispiel. Ein Klub aus der Hafenstadt Guayaquil. Lokalrivale des Barcelona SC, des populärsten Vereins des Landes. Überall laufen die Menschen in den rot-gelben Barcelona-Hemden herum. Da will ich mit dem blauen Emelec-Jersey einen kleinen Farbkontrast setzen. Ach, woher der Name Barcelona kommt? Der Klubgründer stammte aus der katalanischen Kapitale und führte den Fußball in Ecuador ein. Am Marktausgang ein Plakat der spanischen Rockgruppe Heroes del Silencio. In drei Tagen gastiert sie in Loja. Das erstaunt mich. Die Band hatte vor einigen Jahren mit „Entre dos Tierres“ einen europaweiten Erfolg. Ich hätte nicht erwartet, dass sie in solch fernen Orten aufspielt.

In Lojas gemütlichen Cafés gibt es nur faden Pulverkaffee. Grotesk: Südamerikas Kaffeebohnen zählen zu den besten der Welt. Doch für die Südamerikaner ist Pulverkaffee das Nonplus-ultra. Vorbild: die westliche Welt. Fast Food wird mit Modernität verbunden. Während ich dem Treiben in den Straßen zusehe, genieße ich die Freiheit des Pausentages. Und die Freiheit, die das Reisen auf dem Fahrrad schenkt. Diese unschlagbare Nähe zum bereisten Objekt. Mit all ihren Herausforderungen, mit all ihren Verzückungen. Jahrzehntelang waren Fahrräder für mich ein reines Transport- und Transfermittel. Raste ich auf einem Mountainbike durch meine Wahlheimat Göttingen. Einem Mountainbike! In der Stadt! Natürlich mit dicken Stollenreifen. Absurd. Heute weiß ich, dass sie auf dem glatten Asphalt nutzlos sind und viel Energie klauen. Damals schien es hip zu sein. Der coole Protest eines „wilden“ Städters und sein Ersatz für Abenteuer.

Schmunzelnd denke ich zurück. Radfahren veränderte sich, als ich aufs Land zog. In ein Örtchen, das nicht umsonst zu den sogenannten Bergdörfern gehört. Trat ich aus dem Haus, ging es bergauf. Joggen, in der Stadt Ausgleich zur Schreibtischarbeit, wurde zur Qual. Bald war es vorbei mit den ohnehin überschaubaren Laufrunden. Gab es statt körperlicher Runden Körperrundungen, die wenig Ästhetik ausstrahlten und von gesättigter Trägheit erzählten.

Das Fahrrad war die Rettung. Ein Rennrad öffnete mir die Welt. Plötzlich fuhr ich Runden von 100 und mehr Kilometern, entdeckte all die versteckten Nebenpisten, genoss diesen befreienden Radius des Fahrrads. Ein Alpenurlaub öffnete mir die Bergwelt. Stundenlang pedalierte ich mächtige Anstiege hinauf. Und genoss es. Dann mein erstes Jedermannrennen 2010 in Berlin. Es goss in Strömen, und ich fuhr auf der gesperrten Stadtautobahn und dem stillgelegten Tempelhofer Flughafen. Hörte den Applaus der Passanten. Wurde zum Hobbyrennfahrer.

Schließlich Afrika. Im Januar 2011 stand ich unter den Pyramiden von Gizeh in Kairo. Vor mir 12.000 Kilometer ins Ungewisse. Als ich vier Monate später in Kapstadt ankam, war ich verändert. Noch in Kapstadt surfte ich nach möglichen weiteren Abenteuern durchs Netz. Rasch kristallisierten sich zwei Varianten heraus. Die Seidenstraße von Istanbul nach Peking, an der mich vor allem die alten Sowjetrepubliken sowie die Mongolei reizten. Und Südamerika. Den Ausschlag für Südamerika gab die Jahreszeit. Durch die Anden fährt man im europäischen Winter, während die Seidenstraße im hiesigen Sommer stattfindet. Eine Andentour ist also eine Verlängerung des Sommers, und dafür bin ich immer zu haben.

Zudem reizten mich diese sagenumwobenen Berggiganten. Was bei der Tour de France als Gipfel der „Haut categorie“ mystifiziert ist, geht in den Anden, immerhin die längste Bergkette der Welt, kaum als besserer Hügel durch. Radeln auf bis zu 5.000 Metern – das klang wahrhaftig nach Herausforderung. Und dann war da noch meine Fußballseele, die schon lange den Wunsch nach einem Südamerikaausflug geäußert hatte.

Im Mai 2013 ging meine Anmeldung raus. Mehr als ein Jahr vor dem Start. Zunächst standen sprachliche und kulturelle Vorbereitung auf dem Programm. Zwei Intensivkurse später war ich mit den Grundlagen der spanischen Grammatik vertraut und verstand bröckchenweise einen spanischen Radiosender. Im Frühjahr 2014 begann die körperliche Vorbereitung. Im Vergleich zur Afrikatour, die im Januar startet, war sie angesichts des Starttermins 1. August deutlich einfacher. Zum ersten Mal arbeitete ich mit einem Trainingsprogramm. Erstes Ziel war ein 100-Kilometer-Jedermannrennen in Göttingen Mitte April. Das Resultat erstaunlich. Nach acht Wochen Aufbautraining fuhr ich über 20 Minuten schneller als im Vorjahr, als ich ohne systematische Vorbereitung an den Start gegangen war. Der Sommer schließlich brachte Krafttraining in den Harzbergen vor der Haustür.


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