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Molarer Determinismus

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1946 erschien ein Buch mit dem Titel „The chemical kinetics of the bacterial cell“ von Cyril Hinshelwood (1897 - 1967). In diesem Buch wurde der Versuch unternommen, die Prinzipien der klassischen chemischen Kinetik auf Reaktionen in der Bakterienzelle anzuwenden. Ist das gerechtfertigt? – Hinshelwood nahm an, dass Bakterien keine Grobstruktur haben, eine Ansicht, die sich bis in die 1990er Jahre wiederfindet. Aber er äußerte die vorausschauende Ansicht, dass die Zellprozesse eine raum-zeitliche Organisation aufweisen. Ferner diskutierte er die „Autosynthese“ von Makromolekülen – Proteine, Polysaccaride und Nukleinsäuren –, wobei man von Letzteren „allgemein annahm, dass sie eine Schlüsselrolle in den Zellprozessen spielen.“30


ABBILDUNG 2: E. coli-Bakterien (elektronenmikroskopische Aufnahme).

Freilich dauerte es noch mehr als ein Jahrzehnt, bis fundierte Ergebnisse zunehmend an die Stelle von Vermutungen traten. Inzwischen ist unbestritten, dass nicht nur eukaryotische Zellen, sondern auch Bakterien eine komplexe, dynamische Organisation aufweisen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Reaktionsbedingungen in Bakterienzellen fundamental von denen im Reagenzglas.

Im Folgenden werden wir auf einige grundlegende physikochemische Begriffe und Theorien eingehen, die für das Verständnis der molekularen Zellprozesse unentbehrlich sind, und die uns zum Leitthema des Buches – Stochastizität von Zellprozessen – zurückführen werden. Da ist zunächst der Begriff der Konzentration. Konzentrationen der Reaktionspartner erscheinen als unabhängige Variable in den kinetischen Gleichungen chemischer Reaktionen. Gleiches gilt für die Beschreibung des chemischen Gleichgewichts – auch hier gehen die Konzentrationen der Reaktionspartner ein, die üblicherweise in Mol pro Einheitsvolumen ausgedrückt werden. Ein Mol eines Stoffes enthält die gigantische Zahl von circa 6,022·1023 Atomen oder Molekülen, als Avogadro-Konstante bekannt, weshalb hier das Gesetz der großen Zahlen beziehungsweise Schrödingers „statistischer Mechanismus“ der Ordnung greift. Der gesetzmäßige Zusammenhang für das chemische Gleichgewicht wird als Massenwirkungsgesetz (MWG) bezeichnet; er wurde erstmals in den Jahren 1864 bis 1867 auf der Grundlage von kinetischen Überlegungen (Betrachtung der Hin- und Rückreaktionen) von dem Mathematiker Cato M. Guldberg (1836 - 1902) und seinem Schwager, dem Chemiker Peter Waage (1833 - 1900), formuliert, später von Josiah W. Gibbs (1839 - 1903) aus den thermodynamischen Potentialen für das chemische Gleichgewicht abgeleitet.31

Die klassischen Theorien der chemischen Kinetik und der phenomenologischen Thermodynamik, speziell das MWG, verkörpern den makroskopischen Determinismus; sie repräsentieren (nahezu) exakte Gesetze und ermöglichen genaue Voraussagen. So sind beispielsweise die das dynamische chemische Gleichgewicht charakterisierenden Konstanten durch den Quotienten der molaren Konzentrationen der Ausgangs- und Endprodukte gesetzmäßig festgelegt. Max Planck, der einen Großteil seiner aktiven wissenschaftlichen Laufbahn thermodynamischen Untersuchungen widmete, benutzte hierfür den Ausdruck Determinismus in der Molarwelt. Weiterhin konstatierte er, dass

Größenordnungsgebiete niemals durch scharfe Grenzlinien getrennt sind, sondern stets allmählich ineinander übergehen. Wir wissen aus der Kolloidchemie und aus der Biochemie, daß es unmöglich ist, molare und molekulare Vorgänge prinzipiell voneinander zu unterscheiden.32

Diese Feststellung wurde durch spätere biophysikalische Untersuchungen bestätigt: Zwischen die makroskopischen und mikroskopischen Systeme schiebt sich die, speziell für intrazelluläre Prozesse, äußerst bedeutsame „Mittelwelt“ der kleinen Systeme. Prozesse auf der physiologischen (interzellulären) Ebene, aber auch eine Reihe von intrazellulären Prozessen, sind im Rahmen des deterministischen Paradigmas beschreibbar. Doch sind es gerade die intrazellulären Kernprozesse, die als stochastisch erkannt wurden.

Zufall im Leben der Zelle

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