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aa) Rechtsmissbrauch (unzulässige Rechtsausübung)

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Rechtsmissbrauch (unzulässige Rechtsausübung) ist mit § 242 nicht vereinbar. Darin zeigen sich immanente Grenzen aller rechtlichen Befugnisse.[82] Der BGH beschreibt den Kerngedanken wie folgt: „Das Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung und setzt der (auch gesetzlich zulässigen) Rechtsausübung dort Schranken, wo sie zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führt“.[83] Rechtsmissbrauch ist also ergebnisorientiert und kann für die Verwirklichung gerechter Rechtsanwendung fruchtbar werden. Allerdings darf die Richterin (und auch die Studentin in Klausuren) nicht vorschnell eigene Gerechtigkeitserwägungen an die Stelle der Wertungsentscheidungen des Gesetzes setzen.[84] Bei zielgerichtetem, treuwidrigem Verhalten liegt § 242 nahe. Das darf aber nicht leichthin angenommen werden. Beispielsweise handeln Käufer, die bei Internetauktionen mitbieten, um von einem vorzeitigen Auktionsabbruch zu profitieren („Abbruchjäger“), grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich.[85] Rechtsmissbrauch kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Interessenlage und der jeweiligen Fallbesonderheiten bejaht werden. Die Begründungslast ist hoch, weil § 242 hier insoweit als Ausnahme zu prima facie gegebenen rechtlichen Befugnissen wirkt. Rechtsmissbrauch setzt kein Verschulden voraus; allerdings sind in der Abwägung Verschuldenselemente zu berücksichtigen.[86] Rechtsmissbrauch ist eine sehr weite Fallgruppe, zu der sich zahlreiche Unterfallgruppen gebildet haben:

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Eine Unterfallgruppe ist die missbräuchliche Forderung einer Leistung, die ohnehin sogleich wieder zurückgewährt werden müsste (dolo agit qui petit quod statim redditurus est). So kann etwa die Honorarforderung eines Architekten rechtsmissbräuchlich sein, wenn er das Erlangte sofort wieder als Schadensersatz herausgeben müsste.[87] Auch kann ein Vermieter vom Mieter nicht die Entfernung einer ohne Zustimmung des Vermieters angebrachten Parabolantenne verlangen, wenn er verpflichtet war, der Anbringung zuzustimmen.[88]

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Rechtsmissbrauch kann auch wegen Unverhältnismäßigkeit zu bejahen sein.[89] Der Verhältnismäßigkeitsgedanke zeigt sich in vielen schuldrechtlichen Normen, wie etwa den §§ 320 Abs. 2, 323 Abs. 5 S. 2, 439 Abs. 4 oder 543 Abs. 2 Nr 2. Aber auch außerhalb dieser Normen wirkt über § 242 ein Verhältnismäßigkeitsgebot im Schuldrecht. Beispielsweise kann der Käufer eines Neuwagens wegen Unverhältnismäßigkeit gem. § 242 daran gehindert sein, die Kaufpreiszahlung gem. § 320 Abs. 1 S. 1 wegen eines Sachmangels vollständig zu verweigern.[90] Allerdings liegen die Hürden für § 242 auch hier hoch. So hat der BGH Rechtsmissbrauch wegen Unverhältnismäßigkeit beispielsweise bei einem bereits für ca. 250 Euro behebbaren Lackschaden eines Neuwagens verneint. Der Verkäufer hatte nicht einmal angeboten, den Schaden selbst zu beseitigen (obwohl dies zu seiner Erfüllungspflicht gehört).[91] Auch das hat der BGH als Argument für die Schutzwürdigkeit des Käufers herangezogen.

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Rechtsmissbrauch kann im Einzelfall auch damit begründet werden, dass die Ausübung des Rechts für die andere Seite „schlechthin unzumutbar“ wäre.[92] Wenn Verbraucher Widerrufsrechte ausüben, handeln sie etwa in Ausnahmefällen rechtsmissbräuchlich iSd § 242, nämlich dann, wenn der Unternehmer besonders schutzbedürftig ist oder der Verbraucher arglistig oder schikanös handelt.[93] Das hat der BGH allerdings etwa in einem Fall verneint, in dem der Verbraucher unter Hinweis auf ein günstigeres Alternativangebot um Erstattung des Differenzbetrags gebeten hatte und – als der Unternehmer sich darauf nicht einließ – zurückgetreten war.[94] Bei Eheverträgen kann die Ausübung der vertraglichen Rechte rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie zu einer unzumutbaren Lastenverteilung führen würde.[95]

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Unzulässige Rechtsausübung kann sich auch daraus ergeben, dass man zuvor selbst unfair gehandelt hat: Wer eine rechtliche Befugnis selbst unredlich herbeiführt, darf sich auf diese Befugnis gem. § 242 nicht berufen (turpitudinem suam allegans non audiatur).[96] Dieser Gedanke liegt auch § 162 zugrunde, der den vom Anspruchsgegner treuwidrig verhinderten Eintritt einer Bedingung fingiert. Er kommt aber auch als Topos für die Anwendung des § 242 vor. Ein in der Literatur diskutiertes Beispiel bietet § 124: Wer zu einem Vertragsschluss durch arglistige Täuschung bestimmt wurde, muss binnen Jahresfrist anfechten. Steht nach Fristablauf § 242 der Inanspruchnahme aus dem Vertrag gleichwohl entgegen? Vorschnell darf man das nicht bejahen, wenn § 124 nicht ausgehöhlt werden soll.[97] § 242 kann man jedoch – auch in Klausuren – guten Gewissens in Anschlag bringen, wenn der Täuschende den Anfechtungsberechtigten auch noch bewusst veranlasst hatte, die Anfechtungsfrist verstreichen zu lassen.[98]

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Vorverhalten muss nicht unbedingt unredlich sein, um Rechtsmissbrauch zu begründen. Das zeigt die nächste Unterfallgruppe. Rechtsmissbrauch kann sich nämlich auch daraus ergeben, dass die Ausübung eines Rechts im Widerspruch zu eigenem (nicht notwendigerweise für sich genommen sanktionierbarem) Vorverhalten steht (venire contra factum proprium). § 242 steht deshalb der Inanspruchnahme eines Bürgen durch eine Bank entgegen, wenn die Bank selbst den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners schuldhaft verursacht und jede Regressmöglichkeit des Bürgen (gegen den Hauptschuldner) vereitelt.[99] Ein weiteres Beispiel betrifft die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, deren primäre Rechtsfolge ja in der Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung liegt. Wer aber die unwirksame Klausel selbst verwendet hat, darf sich auf die Unwirksamkeit nach Treu und Glauben nicht berufen.[100] Auch die Einschränkung des § 142 Abs. 1 gehört hierher: Wenn der Anfechtungsgegner die Erklärung mit dem vom Anfechtenden wirklich gewollten Inhalt gelten lassen will, darf sich der Anfechtende nicht auf § 142 Abs. 1 berufen,[101] da er andernfalls § 142 Abs. 1 instrumentalisieren würde, um sich im Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten zu setzen. Der Anfechtende soll nicht vor einem Vertrag des Inhalts geschlossen werden, den er ja selbst wollte.

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Auch die Berufung auf die Formnichtigkeit (§ 125) kann rechtsmissbräuchlich sein.[102] Die Hürden sind hoch, andernfalls würden die Formvorschriften und ihre Zwecke ad absurdum geführt. Die Berufung auf Formnichtigkeit kann aber in zwei Fallgruppen gegen § 242 verstoßen: Bei Existenzgefährdung einer Partei und in Fällen besonders schwerer Treuepflichtverletzungen. Allerdings kommt die Anwendung von § 242 nur in Ausnahmefällen in Betracht, auch in der Rechtsprechung wird sie in aller Regel abgelehnt. Es genügt nicht, dass die Nichtigkeit eine Seite „hart trifft“.[103] Vielmehr muss die Nichtigkeitsfolge „schlechthin untragbar“ für eine Partei sein.[104] Der BGH hat diese strengen Voraussetzungen etwa in einem Fall zur Anwendung gebracht, in dem ein 63-jähriger einfacher Handwerker ohne juristische Vorbildung unter Aufwendung seiner gesamten Ersparnisse ein Eigenheim erwerben wollte, um dort seinen Lebensabend verbringen zu können.[105] Er hatte seine frühere Wohnung aufgegeben und war bereits eingezogen, obwohl der Vertrag nicht notariell beurkundet und daher formnichtig gem. § 125 war. Nach Einschätzung des BGH wäre es einem Existenzverlust des Handwerkers gleichgekommen, wenn er das Eigenheim aufgeben und sich einen neuen Alterssitz hätte suchen müssen.[106]

Auch in Fall 2 lässt sich begründen, dass § 242 der Berufung auf die Formnichtigkeit entgegensteht: Gegenüber dem früheren Angestellten besteht eine Ungleichgewichtslage. Auch hat U gegenüber A ausdrücklich behauptet, einen privatschriftlichen Vertrag als gleichwertig zu betrachten. Darauf vertraute A. Dass sich U später entgegen seiner ausdrücklichen Behauptung auf die Formnichtigkeit beruft, ist rechtsmissbräuchlich (so auch BGH NJW 1968, 39). Auch die Gegenauffassung ist gut vertretbar: Formvorschriften sind strenges Recht, allzu großzügige Einschränkungen über § 242 gefährden die Rechtssicherheit. Dass A als Angestellter sich U gegenüber nicht recht traute, auf notarielle Beurkundung zu bestehen, ist verständlich. Der Mangel an Mut geht aber zu seinen Lasten, zumal er von der notariellen Beurkundungspflicht wusste.

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