Читать книгу Mitgift - Heidrun Scholz - Страница 15
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Оглавление„Das ist sehr tragisch“, sagte der Mann und machte ein betrübtes Gesicht. „Klaas war auf einem guten Weg. Auf einem sehr guten. Und sein Stil ...“, hier streckte er einen Kugelschreiber in die Luft, der ansonsten zwischen seinen Fingern tanzte, „... tadellos. Und blitzgescheit war er, der Klaas. Ein Jammer.“
Verena und Benno saßen dem Chefredakteur in seinem geräumigen Büro am Schreibtisch gegenüber. Die Fenster waren geschlossen. Ein leises Surren ließ vermuten, dass die Klimaanlage eingeschaltet war. Es war angenehm kühl im Raum.
„Können Sie sich vorstellen, Herr ...“ Verena stockte. Obwohl sie vor fünf Minuten erst aus dem Munde des Mannes seinen Namen gehört hatte, war er ihr schon wieder entfallen. Kurze Haare, Stoppelfeld, Acker, Kohlkopf, Kraut.
„... Herr Krautacker, dass es in seinem Umfeld jemanden gegeben haben könnte, der nicht gut auf ihn zu sprechen war?“
„Da brauchen Sie nur mal seine letzten Kritiken zu lesen.“
Krautacker griff zum Telefon: „Bringen Sie mir bitte die Mappe mit Klaas’ Kritiken der letzten drei Wochen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf und fuhr fort: „Klaas war kein Teamplayer. Er schwänzte Besprechungen, wo er konnte. Er sprach sich nicht mit den Kollegen ab. Das hat ihm keine Sympathiepunkte eingebracht. Aber wir haben ihn so akzeptiert.“
Die Tür ging auf, und die Sekretärin brachte die gewünschte Mappe.
Krautacker entnahm ihr ein loses Blatt.
„Hier haben wir eine Theateraufführung in der Tonne. Samstag vor einer Woche. Die Heirat von Nikolaj Gogol.“
Krautacker begann zu lesen: „Der Wille Gogols, sein Stück eben nicht als muntere Liebeskomödie mit dem üblichen Happy End anzulegen, wurde vom Regisseur in einer selbstherrlichen Allianz aus Ignoranz und Arroganz hintertrieben. Dem ideenlosen Aktionismus der Inszenierung entsprach die erbärmliche Leistung der Schauspieler. Markus Müllschön als Podkolessin verkörperte den ängstlichen, konfusen Charakter der Figur allzu authentisch. Sein Freund Kotschkarjow, gespielt von Arne Hauschka ...“, Krautacker übersprang ein paar Zeilen, bis er zum letzten Absatz kam: „Annika Hufschmidt als Heiratsvermittlerin Iwanowna vermittelte in erster Linie den Eindruck völliger Hilflosigkeit; ein Eindruck, an dem in lückenloser Homogenität das ganze Ensemble teilhatte.“
Krautacker ließ das Blatt sinken und hob den Kopf.
„Er hat recht mit seiner Kritik“, sagte Benno. „Ich war da. Es war gruselig. Ich habe Gogol nicht wiedererkannt.“
Verena runzelte die Stirn. Hatte Benno das eben gesagt? Ihr Assistent? Zugegeben, sie hatte wenig Interesse am Theater. Ein Grund waren die Menschenansammlungen, die ein Theaterbesuch nun mal mit sich brachte. Sobald sich mehr als eine Handvoll Leute um sie herum scharte, und das über längere Zeit, bekam Verena klaustrophobische Zustände. Das Geschnatter, Geschnaufe und Gehüstel auf engstem Raum lösten einen Fluchtreflex in ihr aus.
„Trotzdem wäre es zumindest diplomatischer gewesen, Klaas hätte, sagen wir mal, wohlwollendere Formulierungen gefunden“, entgegnete Krautacker.
Benno schüttelte den Kopf.
„Kritik muss ehrlich bleiben dürfen. Auch im Sinne Ihrer unabhängigen Zeitung, nicht?“
Noch bevor Krautacker antworten konnte, wurde es Verena zu viel.
„Sind die Schauspieler noch in der Stadt?“, fragte sie.
„Abgereist. Sie sind auf Tournee und müssten inzwischen irgendwo in Nordrhein-Westfalen sein.“
Krautacker nahm ein weiteres Blatt aus der Mappe.
„Hier habe ich noch eine Kostprobe. Ein Lyrikabend vor zwei Tagen. Ein, nun ja, etwas entrückter Gedichteschreiber. Er wohnt übrigens hier in der Stadt. Wiglaf Winter. Er hat aus seinem Lyrikband Der bestellte Acker und wo zum Teufel bleibt Godot gelesen. Passen Sie auf: Ein Lyrikabend, auf den man sich beim besten Willen keinen Reim machen kann. Der Ort (die Aula im Spitalhof) war ein Missgriff, noch mehr der Dichter selbst (er mag seine lyrischen Ergüsse am wenigsten verstanden haben) samt seiner Schöpfung: Sinnloses, Unzusammenhängendes und gewollt Kryptisches, mäandernde Metaphern, belanglose, versandende Pointen, einfältig daherkommende Worthülsen, törichte Phrasen, gewaltsam aneinandergezwängt wie nicht passende Puzzleteile ...“
„Wann ist die Kritik erschienen?“, fragte Verena. Sie hatte genug gehört.
„Am Tag danach. Also gestern.“
„Mit Ihrer Redaktion hat er übrigens als Letztes telefoniert. Abends um zehn nach halb elf“, sagte Verena.
„Aha.“ Krautacker schien betroffen, ohne recht zu wissen, warum.
„Worum ging es in dem Telefonat?“
„Woher soll ich das wissen?“, gab der Mann zurück. Doch er schien nachzudenken, während der Kugelschreiber zwischen seinen Fingern hin- und herwippte wie das Pendel eines Metronoms. „Ach ja, natürlich. Es ist Usus bei uns, dass Kritiken, die am nächsten Tag erscheinen sollen, am Abend vorher unserer Bereitschaft telefonisch durchgegeben werden. Das wird’s wohl gewesen sein.“
„Kennen Sie seine Frau?“, fragte Benno.
„Klaas war verheiratet?“ Krautacker war ehrlich erstaunt. Er griff zum Telefonhörer. „Bringen Sie mir Klaas’ Personalakte.“ Augenblicke später hatte er die Akte auf seinem Tisch. Er schlug sie auf und las schweigend. „Weder im Bewerbungsschreiben noch im Lebenslauf steht etwas über eine Ehefrau“, sagte er und lehnte sich zurück. „Aber das passt zu ihm. So wollte er nach außen wirken: ein einsamer Wolf!“
„Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“, wollte Verena wissen.
Krautacker überlegte, während er den Tischkalender durchblätterte, was ihm offenbar bei der Erinnerung an die letzte Begegnung mit seinem Redakteur auf die Sprünge half. „Klaas war nicht sehr oft in der Redaktion, müssen Sie wissen“, sagte er. „Er war viel unterwegs. Oft hat er auch zu Hause gearbeitet. Und wie gesagt, an den Teambesprechungen hat er selten teilgenommen ... Ah ja, hier, ... genau. Es war vor fünf Tagen, da habe ich ihn auf dem Flur getroffen, als ich auf dem Weg zu einer Redaktionsleiterkonferenz war.“
„Was hat er für einen Eindruck auf Sie gemacht?“
„Einen völlig normalen. Klaas war wortkarg wie immer. Ich habe ihn noch gefragt, ob alles in Ordnung ist, was er bejaht hat.“
„Er wirkte also nicht irgendwie ... anders, ängstlicher vielleicht, oder unter Druck?“
„So gut kannte ich ihn noch nicht. Aber nach meinem Eindruck war er wie immer.“
Mit einer Liste besagter Schauspieler verließen Verena und Benno wenig später Krautackers Büro.
„Zumindest müssen wir auch den Poeten befragen, schon um nichts zu übersehen“, sagte Verena, als sie vor dem Gebäude der Lokalzeitung standen. Aus der gegenüberliegenden Bäckerei drangen der Duft von frisch gebackenen Laugenbrezeln und Wortfetzen freundlicher Verkäuferinnen zu ihnen herüber. Mit einem Telefonat hatte Benno die Adresse von Wiglaf Winter ermittelt. Aaraustraße. In der Nähe des Volksparks.
„Schnick, schnack, schnuck“, Benno hob die Hand und schaute seine Chefin herausfordernd an.
„Komm! Die paar Schritte wirst du auch zu Fuß schaffen.“ Verena tat genervt.
„Aber die Hitze. Und Ruben. Der leidet sicher Höllenqualen in der Tasche.“
Verena gab nach. „Schnick, schnack, schnuck.“ Sie hatte Papier, Benno Brunnen. Und so lenkten sie ihre Schritte in Richtung obere Wilhelmstraße – Verena darauf bedacht, mit ihren Schuhspitzen nicht die Ränder der Pflastersteine zu berühren, und Benno tapfer sein Los ertragend. Kurz vor dem Albtorplatz hielt Verena abrupt inne. „Leder oder Jos-Weiß?“, fragte sie.
„Lederstraße geht schneller“, gab Benno zurück.
„Jos-Weiß-Straße ist schöner. Schnick, schnack, schnuck?“
Verena hatte Schere, Benno Papier, und so wandten sie sich jetzt nach links und näherten sich der Jos-Weiß-Straße, einem Nebenarm der Wilhelmstraße. Hier ging man zwischen schmalen, niedrigen Häusern hindurch. Pflanzenkübel machten deutlich, dass Autos unerwünscht waren. Von den Fensterbänken ergoss sich ein Blumenmeer, auf dem Schmetterlinge von Blüte zu Blüte tanzten. Da wo die Stadtmauer in Teilen noch erhalten war, fügte sie sich nahtlos in das pittoreske Bild.
„Da oben müsste man ein Appartement haben“, sagte Benno mit Blick auf die Holzaufbauten, die zwei unterschiedlich langen Abschnitten der Stadtmauer wohl nachträglich aufgesetzt worden waren.
Ruben bellte zweimal. Verena griff nach ihrem Handy, das in der Handtasche neben Ruben lag und auf Vibration gestellt war, um ihn nicht unnötig aufzuregen. Mit der Zeit hatte er sich angewöhnt, zweimal zu bellen, wenn er die Vibration auf seinem Körper spürte, sodass sein Bellen zum eigentlichen Klingelton geworden war.
Verena erkannte Schmalhans’ Nummer auf dem Display.
„Der Doc erwartet uns in zwei Stunden zur Obduktion“, sagte sie mit einem Seitenblick auf ihren Assistenten und steckte das Telefon vorsichtig in ihre Tasche zurück.
Bennos Gesichtsfarbe wurde um eine Nuance blasser.