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Molekulare Schalter

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Zu den zentralen intrazellulären Interaktionen zählen Protein-Protein- und Protein-Nukleinsäure-Wechselwirkungen. Solche Interaktionen sind mit inhärenten Unsicherheiten verbunden. Daher interessiert uns besonders der Übergang von stochastischen Interaktionen zu deterministischem „Verhalten“. Zwei Modelle bieten sich hierfür an: das Lactose (Lac)-Operon-Modell und der Lebenszyklus des Phagen Lamda (λ) in E. coli. Beides sind paradigmatische Modelle in der Molekulargenetik, die eine bedeutende Rolle in der Entwicklung regulatorischer Konzepte gespielt haben, und, aufgrund des Modellcharakters, nach wie vor spielen.

Modell 1. Das Bakterium E. coli kann neben Glucose auch Lactose als Kohlenstoff- und Energiequelle verwerten – nach Induktion. Der Induktor ist nicht die Lactose selbst, sondern die aus der Lactose enzymatisch gebildete Allolactose. Die Verwertung von Lactose durch E. coli steht unter der Kontrolle des Lac-Operons. Diese genetische Funktionseinheit kontrolliert die Synthese von drei Enzymen, von denen eines, die Permease, den Transport der Lactose durch die Zellplasmamembran ermöglicht, während ein weiteres Enzym, die ß-Galactosidase, die Spaltung der Lactose in Galactose und Glucose katalysiert. Die biologische Funktion des dritten Enzyms, ß-Galactosid-Transacetylase, ist unklar.19

Modell 2. Der Bakteriophage λ infiziert E. coli, indem die Phagen-DNA in das Bakterium eindringt. Das hat zwei mögliche Folgen: Entweder vermehrt sich der Phage, innerhalb von ungefähr 45 Minuten, mit Hilfe der Enzymausstattung seines Wirts und zerstört (lysiert) diesen dabei – unter Freisetzung von ungefähr 50 bis 100 intakten Phagen – oder die DNA eines Phagen wird in die ringförmige DNA des Bakteriums integriert. In letzterem Falle verweilt die Phagen-DNA als Prophage in der DNA der Wirtszelle und wird mit der Wirtszell-DNA verdoppelt. Dieser Lysogenie genannte Zustand kann über sehr viele Zellteilungen stabil bleiben, bis beispielsweise durch Mutationen auslösende UV-Bestrahlung das Wachstum der Wirtszelle gestoppt und stattdessen die Vermehrung des Phagen initiiert wird.20

Die regulierten Prozesse der Lactose-Verwertung und das Lysogenie/​Lyse-Verhalten des λ-Phagen in E. coli veranschaulichen molekulare Schalter. „Schalter“ deswegen, weil die Transkription von proteincodierenden Genen durch eine „Alles-oder-nichts“-Regulation entweder zugelassen oder unterbunden wird. Die wegweisenden Arbeiten von André M. Lwoff (1902 - 1994), Franҫois Jacob (1920 - 2013) und Jacques L. Monod (1910 - 1976) führten zu einer Theorie der Regulation der Proteinsynthese in Prokaryoten; sie kulminierten in der Vorstellung des Operon-Modells im Jahre 1961 und des Allosterie-Konzepts regulatorischer Proteine (1963).

Den „Schalter“ in den betrachteten Lac- und Lambda-Systemen bilden regulatorische Proteine, die als Repressoren bezeichnet werden, und kurze DNA-Sequenzen – sogenannte Operatoren, an denen der jeweilige spezifische Repressor fest, aber reversibel bindet. Durch die Bindung des Repressors wird die Assoziation der RNA-Polymerase an eine als Promotor bezeichnete DNA-Sequenz in direkter Nachbarschaft des Operators unterbunden. Promotor, Repressor-Gen, Operatoren und die proteincodierenden Gene bilden zusammen eine Funktionseinheit – das Operon.21

Der Lac-Repressor war das erste regulatorische Molekül, das isoliert und als Protein identifiziert wurde. Mit Hilfe von Mutanten, die diesen Repressor in großer Anzahl synthetisieren, gelang es, größere Mengen zu gewinnen. Denn im Durchschnitt befinden sich nur 10 bis 20 tetramere (aus vier identischen Untereinheiten zusammengesetzte) Repressormoleküle und ein oder zwei Lac-Operons in einer wachsenden E. coli-Zelle.22 Verblüffung löste ebenfalls die ungewöhnliche Stabilität des λ-Prophagen aus; auch hier war die Zahl der dimeren Repressormoleküle nicht groß: durchschnittlich etwa 100, bei großer Variabilität von Zelle zu Zelle. Und diese geringe Anzahl ist sogar ausreichend, um eine „Immunität“ gegen die Lyse durch weitere in die E. coli-Zelle eindringende Phagen-DNA sicherzustellen.23

In beiden, hier vereinfacht dargestellten, Systemen binden die multimeren Repressormoleküle sehr fest an die Operatoren und blockieren diese praktisch vollständig. Das ist ein erstaunliches Phänomen angesichts der wenigen vorhandenen Repressormoleküle, welche die Operatorsequenzen wirkungsvoll blockieren können.

Die Bindungsstärke des Lac-Repressors an den Operator verringert sich in Gegenwart eines Induktors wie Lactose beziehungsweise Allolactose oder IPTG (Isopropyl-ß-D-thiogalactopyranosid) um mehrere Größenordnungen, was zu einer fast vollständigen Aufhebung der Blockade des Operators und Initiierung der Transkription der Lac-Gene führt. Dieses Bild vermittelten quantitative Bestimmungen der Dissoziationskonstante in vitro, bei Anwendung des Massenwirkungsgesetzes. Tatsächlich wurden in einzelnen E. coli-Bakterien, in Abwesenheit eines Induktors, im Mittel nur fünf ß-Galactosidase-Moleküle gefunden, in voll-induzierten Zellen dagegen über 2.000.24

Diese Übereinstimmung bedeutet jedoch nicht, dass das Massenwirkungsgesetz bedenkenlos auf Reaktionen in der E. coli-Zelle anwendbar ist. Wie wir bereits sahen, ist das MWG eine Relation zwischen den molaren Konzentrationen der Reaktionspartner, gültig unter Bedingungen wie sie in verdünnten Lösungen näherungsweise gegeben sind. Das Zytoplasma der E. coli-Zelle ist jedoch funktionell und strukturell organisiert und „dicht gepackt“ mit niedrigmolekularen Molekülen, Makromolekülen und makromolekularen Komplexen wie den zahlreichen Ribosomen – in physikochemischer Terminologie: inhomogen, anisotrop (richtungsabhängige Eigenschaften aufweisend), hochgradig viskos und diffusionsbehindernd – unter anderem durch strukturelle Barrieren wie die kompakte DNA-Ringstruktur.25 Darüber hinaus gibt es noch einen – entscheidenden – Einwand im Fall der Lac- und Lambda-Systeme: Sowohl die Lac-Repressormoleküle als auch die λ-Repressormoleküle liegen nicht in freier, gelöster Form vor, sondern sind mehrheitlich – im Zeitmittel zu etwa 90 % – an die rund 4,64 Millionen Basenpaare umfassende E. coli-DNA unspezifisch gebunden.26

Letzteres ist ein Beispiel für eine funktionelle Mikrokompartimentierung, durch welche die Wahrscheinlichkeit für spezifische Interaktionen enorm erhöht werden kann. Wie die Repressormoleküle ihre spezifischen Bindungsorte, die Operator-DNA-Sequenzen, lokalisieren, ist nicht sicher geklärt – wiederholte Zyklen von Dissoziation und Reassoziation unter Beteiligung elektrostatischer Kräfte, eindimensionale Diffusion entlang der DNA und andere Mechanismen werden diskutiert. Sicher ist, dass es sich hierbei um stochastische Prozesse handelt, und zwar um äußerst wirksame, schnelle Prozesse, die bis heute nichts an Faszination verloren haben. Sobald ein Repressormolekül in die unmittelbare Nähe der spezifischen Operator-Sequenzen gelangt ist, können Mikrokollisionen stufenweise zur Entstehung eines spezifischen Bindungskomplexes führen. Diese diffusionsvermittelten Assoziationsprozesse wurden mittels Computersimulationen intensiv analysiert.27

Weiterhin bleibt zu erklären, wie es nach erfolgter Assoziation zu einer dauerhaften Blockade der Operatoren durch wenige oder gar einzelne Repressormoleküle kommt. Offensichtlich sind es die besonderen strukturellen und physikochemischen Eigenschaften der beteiligten Makromoleküle und des Nukleoids, der kompakten DNA-Struktur in vivo, welche die erstaunliche Effizienz der Repression bewirken. Der tetramere Lac-Repressor ist ein komplexes Protein: Je zwei der vier Untereinheiten bilden ein Dimer, die beiden Dimere binden an zwei, höchstens 600 Basenpaare entfernte, separate DNA-Bindungsorte (Operatoren), hierdurch eine Schleife bildend. Diese kooperative Bindung an die DNA bewirkt eine drastische Erhöhung der Bindungsfestigkeit, in vitro fast um den Faktor 100.28

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