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Nachhilfestunde

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Draußen hatte zu regnen begonnen und zwar so stark, dass Phil durch Gitterstäbe aus Wasser lief und in kurzer Zeit durchnässt Auch die Bücher hatten ihr Teil abbekommen. Er bereute es, dass er den von der Mutter angebotenen Schirm als „unmännlich“ zurückgewiesen hatte und fragte sich, was denn daran weibisch war, wenn man hinter den Ohren trocken blieb?

Phils Weg führte in das Neubaugebiet von Schützenstadt. Die Straße war nicht betoniert und hatte zahllose Schlaglöcher, in denen das Wasser quirlte.

Kurz vor dem null-acht-fünfzehn-Haus der Familie Kleinschmitt übersprang Phil zwei große Schlammpfützen und rettete sich unter das Vordach des Hauses aus gelbem Preßglas. Er klingelte. Sofort wurde geöffnet, denn Phil hatte sich um fünf Minuten verspätet und war bereits erwartet worden. Herr Kleinschmitt schaute demonstrativ und vorwurfsvoll auf seine Armbanduhr.

Phil zog die Jacke aus und schüttelte den Regen von der Hose.

Armin Kleinschmitt war Rangiermeister bei der Bundesbahn, dem Hauptarbeitgeber in Schützenstadt. Ehefrau Anneliese betrieb einen kleinen Flaschenhandel in der Garage des Einfamilienhauses. Das Geschäft florierte, vor allem nach Ladenschluss. Die Erträge erlaubten Kleinschmitts einige Extraausgaben, zu denen auch die Nachhilfestunden des Sohnes in den Krisenfächern Latein und Englisch zählten.

Sohn Kurt, ein Quartaner, war das einzige Kind der Familie und sollte es unter allen Umständen zu etwas bringen.

„Die mittlere Reife ist das Mindeste“, schrieb Vater Kleinschmitt seinem Sprössling ein ums andere Mal hinter die Ohren.

Zum Unterricht ging es ins Wohnzimmer. Am Esstisch, direkt unter dem Stillleben saßen in erwartungsvoller Spannung Frau Kleinschmitt und der Nachhilfeschüler Kurt, ein untersetzter, etwas rundlicher Zwölfjähriger. Herr und Frau Kleinschmitt ließen es sich nicht nehmen, die Investition in den Aufstieg des Nachwuchses auf Effizienz hin zu überprüfen. Sie hatten sich ausbedungen, als mehr oder minder stille Beobachter den Gang der Dinge verfolgen zu dürfen. Da Phil auf das Geld angewiesen war, hatte er sich -widerstrebend- dieser Form der Qualitätskontrolle beugen müssen.

So konnte es schon einmal passieren, dass sich Herr Kleinschmitt, von der pädagogischen Leistung Phils nicht immer überzeugt, in den Unterricht einschaltete, um sich den „Ablativus absolutus“ erklären zu lassen. Wiewohl er selbst von Latein keine Ahnung hatte und der Meinung war, da „fenestra“ Fenster heiße, „casa“ Käse bedeuten müsse.

Frau Kleinschmitt, unwissend, aber nett und verbindlich lächelnd, verfolgte jeweils mit Stolz und Genugtuung die Ausflüge ihres Ehemannes in die höheren wissenschaftlichen Gefilde.

Herr Kleinschmitt wiederum genoss mit erhobenem Kopfe die Bedeutung, die ihm zukam; er bewies damit, dass er sich nicht nur in den Niederungen des Schienennetzes auskannte, sondern auch höheren geistigen Aufgaben gewachsen war.

Wenn sich der Opa der Familie, der an einem Venenleiden litt, geh fähig fühlte, saß er, leicht an die Wand gerückt, abseits vom Tisch, auf einem anthrazit- gelb-gemusterten Cocktailsessel und legte die Hand trichterförmig an die rechte Ohrmuschel, um nichts von der Nachmittagsvorstellung zu verpassen. Heute war Opa Kleinschmitt nicht anwesend, der Cocktailsessel stand verwaist.

„Nun fangen Sie mal an, befahl Herr Kleinschmitt.

Die benötigten Bücher -Herr Kleinschmitt hatte, um Zeit und Geld zu sparen, jeweils vorher den Filius interviewt und sich von ihm das durchzuarbeitende Übungs- und Aufgabenmaterial präsentieren lassen – lagen bereits aufgeschlagen auf dem Tisch, von dem vorher die beige Häkeldecke entfernt worden war.

„Ich hab’ eine drei in Latein geschrieben!“ verkündete der Quartaner Kurt mit piepsiger Stimme.

Herr Kleinschmitt strahlte über beide Backen zu seiner Ehefrau hinüber: „Die Nachhilfestunden haben sich doch ausgezahlt, nicht wahr Anneliese?“ Anneliese lächelte.

„Sehr schön“, lobte Phil. „Wir haben vorher ja auch tüchtig gearbeitet!“

„Ohne Fleiß kein Preis“, sagte Herr Kleinschmitt.

„Du wolltest.“

„Sehr richtig, liebe Anneliese“, unterbrach Herr Kleinschmitt seine Gattin, „ich wollte, um diesen Erfolg in der Zusammenarbeit zwischen uns und dem Herrn Breitenbach anzuerkennen, also, zu würdigen, da wollte ich sozusagen eine Erfolgsprämie aussetzen.“

Herr Kleinschmitt blähte sich gönnerhaft auf: „Sie bekommen ab heute 50 Pfennig mehr für jede Stunde. Wenn Sie einverstanden sind!“

„Wir schulden Ihnen ja so viel“, sagte Frau Kleinschmitt.

„Lass gut sein, Anneliese“, unterbrach sie Herr Kleinschmitt, „dafür kriegt er ja jetzt auch das Geld!“

„Ich habe nur meine Pflicht getan“, wehrte Phil die Erkenntlichkeit ab, fügte aber hinzu, damit keine Zweifel aufkamen „Natürlich nehme ich die 50 Pfennig an!“ Auch Selbstverständlichkeiten haben ihren Preis!

„Ich behalte mir allerdings vor, die Prämie zu streichen, wenn sich der Erfolg nicht fortsetzt“, fuhr Herr Kleinschmitt unnachsichtig fort.

„Ach Armin, sei doch nicht so streng, Du verschreckst ja den Herrn Breitenbach regelrecht.“

„Nein, Anneliese, der Herr Breitenbach versteht das schon. Es muss alles seine Richtigkeit haben. Uns ist im Leben auch nichts geschenkt worden.“

Armin Kleinschmitt kam in Fahrt. Er näherte sich seinem Lieblingsthema.

„Ich habe mich auch ganz schön abrackern müssen, bis ich es zum Rangiermeister gebracht habe. Das war ein hartes Stück Arbeit. Die jungen Leute von heute haben das Schaffen verlernt. Die wollen nur ein leichtes Leben führen und sich auf unsere Kosten einen angenehmen Lenz machen. Das kann nicht gutgehen. Wer weiß, wo das alles noch hinführt.Und unser Häuschen, das mussten wir uns auch vom Munde absparen, Herr Breitenbach. Mein Schwager und ich, wir haben alles alleine gemacht, nach Feierabend und am Wochenende. Aber wenn dann alles fix und fertig da steht, dann ist man doch stolz. Das entschädigt für Vieles! Und wir haben es doch auch schön hier, nicht wahr Anneliese?“

Anneliese schaute zu ihrem Armin auf und nickte achtungsvoll.

„Also – wir verstehen uns, Herr Breitenbach, nicht wahr?“

„Alles klar“, sagte Phil.

„Nachdem das geklärt ist, nun aber schnell an die Arbeit!“ Herr Kleinschmitt gab seinem Sohn einen Knuff, der gerade in der Nase bohren wollte. Sodann setzte sich Herr Kleinschmitt auf seinem Stuhl zurecht und reckte seine bescheidene Körpergröße so weit wie möglich über den Wohnzimmertisch.

Kur t schaute griesgrämig.

Phil begann mit dem Nachhilfeunterricht. Konjugation. Unregelmäßige Verben. Er legte sich mächtig ins Zeug. Um die Besoldungserhöhung zu rechtfertigen, überschritt er am Schluss die Unterrichtszeit um 5 Minuten.

Herr Kleinschmitt war zufrieden. Draußen auf dem Flur zahlte er den erhöhten Lohn für den zurückliegenden Monat aus und Philipp machte sich auf den Heimweg. Statt 2,50 DM 3,00 DM die Stunde, mal vier = 12,00 DM. Er konnte das Geld gut gebrauchen, jetzt, wo in Bad Klosterbrunn Lullus-Fest war!

Und allmählich wurde es auch Zeit für eine Rücklage, denn im Dezember standen Schulball und Kauf von Weihnachtsgeschenken an: Da hieß es Vorsorge treffen!

Zwar hatte Dankmar Streuselbaum im Religionsunterricht auf die Vögel verwiesen, die nicht säten und nicht ernteten und dennoch vom himmlischen Vater ernährt würden, aber darauf wollte es Phil doch nicht ankommen lassen.

Der Regen hatte aufgehört. Überall lag gerolltes, bräunliches Laub auf den nassen Straßen und Gehwegen.

Der Herbst setzte sich durch.

Der Schulball

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