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1.3 Der geschichtliche Faden zurück, oder: Der Seeweg nach Südamerika
ОглавлениеDie Amazonen errichteten ihr Reich in einem Gebirgsland, denn nur dort konnten sie Städte aus Stein erbauen. Sie brachten die Kunst der Steinbearbeitung und die weiteren handwerklichen Künste aus einem anderen Gebirgsland mit, in dem das Volk der Arawak einmal heimisch gewesen war, aus den Anden Kolumbiens und Perus. Lange vor dem Inka-Reich (ab 1440 n.u.Z.) gab es hier verschiedene kulturelle Zentren, die auf uralter Ackerbautradition und matriarchaler Sozialordnung beruhten. Ein jüngeres Zentrum, das an die Zeit der Inka heranreicht, war die Chibcha-Kultur mit fünf größeren, aufeinander folgenden Reichen, an Bedeutung den Reichen von Mexiko und Peru vergleichbar.68 Die Chibcha-Kultur begann ab 500 n.u.Z. als matriarchale Ackerbau- und Handelskultur, sie hat viele Kulturelemente mit den Arawak gemeinsam.69 Die archäologischen Funde zeigen, dass diese Kultur sich mit solchen Eigenschaften wie Steinhäusern, Terrassen, Bewässerungsanlagen, Straßen, Dämmen und Megalithplätzen in den Anden Kolumbiens und in Mittelamerika bis zur Halbinsel Yucatán ausgebreitet hat. Zugleich stieß sie, von den Anden kommend, energisch nach Osten in die Sub-Anden-Gebiete des Urwalds vor und siedelte besonders an den Oberläufen der großen Stromsysteme. Erst in den weiten, flachen Zonen des Urwalds wird sie allmählich schwächer. Unter dem Druck von neu einwandernden, patriarchalisierten Völkern, die von Westen kamen, wurde die Chibcha-Kultur immer stärker männerzentriert, bis sie zuletzt patriarchale Reiche ähnlich dem Inka-Reich bildete. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Arawak, die vermutlich die ältesten Träger der Chibcha-Kultur waren, dem Druck der Völker von Westen in den Anden Kolumbiens und Perus ausgewichen sind und in die weiten Gebiete der Nordküste Südamerikas und des östlichen gelegenen Urwalds auswanderten. Dabei nahmen sie ihre alte, hochentwickelte Kultur mit. Einige Arawakstämme werden wohl auch im Anden-Gebiet von den Neuankömmlingen unterworfen und in deren patriarchale Reiche eingegliedert worden sein.70
Es gibt noch heute kleine Volksgruppen, die mit den Chibcha verwandt sind. Sie haben zwar die Kulturhöhe ihrer Vorfahren verloren und leben sehr verborgen, weisen aber interessante Züge auf: So folgen die die Capaya im Bergwald von Ecuador noch immer der Matrilinearität, errichten Sippenhäuser als Pfahlbauten und besitzen eine hohe Bootsfahrkunst (Abb. 3, siehe auch Abb. 2).71 Ein anderes Beispiel sind die Schipibo im Regenwald von Ost-Peru; auch sie besitzen noch Matrilinearität und Matrilokalität, und die Frauen haben ein großes Selbstbewusstsein im Vergleich zu Frauen von anderen Urwaldstämmen (Abb. 4).72 In der Sierra Nevada de Santa Martha im Norden Kolumbiens leben die Kagaba-Kogi; sie sind jetzt bilateral organisiert, das heißt, die Verwandtschaft der Töchter geht nach den Müttern, die der Söhne nach den Vätern, und sie kennen noch Sippenwechselheirat. Sie glauben an eine Schöpferingöttin namens »Gauteaovan«, die in Gestalt der Gebärmutter verehrt wird. Dabei werden sowohl die Erde und alle ihre Berge wie auch der Himmel als Gebärmutter aufgefasst, und der ganze Kosmos stellt in neun Schichten die neun Töchter dieser Urmutter dar.73 Jeder Tempel der Göttin, den sie errichten, hat die Form einer Gebärmutter und ist für sie ein Abbild des Kosmos (Abb. 5).
Abb. 3: Capaya-Frauen in ihrem Sippenhaus (aus: Bild der Völker, Bd. 5, Wiesbaden 1974, Brockhaus Verlag, S. 162)
Abb. 4: Ältere Schipibo-Frau (Foto: Sandra Schett)
Abb. 5: Kágaba-Kogi-Indianer bei ihrem Bergheiligtum in der Form einer Gebärmutter (aus: Bild der Völker, Bd. 5, Wiesbaden 1974, Brockhaus Verlag, S. 171)
Außer der hochstehenden historischen Chibcha-Kultur geht sehr wahrscheinlich auch die megalithische Tiahuanaco-Kultur am Titicaca-See in Bolivien (ab 550 n.u.Z.) mit den archäologischen Stätten in der Umgebung auf die Arawak zurück. Denn auch im bolivianischen Hochland haben sich kleine Gruppen mit abgesunkener Kultur erhalten, die mit den Arawak verwandt sind, sogar eine arawak-ähnliche Sprache sprechen. Es sind die Chipaya am Copaisa-See und bis vor kurzem die Uru am Titicaca-See, die ich bereits erwähnt habe (siehe Karte 1).74 Die Vorläuferin der Chibcha-Kultur und der Tiahuanaco-Kultur war die frühe Ackerbaukultur von Chavin (Peru, ab 1000 v.u.Z.), begleitet vom Kulturzentrum auf der Halbinsel Paracas (Peru, ab 600 v.u.Z.). Auf sie folgten die Kulturzentren Nazca und Moche (Peru, ab 0 u.Z.). Zu den Vorläuferinnen gehört auch die Malagana-Kultur im südlichen Kolumbien. Es ist auffallend, dass alle diese frühen Kulturen an der Pazifikküste Südamerikas liegen, mit einigen Ausläufern entlang kleiner Flüsse am Fuß der Anden.
Der Ursprung von diesen allen war jedoch die erste matriarchale Kultur auf amerikanischem Boden überhaupt, die Valdivia-Kultur, mit großen Königinmüttern und einer Fülle elementarer Göttinnenskulpturen (ab 3000–1500 v.u.Z.). Auch sie erschien an der Pazifikküste Südamerikas, nahe beim Golf von Guayaquil in Ecuador, und breitete sich dann in diesem Gebiet aus.75 Obwohl sehr einfache Keramik vereinzelt schon früher vorkam, aber das gesamte kulturelle Erscheinungsbild vor-keramisch blieb, tauchte mit der Valdivia-Kultur plötzlich eine ungewöhnlich hoch entwickelte Keramik und Skulpturenkunst auf, in voller Blüte und scheinbar aus dem Nichts. Auch der Ackerbau nahm hier einen plötzlichen Aufschwung. Die Nahrungspflanze Mais war schon früh in Mittelamerika kultiviert worden (ca. 5000 v.u.Z.). Aber es dauerte noch lange, bis sie zum Grundnahrungsmittel wurde und sich die Ökonomie ganz auf sie stützte.76 Fast zeitgleich mit der Valdivia-Kultur und örtlich benachbart begann die Machalilla-Kultur, die wie Valdivia mit Fischfang verknüpft war, doch zugleich mit der systematischen Zucht der für Amerika typischen Pflanzen begann: Mais, Maniok, Bohnen, Kürbis und Kartoffeln. Auch in der Valdivia-Kultur hatte man sich bereits überwiegend vom Pflanzenanbau ernährt. Die zeitlich unmittelbar anschließende Kultur von Chorrera, an einem benachbarten Flusslauf gelegen, besitzt dann voll entwickelten Ackerbau.77
Dieses sehr frühe Zentrum Valdivia an der Bucht von Guayaquil (Ecuador) ist die erste Kultur in ganz Amerika, die alle Errungenschaften der Jungsteinzeit besitzt, mit ihr beginnt diese Epoche.78 Daher hatte die Valdivia-Kultur einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Süd- und Mittelamerika, wovon die Ausbreitung dieser kulturellen Güter entlang der Pazifikküste sowohl nach Süden als auch nach Norden zeugt. Denn diese Menschen waren geübte Bootsfahrer, und mit dem Schiff gingen ihre Reisen entlang der Küste leicht und schnell. Funde dieser frühen Keramik-Kunst wurden sogar an der nördlichen Atlantikküste Südamerikas gemacht, die über einen Flusslauf, der nahe der Pazifikküste in den Bergen entspringt, aber an der Atlantikküste mündet, gut zu erreichen war (Karte 2). Damit stand der weiteren Ausbreitung an der gesamten Nordküste Südamerikas kein Hindernis mehr entgegen, so dass auch die Flussmündungen der großen Ströme Orinoko und Amazonas entdeckt werden konnten (siehe Karte 1). Mit dieser Kulturwanderung verbunden waren eine weit entwickelte Ackerbaukultur, eine hohe Keramik-Kunst und die matriarchale Sozialordnung in Südamerika – wie die Arawak sie später noch zeigen. Daher verlief der Kulturstrom in Amerika, was die jungsteinzeitliche Epoche betrifft, nicht von Norden nach Süden, sondern von Süden nach Norden.79
Die matriarchale Gesellschaftsform mit Ackerbaukultur begann in Südamerika also eindeutig an der Pazifikküste, und zwar auf der ganzen Länge von Kolumbien und Ecuador bis Peru und Chile. Von dort verbreitete sie sich ebenfalls von Westen nach Osten, nicht umgekehrt. Von Westen nach Osten drängten später patriarchalisierte Stämme nach, wobei der immer schärfer werdende Patriarchalisierungsprozess sich im Westen abspielte, insbesondere auf dem Anden-Hochland. Dadurch ausgelöst ging der Auswanderungsweg der Arawak ebenso nach Osten, teils auf die Orinoko-Berge im Urwald, teil an die Nordküste Südamerikas und später nordwärts auf die Antillen-Inseln. Daraus ergibt sich als erste Frage: Woher kamen die Menschen der matriarchalen Valdivia-Kultur, die so plötzlich an der Pazifikküste Südamerikas erscheint und die jungsteinzeitliche Epoche auslöste? Eine zweite Frage ist: Wodurch entstand die Patriarchalisierung von Stämmen in Südamerika, welche die ältere, matriarchale Kultur der Arawak nach Osten und später nach Norden verdrängten?
Zunächst soll die Antwort auf die erste Frage gefunden werden: Es liegt der Schluss nahe – den auch etliche Forscher und Forscherinnen gezogen haben – dass die Kulturwanderung sporadisch schon in sehr früher Zeit und danach zunehmend verstärkt über den Pazifischen Ozean gegangen ist und die Küsten Süd- und Mittelamerikas erreichte. Denn es gibt auffallende Ähnlichkeiten zwischen den frühen matriarchalen Kulturen und ihrer Keramik-Kunst in Ostasien, besonders der Yüeh-Kultur in Südchina, und den Kulturen von Valdivia und Umgebung. Dieser Zusammenhang war oft das Thema detaillierter Nachforschungen.80 Leider haben diese Forschenden ihre Untersuchungen mit der sehr unwahrscheinlichen Hypothese verknüpft, dass diese Menschen ihre Fahrt über den Pazifik in einer einzigen, ununterbrochenen Reise machten. Sie sollen gleichermaßen ahnungslos – wie später Kolumbus in den Atlantik – von China in den Pazifik aufgebrochen sein und schließlich per Zufall an der Westküste Südamerikas angekommen sein, irgendwie durch die Ozeanströme dorthin getrieben. Das ignoriert die viel plausiblere Erklärung, dass diese Kulturwanderung über den Pazifik in wohlgeordneter Auswanderung von Inselgruppe zu Inselgruppe im Zeitraum von Jahrtausenden stattfand, genauso langsam wie sie von den Polynesiern in einer späteren Kulturphase vollbracht wurde. Sie haben auch die Osterinsel erreicht, wo sie jedoch schon andere Volksgruppen antrafen, unter diesen ein rätselhaftes, sehr altes Kulturvolk, die »Steinleute«, die schon lange vorher auf der Insel lebten.81 Nach indigener Tradition unternahmen Männer und Frauen von der Osterinsel aus Erkundungsreisen zu dem »Großen Land im Osten« – was ihr Name für den südamerikanischen Kontinent war.82 Ebenso konnten andere Volksgruppen in wohlgeordneter Entdeckungsreise um neues, bewohnbares Land zu finden auf die Galápagos-Inseln gelangt sein, die wie ein letzter Trittstein vor der Küste Ecuadors liegen, genau auf der Höhe der Bucht von Guayaquil. Von diesen Inseln ist es nicht mehr weit zum Kontinent, und genau dort blühte die Valdivia-Kultur auf (siehe Karte 1). Für diese Auffassung spricht vieles. Denn es gibt außer der Keramik-Kunst noch weitere verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den pazifischen Inselkulturen und den frühen Kulturen Südamerikas, insbesondere was ihre Megalith-Architektur betrifft; das stellt einen sehr wahrscheinlichen, frühgeschichtlichen Zusammenhang her.83 Auch ihre Schifffahrttechnik – die man diesen frühen Menschen nicht zutraute – war weit entwickelt genug für solche Reisen. So haben die späteren Polynesier längst bewiesen, dass ihre einfach wirkenden, doch technisch raffinierten Auslegerboote über Tausende von Meilen hochseetüchtig sind, mit denen sie die pazifische Inselwelt über riesige Wasserstrecken hinweg zum zweiten Mal besiedelten (1000 v.u.Z. bis 1000 n.u.Z.).
Karte 2: Kulturausbreitung entlang den nordwestlichen und nördlichen Küsten von Südamerika
Diese Perspektive bringt Licht in sonst unverstandene Legenden und Berichte aus Polynesien. Denn als die späteren Polynesier, geführt von ihren Kriegerhäuptlingen, den »Raiatea«, diese Inselwelten während zweitausend Jahren nochmals entdeckten, fanden sie überall schon Ansässige vor, was sie zu kriegerischen Eroberungen der Inseln veranlasste. Diese frühesten Inselbewohner konnten nicht anders als sie selbst, nämlich mit außerordentlich seetüchtigen Booten, dorthin gekommen sein. Sie besaßen den ersten Ackerbau und waren matriarchal organisiert, was zum Beispiel die Mythen von Pelés Clan auf Hawai’i eindrücklich schildern. Pelé war eine Göttin-Königin, die mit ihrem Volk die Inseln von Hawai’i in Schiffen erreichte und besiedelte, lange bevor die polynesischen Kriegerhäuptlinge ankamen.84 Der Sohn Pelés sowie ihr Volk hießen »Menehune«, und diese Menehune sollen in allen Künsten außerordentlich geschickt gewesen sein. Sie konnten Mauern aus behauenen Steinen errichten, die sie ohne Mörtel mit perfekten Fugen aufeinandersetzten (archäologische Funde auf Hawai’i), und auf diese Weise bauten sie Häuser, Terrassen, Bewässerungsanlagen, Aquädukte und Straßen. Sie werden von manchen Forschern als die Urbevölkerung der polynesischen Inselwelt angesehen, die eine erstaunlich hochstehende Kultur besaßen, die sie auf Tahiti und Hawai’i wie auch auf der Osterinsel entfalteten. Doch als später die stolzen, polynesischen Kriegerhäuptlinge ankamen und sie bekämpften, flohen die Menehune in die dichten Bergwälder und »verschwanden spurlos« von den Inseln, so dass sie heute als Legende gelten. Sehr wahrscheinlich sind sie mit Booten aus dem Holz der Bergwälder weiter übers Meer gezogen, in Richtung Osten vor ihren Bedrängern. Dabei erreichten einzelne Sippen dieser Menehune die Osterinsel, die Galápagos-Inseln und Mittel- und Südamerika, wo noch heute die Zeugnisse ihrer hoch entwickelten Megalith-Architektur zu finden sind.
Dies zeigt den Weg, den die Valdivia-Kultur nahm. Sie kam als die Kultur der Urbevölkerung des Pazifik, der Menehune, übers Meer und stieß als früheste matriarchale Ackerbaukultur die weitere jungsteinzeitliche Entwicklung in Süd- und Mittelamerika an. Es würde das plötzliche Erscheinen dieser Kultur auf amerikanischem Boden erklären, wobei ihr Weg allerdings nicht plötzlich war, sondern als die erste Besiedelung der pazifischen Inselwelt lange Jahrtausende brauchte. Auch die Besonderheit dieser Kultur zeigt die Kontakte zwischen Polynesien und Südamerika, zum Beispiel ist die Süßkartoffel, eine Pflanze, die in den Anden kultiviert wurde, auch in Polynesien verbreitet.85 Zusätzlich zur Ähnlichkeit der Kulturgüter bestätigt die moderne Genetik solche Kontakte: Es gibt eine genetische Abstammungslinie, die als einzige nicht nach Sibirien oder Alaska verweist – woher angeblich alle frühen Völker in den amerikanischen Doppelkontinent eingewandert sein sollen. Sie ist in Süd- und Mittelamerika am stärksten vertreten und reicht mit dem nördlichsten Ausläufer bis zu den Inselkulturen der Nordwestküste von Nordamerika. Ihre Herkunft verweist nach Südostasien.86
Damit markiert Valdivia den frühesten Beginn des Matriarchats in Südamerika, das über den Pazifik kam.87 Die Arawak und die südamerikanischen Amazonen spiegeln dagegen eine späte Phase derselben Kultur, als diese durch nachrückende patriarchale Stämme in Bedrängnis gerieten und aus ihren angestammten Gebieten nach Osten und Norden vertrieben wurden. Damit kommen wir zur zweiten Frage: Wodurch entstand die Patriarchalisierung in Südamerika, die diese Verdrängung verursachte?
Auch darauf lässt sich eine Antwort finden: Es gibt ebenfalls bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen der Kultur der späteren polynesischen Kriegerhäuptlinge und den Sitten patriarchalisierter, südamerikanischer Stämme, wie zum Beispiel den Kariben und Tupi. Beide Gesellschaften bildeten geheime Männerbünde und schlossen Frauen generell aus ihren offenen Tempeln aus, die in Polynesien »Marae« heißen.88 In diesen Ahnentempeln schworen sich die Männer Bündnistreue, führten die Vaterlinie ein, nachdem sie Jünglinge rituell selbst »neugeboren« hatten, und tauschten Geheimnisse aus, die unter Androhung strenger Strafen vor Frauen und Nichteingeweihten bewahrt werden mussten. Eine Hierarchie wurde aufgebaut, an deren Spitze der Kriegerhäuptling mit reichen Privilegien stand. So kamen diese Geheimbünde einer Kriegerkaste gleich, in der Raub, Krieg und Beuteverteilung organisiert wurden. Der Inhalt der Geheimnisse bestand in der Verehrung von patrilinearen Ahnen, denen in den offenen Tempeln männliche Gefangene geopfert wurden. Zuletzt wurden Trophäen aus ihnen gemacht. Kannibalismus, Schädelkult, Tänze mit Vermummung und Gesichtsmasken dienten ebenfalls dieser Art von Ahnenverehrung.89 Die Medizinmänner des Stammes waren regelmäßig Mitglieder der Bünde. Sie besaßen besonders zauberkräftige Sprüche und Substanzen, und sie erzählten die alten Mythen des Stammes neu, nämlich vermännlicht und mit herabsetzender Ideologie gegen die Frauen. Religion wurde auf diese Weise in soziale und politische Macht pervertiert.90
Im pazifischen Raum und Südamerika zeigen diese geheimen Männerbünde die hier genannten, gleichen Muster. Die polynesischen Kriegerhäuptlinge bildeten mit ihren Kriegern solche Bünde, die sie durch die langen Wanderungszüge auf dem Ozean und die anschließenden Kriege gegen die ansässige Urbevölkerung der pazifischen Inseln aufgebaut hatten. Sie unterwarfen diese Erstbevölkerung, soweit sie nicht fliehen konnte, und machten sie zu Sklaven, welche die Last der Arbeit zu tragen hatten. Dabei wurden deren handwerkliche Künste durch die neuen Herren ausgenutzt. Strenge Sozialhierarchie gliederte ab jetzt die allgemeine Gesellschaft, was den Reichtum der Häuptlinge und eine Intensivierung der polynesischen Seefahrt erst zuließ. Auf den Gesellschaftsinseln mit Tahiti und dem Marquesas-Archipel hieß diese versklavte, arbeitende Urbevölkerung noch »Manahune« oder »Makaainana«, und mit letzterem Wort wurde sie auch in Hawai’i benannt.91
Aber wie weit einzelne Stämme der Urbevölkerung, die Menehune mit ihrer matriarchalen Kultur, auch über den Ozean reisten, die Bedränger folgten ihnen irgendwann. Denn auch deren Stämme wuchsen allmählich und suchten neues Land, auch sie fanden die Küsten Südamerikas (später als 1000 n.u.Z.). Hier stießen sie auf ähnliche Verhältnisse wie im Pazifik, das heißt, das Land war schon vor ihnen besiedelt worden. Darum ließen hier die patriarchalen Formen von permanentem Kleinkrieg, Raubzügen und Verdrängung oder Unterwerfung der Urbevölkerung keineswegs nach. Vermutlich wurden auch sie selbst schließlich durch weitere patriarchale Neuankömmlinge bekämpft und weitergedrängt. Es entstand ein Bevölkerungsdruck und Völkergeschiebe in der Küsten- und Andenregion im Westen Südamerikas. Aber wie weit die älteren, matriarchalen Völker, wie die Arawak, auch über Land vor ihren Bedrängern flohen, diese folgte ihnen irgendwann mit der immer gleichen Aggressivität. Zuletzt wurde das südamerikanische Drama zwischen matriarchalen und patriarchalen Völkern schlagartig beendet durch Kolumbus und die Spanier, die ihrerseits eine verheerende, tödliche Art von Patriarchat mitbrachten.