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Nietzsches Masken

Nietzsches Masken

I.

„Nachdem der „Homo poeta“ im vierten Akt seiner Tragödie alle Götter umgebracht hatte, sagte er: ‚Was soll nun aus dem fünften werden! Woher noch die tragische Lösung nehmen! – Muss ich anfangen, über eine komische Lösung nachzudenken?“

(Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft)

Nachdem mich im Laufe meines Lebens alle Götter und bösen Geister umgebracht hatten, musste auch ich für den letzten Akt meines Lebens über eine „komische Lösung" nachdenken.

Eine komische Lösung? Sollte ich lachen, wenn mir nichts mehr blieb? Sollte ich lachen, wenn ich keinen Ausweg sah? Sollte ich lachen, wenn ich weinte? Soll ich lachen, wenn mein Leben zu Ende geht?

Doch, gerade dann, hier wird das Lachen zu einem Darüber-Hinaus. Das ist das Lachen trotz Verzweiflung und Ausweglosigkeit. Das ist das Lachen jenseits vom Weinen. Das ist das Lachen jenseits von Schmerzen, Tod und Vergänglichkeit. Das ist das Lachen jenseits der menschlichen Begrenztheit. Das ist das Lachen trotz der menschlichen Dummheit und Eitelkeit. Das ist das Lachen hinter der Maske des Clowns. Das ist das Lachen hinter Nietzsches Masken.

Die Themen von Nietzsches Masken haben mich mein Leben lang begleitet, unbewusst und ungewollt, denn ich war, was die Masken verspotten. Ich war der Clown, der Narr und der überhebliche Besserwisser. Ich identifizierte mich mit meiner Schwäche, mich nicht verteidigen zu können. Ich identifizierte mich mit meiner Abhängigkeit von meinen Lebensumständen. Ich identifizierte mich mit meinem Versagen und Nicht-Können. Ich identifizierte mich mit meinen Fehlgriffen und Fehlentscheidungen. Ich identifizierte mich mit meiner Feigheit und mit meinem So-Sein. Ich identifizierte mich mit den Gegebenheiten des täglichen Lebens. Ich schob jede Verantwortung von mir: „Das Leben ist eben so. Was kann ich daran ändern?“ Das war meine Rechtfertigung.

Die menschliche Seele ist träge. Sie will den Status quo. Das ist ihr Arkadien.

Erst im Kampf verbarg ich mich instinktiv hinter Masken. Erst in der Reaktion gegen meine Vernichtung verschwand ich hinter geschminkten Fassaden, instinktiv. Das war ein Fluchtreflex. Ich wusste es nicht. Ich kämpfte, um zu überleben. Die Flucht in die Maske, in die Camouflage war mein Überlebensmodus.

Dann las ich Deine Todesanzeige. Da wachte ich aus dem Schlaf des seligen Vergessens auf.

Dir geht es gut. Du bist glücklich und zufrieden.“, das war meine Rechtfertigung, ein Leben lang. Das war meine Lüge mir selber gegenüber. Das war meine Lüge, Dich zu vergessen.

Meine Lüge? Meine Lüge! Ich war im Engadin gefangen. Als ich abfuhr, wusste ich, dass ich log: „Ich kann die Gegebenheiten nicht ändern.“ Das war eine Lüge. Man kann immer, wenn man will.

Ich aber habe das Engadin in den Bücherschrank gestellt. Ein Buch unter Büchern, eine Sache unter anderen, eine Erinnerung an die nächste. Wir haben unsere Gewohnheiten. Es häuft sich an, ein ganzes Leben mit Fotos, Nippes, Erinnerungen, Nostalgie, Klüngel, Plunder und Klimbim. Daran darf keiner rühren.

Nicht? Nein! Jedes Mal, wenn ich daran rührte, verbrannte ich mich. Ich wagte es nicht, in meine Seele zu schauen. Ich konnte nicht in meine Seele schauen. Ich wollte nicht meine Feigheit sehen. Ich durfte nicht meine Feigheit sehen. Ich verschwand in meinem Trauertal.

Silvaplana Blue? Fang bloß nicht an zu spinnen. Weiter, immer weiter, jeden Tag, immer weiter trotteln.

Wohin? Einfach fallen lassen. Sich gehen lassen. „Was kann ich ändern?“ „Gar nichts!“

Das „Gar nichts“ wurde zur Rechtfertigung meines Lebens.

Gar nichts? Kann man gar nichts tun? Alles, was ist, ist konkret, sagt Wittgenstein. Dann ist auch das Gar-Nichts konkret. Aber ja doch, es ist! Wir tun nichts, also sind wir nichts.

Es geht uns nichts an! Also sind wir dieses Nicht-Angehen. Wir trotteln, im Leben, in der Masse, mit der öffentlichen Meinung, im Konsensus. Also sind wir dieses Trotteln, diese Wiederholung des Nichts und Nichts und Nichts bis in alle Ewigkeit. Unser Leben wird zu diesem Nichts. Wir werden dieses Nichts. Das ist konkret.

Damit komme ich zu Nietzsches Masken.

Denn im Erwachen, im Erkennen war die Lüge zu ende. Was mir blieb waren die Masken.

II.

Nietzsches erste Maske ist die heitere Maske Epikurs. Diese Maske ist „Eine der feinsten Verkleidungsformen“ des Leidens. Sie ist Maske der Heiterkeit, die um ihrer selbst willen missverstanden werden will. Diese Menschen „wollen missverstanden sein“, sagt Nietzsche.

Nietzsches zweite Maske ist die Maske der Wissenschaft, welche sich einen „heiteren Anschein“ gibt. Dieser heitere Anschein lasse darauf schließen, „dass der Mensch oberflächlich“ sei. Diese Menschen „wollen zu einem falschen Schluss verführen“, sagte Nietzsche.

Nietzsches dritte Maske ist der freie freche Geist. Es ist die Maske der Menschen, „welche verbergen und verleugnen möchten, dass sie zerbrochene, stolze, unheilbare Herzen sind … und bisweilen ist die Narrheit selbst die Maske für ein unseliges allzu gewisses Wissen“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse)

Hinter den Masken versteckt sich die Verzweiflung, die sich selber überwindet, die sich selber reflektiert und die über sich selber lächelt. Das ist eine Verzweiflung, die sich im Lachen aufhebt.

Epikurs Maske der heiteren Gelassenheit über Schmerz und Tod, über den Verlust von Liebe und über die Sehnsucht hinweg,ist das Lachen aus dem Leiden, im Leiden, vom Leiden und über das Leiden hinaus.

Nietzsches Maske des wissenschaftlichen Menschen ist ein spöttisches Spiel und ein lächelnder Spiegel menschlicher Hochmut, gefangen und eingefangen in sprachlichen Masken.

Die Maske des Narren ist ein verzerrtes Narrenspiel vom Driften des Menschen in den Wiederholungszwang, in die Gleichgültigkeit, in Neurosen, Psychosen und Traumata. Die Maske des Narren spiegelt spottend das langsame Sterben des Menschen. Sie repräsentiert die Erstarrung und Verkümmerung des Lebendigen und die langsame Transformation des Lebendigen in Materie.

Die Maske des Narren spiegelt und verbirgt die Todesangst des Menschen vor dem Auslöschen der Individualität mit Spott und Hohn vor dem Spott und Hohn der Menschen.

Nietzsche bittet um Ehrfurcht vor den Masken.

Silvaplana Blue III - Masken göttlicher Heiterkeit

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