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Schlüsselmoleküle des Lebens

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Es dauerte nur zehn Jahre bis der „aperiodische Kristall“, mit der Doppelhelix-Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNA) – dem Watson-Crick-Modell –, seine adäquate Identität fand, und das Gen, lange Zeit nur ein abstrakter Begriff, endlich die gesuchte molekulare Basis erhielt (Abbildung 1).


ABBILDUNG 1: DNA-Doppelhelix (Watson-Crick-Modell).

Innerhalb von weiteren zehn Jahren wurde sowohl der molekulare Mechanismus der Vererbung, die semikonservative Verdopplung der DNA, als auch der genetische Code aufgeklärt. Maßgeblichen Anteil an der Aufklärung des nicht-überlappenden Triplett-Codes hatte Francis H. Crick (1916 - 2004), der zuvor die Adapter-RNA (Transfer-RNA, tRNA) postuliert hatte.26 Damit rückte die DNA in das Zentrum der Molekulargenetik, und in den 1970ern in den Fokus der Zell- und Entwicklungsbiologie. Das DNA-zentrische Bild der Lebensprozesse fand seinen klarsten Ausdruck in dem von Francis Crick im Jahre 1958 formulierten zentralen Dogma der Molekularbiologie, welches die Richtung des genetischen Informationsflusses zum Ausdruck brachte: Die Information „fließt“ bei der Expression proteincodierender Gene – der Transkription („Umschreiben“ in Boten- oder Messenger-Ribonukleinsäure, mRNA) und nachfolgenden Translation („Übersetzen“ in ein Protein) – von der DNA-Sequenz über die mRNA zum Protein, (fast) niemals zurück. Information wurde zu einer Schlüsselmetapher der Molekularbiologie.27

Zentrales Charakteristikum des universellen genetischen Codes: Je drei Nukleotidbasen (Triplett) der DNA codieren eine Aminosäure, bilden ein Codon. Nicht-überlappende Sequenzen von Codons sind die molekularen Träger der genetischen Information für die Erzeugung korrespondierender Aminosäuresequenzen – Polypeptide oder Proteine. Paradoxerweise sind es von der codierenden DNA determinierte Enzyme, welche die Biosynthese der Nukleinsäuren (DNA, mRNA et cetera) bewerkstelligen. Die von Erwin Schrödinger ausgeklammerten Enzyme kamen so schließlich doch noch ins Spiel. Weder die DNA noch die Boten-RNA sind autarke Makromoleküle; sie müssen vielmehr synthetisiert, modifiziert, ediert und repariert (DNA) werden. Diese mannigfaltigen Funktionen üben, im Zusammenspiel mit regulatorischen Proteinen, Multiprotein- und Ribonukleoproteinkomplexe aus, insbesondere Motorenzymkomplexe. Für uns ein Grund, das Kapitel 3 den Proteinen und Nukleinsäuren sowie deren Komplexen zu widmen.

Und hierfür gibt es noch einen weiteren Grund. Mit den enzymatischen und regulatorischen Funktionen von Proteinkomplexen, vor allem in den zentralen molekulargenetischen Prozessen, taucht das statistische Paradoxon Schrödingers in modifizierter Form wieder auf, unbeachtet, da sich die Diskussionen in der „goldenen Ära“ der Molekularbiologie auf regulatorische Aspekte – und die scheinbar alles klarstellenden molekularen Mechanismen – konzentrierten. Schließlich war ja der gesuchte Hauptmechanismus für die Stabilität der Vererbung gefunden: Die identische Verdopplung (Replikation) der DNA ist matrizengesteuert. Als Matrizen für die Synthese der komplementären Stränge dienen die Einzelstränge der Doppelhelix, desgleichen bei der Transkription der DNA in die komplementäre mRNA. Dieses Prinzip findet sich in modifizierter Form auch bei der Proteinbiosynthese: Die zu den Codons der mRNAs komplementären Anticodons spezifischer tRNAs gewährleisten die Zuordnung der Aminosäuren. Hierbei wird der genetische Code umgesetzt, indem jeweils bestimmte Aminosäuren an den spezifischen tRNAs gebunden vorliegen.28 Die mechanistischen Details dieser „Ordnung aus Ordnung erzeugenden molekularen Prozesse der Replikation und Genexpression sind in bewunderungswürdigem Ausmaß aufgeklärt worden; dabei trat zunehmend die atemberaubende Komplexität und Vernetzung der zellulären Prozesse zutage.

Doch wie bei Schrödingers ursprünglicher „Beobachtungstatsache“ liegen die DNA-Moleküle (oder RNA-Moleküle bei bestimmten Viren und Phagen) und die mRNAs – und folglich die makromolekularen Matrizen – jeweils nur in einer oder wenigen Kopien vor. Und wie sieht es mit den enzymatisch oder regulatorisch aktiven Proteinkomplexen aus, die in diesen „Ordnung aus Ordnung“ erzeugenden molekularen Kernprozessen involviert sind? – Wie groß ist deren Anzahl? Wenn Schrödingers „statistischer Mechanismus“, der auf dem Gesetz der großen Zahlen beruht, den hochpräzisen Ablauf der Nukleinsäure- und Proteinbiosynthesen und vieler anderer enzymatischer Reaktionen und nicht-enzymatischer Interaktionen in der Zelle sicherstellen müsste, wäre eine sehr große Anzahl von all den verschiedenen interagierenden hoch- und niedermolekularen Molekülen nötig – und entsprechend große Zellvolumina.

Offensichtlich ist dies nicht der Fall. Bakterien und viele eukaryotische Zellen sind außerordentlich klein. Das Darmbakterium Escherichia coli (E. coli), benannt nach seinem Entdecker, dem Kinderarzt Theodor Escherich (1857 - 1911), ist etwa 2 bis 3 Mikrometer (µm) lang, bei einem Durchmesser der stäbchenförmigen Zelle von rund 1 µm (siehe Abbildung 2); hieraus resultiert das winzige Volumen von etwa zwei Femtoliter (2·10-15 Liter). Selbst vergleichsweise große Zellen wie die Eizellen der Säugetiere haben einen Durchmesser von gerade einmal 1/​10 Millimeter.29 Und wie wir noch sehen werden, sind beispielsweise regulatorische Proteine wie die Transkriptionsfaktoren oft nur in wenigen Kopien vorhanden, desgleichen bestimmte essentielle Enzyme wie DNA-Polymerasen und mit diesen assoziierte Motorenzyme.

In der Evolution der Zelle wurde auch dieses scheinbare Dilemma gelöst: Proteine und Nukleinsäuren, vor allem die einzigartigen Eigenschaften und interaktiven Funktionen der molekularen Motoren, sowie funktionelle Mikrokompartimente ermöglichen es, das Gesetz der großen Zahlen (und die korrespondierenden großen Volumina) zu umgehen.

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