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Оглавление‚... fünf, sechs, sieben.‘
Verena blieb vor dem Schreibtisch stehen. Sieben Schritte für anderthalb Meter Luftlinie. Sie schüttelte den Kopf.
Das Zimmer war überfrachtet mit Büchern und Zeitschriften, die aufeinandergestapelt auf dem Boden hohe Türme bildeten, da die Regale überquollen und sich unter der Last der Bücher bogen. Keine Ecke, kein Winkel in diesem Raum war ungenutzt. Für notwendige Wegstrecken, etwa vom Schreibtisch zum Fenster oder zur Türe, hatte Klaas Hildebrandt fußwegbreite Gassen gelassen. Es roch nach alten Büchern und kalter Asche. Staubpartikel – durch die einfallenden Sonnenstrahlen sichtbar geworden – tanzten durch die Luft. Verena sah auf den Schreibtisch herunter und wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Unmengen handbeschriebener Notizzettel, Kugelschreiber und Bleistifte lagen verstreut um die Tastatur, daneben eine Tasse mit eingetrocknetem Kaffeesatz und ein randvoller Aschenbecher. Links und rechts des Monitors wuchsen Papierstapel turmhoch an die Zimmerdecke. Auf der Tastatur lagen zwei zerknüllte Papiertaschentücher. Die EDV würde sie nachher den Leuten von der Technik überlassen.
„Kein Mann, dem es auf Äußerlichkeiten ankam“, sagte Benno, als er aus dem Schlafzimmer kam. „Ein einziger Anzug hängt im Schrank und nur zwei saubere Hemden. Die übrige Wäsche liegt auf dem Bett, besser gesagt, auf der Matratze, und die liegt auf dem Boden.“
„Als ob jemand was gesucht hätte?“, fragte Verena.
„Als ob jemand mit dem Wort Ordnung nichts anfangen könnte“, gab Benno zurück, während er durch die Gasse, die von der Schlafzimmertür zum Schreibtisch führte, auf Verena zukam. Verena zählte seine Schritte. Es waren elf. Elf Schritte für zweieinhalb Meter Luftlinie. Benno hatte das halbe Wohnzimmer durchquert, bis er bei Verena angekommen war.
Sie nahmen jetzt jeden Zettel in die Hand, lasen ihn und drehten ihn in alle Richtungen. Im Hintergrund wirbelte die Spurensicherung weiter Staub auf. Es war heiß und stickig. Schweiß rann Verena den Rücken hinunter und kitzelte in der Pofalte. Aus ihrer Tasche war leises Hecheln zu hören. Sie machte sich auf den Weg, das Fenster zu öffnen, das direkt neben dem Schreibtisch war. Sie musste am Wohnzimmertisch vorbei, rechts abbiegen, dann links hinter der Couch entlang die Musikanlage passieren. Als sie das Fenster erreicht hatte, öffnete sie es und atmete tief ein.
„Das hier könnte interessant sein, Chefin“, sagte Benno, als sie wieder neben ihm stand. Sie überragte ihn fast um Haupteslänge.
„19! Was der Mann an Energie verschwendet hat“, sagte Verena kopfschüttelnd.
Benno hielt einen Briefumschlag in der Hand, der zuoberst auf einem Stapel identischer Umschläge gelegen hatte. Alle ungeöffnet.
Verena nahm ihn und betrachtete ihn von allen Seiten. Er war per Nachsendeantrag an die hiesige Adresse geschickt worden. Absender war eine Bernadette Hildebrandt. Aus Kolumbien. Medellin. Verena riss den Umschlag auf und las:
Klaas,
das ist endgültig mein letzter Brief!
Du antwortest nicht. Reagierst nicht. Es ist schäbig, wie du dich verhältst.
Ich schaffe es nicht ohne das Geld für Gustavo, DEINEN Sohn.
Ich musste ihn von der Privatschule nehmen. Was staatliche Schulen in diesem Land bedeuten, muss ich dir nicht erklären.
Meinen Eltern kann ich nicht länger auf der Tasche liegen.
Vier Wochen gebe ich dir noch!!!
Bernadette
Der Brief war datiert auf den 7. Mai. Die vier Wochen waren längst verstrichen.
„Wahrscheinlich steht in allen Briefen dasselbe. Er hat sie nicht mal mehr geöffnet“, sagte Verena. Sie klopfte mit dem Briefumschlag ein paar Mal gegen ihre Handinnenfläche. „Jedenfalls haben wir hier ein hübsches Motiv.“
„Wie soll sie den Flug nach Deutschland bezahlt haben, wenn sie derart in Geldnot ist, wie der Brief vermuten lässt?“, überlegte Benno.
„Wer weiß“, gab Verena zurück. Sie öffnete einen weiteren Brief, fand dieselbe Verzweiflung zwischen den Zeilen. Dieselbe Wut. Aber noch kein Ultimatum. „Vielleicht hat sie die Eltern ein letztes Mal angepumpt. Oder Freunde vor Ort. Auf jeden Fall bin ich gespannt, wo wir sie aufspüren werden.“