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Kapitel 7

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Als Dupoit seine Erzählung beendet hatte, war es früher Morgen gewesen; der Himmel vor dem Fenster hatte bereits ein zaghaftes Grau angenommen und Paris, das sowieso nie besonders tief schlief, erwachte im warmen Licht der Straßenlaternen. Der fremde Mann hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt und war erstaunlich schnell eingeschlafen. Matthew hingegen hatte kaum Schlaf gefunden, zu aufgewühlt war sein Kopf von den Worten des seltsamen Gastes gewesen. Gegen neun hatte er es nicht mehr in seinem Bett ausgehalten und war ins Badezimmer gegangen.

Dupoit war kurz darauf erwacht und da Matthew nichts im Haus hatte, was für ein Frühstück geeignet gewesen wäre, hatte er ihm vorgeschlagen, gemeinsam ein kleines Café aufzusuchen, das nur ein paar Straßen entfernt lag. Es war seltsam gewesen, Dupoit dabei zu beobachten, wie er mit ihm auf dem Weg zum Café durch die schmalen Gassen gegangen war. Der Weg schien ihm vertraut zu sein, aber er hatte angespannt und etwas verloren gewirkt. Einmal war er deutlich zusammengezuckt, als ein Motorroller grell hupend an ihnen vorbei fuhr, ein anderes Mal, als eine Katze den Deckel einer Mülltonne umstieß und dieser scheppernd auf den Boden fiel.

Paris mochte eine pulsierende Metropole sein, aber auf der Terrasse des Cafés wirkte der Lärm der Autos weit entfernt. Eine kleine Gruppe junger Frauen, die schon ihre Sommerkleider aus dem Schrank befreit hatten, schlenderte lachend an ihnen vorbei und der Postbote ging gelassen von Haus zu Haus. Am Himmel hatten sich inzwischen graue Wolken versammelt, aber die Luft war immer noch angenehm warm.

Matthew hatte das Frühstück kaum wahrgenommen. Auch während der zweiten Tasse Kaffee war er sich noch nicht schlüssig, ob er Dupoits Geschichte glauben sollte oder überhaupt glauben konnte. Rational betrachtet war es natürlich unmöglich und klang wie die Handlung eines Buches, aber irgendetwas war an dem Fremden, das Matthew die Schilderung nicht einfach als Fantasie abtun ließ. Mehr noch, was Dupoit erzählt hatte, vielleicht auch die Art, wie er es erzählt hatte, der Blick in seinen Augen, die weit entfernt zu weilen schienen, hatte ihn seltsam erschüttert; fast so, als hätte eine Hand nach ihm gegriffen und, mit einem einzelnen ausgestreckten Finger, den innersten Kern seines Wesens berührt. Etwas hatte sich verändert, auch wenn er es vorerst nur wie einen leisen Windhauch spürte. Was auch immer es war, Vernunft spielte dabei ganz klar nur eine untergeordnete Rolle.

Glauben oder nicht, er würde dem Mann helfen, seine Familie zu finden, soviel stand für Matthew fest. Und wenn das bedeutete, sich einem Verrückten anzuschließen, war das nur umso besser. Hier war vielleicht das neue Leben, von dem ihm letzte Nacht klar geworden war, dass er es suchen müsse. Dann konnte er mit dem alten auch gleich richtig brechen.

»Ich würde vorschlagen, wir fangen ganz simpel mit dem Telefonbuch an«, sagte er, während er die Tasse zum Mund hob. »Und wenn das nicht hilft, können wir immer noch ein Internetcafé aufsuchen und sehen, ob sich da etwas findet.«

Dupoit sah ihn fragend an. »Entschuldigung, Sie möchten was aufsuchen?«

Matthew hätte sich fast an die Stirn gefasst, aber glücklicherweise fiel ihm die Tasse in seiner Hand noch rechtzeitig ein.

»Ein Computernetzwerk. Da findet sich wirklich ein ganzer Haufen an Informationen. Ich denke, wir sollten damit Glück haben.«

Dupoit nickte und schien sich für den Moment damit zufrieden zu geben, auch wenn er noch immer etwas ratlos aussah.

***

Wie viele Jahre braucht die schiere Stille des Kosmos, die Eintönigkeit der Leere, um einen Geist zu zermürben?

Er vollendet mit einem Strich ein Rechteck im Erdreich, steht auf und tritt einen Schritt zurück. Eine neue Seite unter vielen. Fein säuberlich hat er jeden Grashalm auf diesem Feld herausgezogen und es dann mit dutzenden Seiten gefüllt. Er schreibt auf den Knien vornübergebeugt und gibt den Buchstaben und Zeichen behutsam mit einem Zweig ihre Gestalt. Am Anfang waren es nur kurze Sätze, nicht mehr als zwölf Wörter, die er immer neu zusammensetzte. Nach der vierten Seite schrieb er einige einfache Rechnungen dazu. Dann zeichnete er Formen, erst Figuren, dann Körper. Inzwischen ist er bei der zweiundsiebzigsten Seite angelangt. Der Wind hat bereits Löcher in den ersten Seiten hinterlassen. Aber er hat Zeit; er kann sie später erneut füllen. Wie viel Zeit? Sicher nicht genug, um die ganze Bibliothek von Babel hier zu seinen Füßen in den Staub zu bannen.

Dann geschieht das unmöglich Geglaubte. Als er zu der Ruine blickt, sieht er eine lange Reihe aus fremdartigen Tieren, die ihn an Bisons erinnern und vor hölzerne Wagen gespannt sind. Und bei ihnen, teils zu Fuß, teils auf den Wagen oder Pferden sitzend, sind Menschen.

Nachdem der erste Schock verflogen ist, möchte er rufen, aber der staubige Wind hat seine Stimme längst in Sand verwandelt.

***

Die Suche im Telefonbuch hatte nichts ergeben; nirgends hatte sich der Name Dupoit gefunden. Sie hatten es mit dem Mädchennamen von Dupoits Ehefrau versucht, aber auch eine Marie Martin war nicht verzeichnet gewesen.

Der Weg ins Internetcafé erschien Matthew vielversprechender. Als sie durch die Tür in den modernen Raum traten, der so gar nicht zu der Fassade des alten Gebäudes passte, war Dupoits Erstaunen angesichts der vielen glänzenden Flachbildmonitore und blau leuchtenden Rechner nicht zu übersehen. Von den knapp zwanzig Plätzen waren nur die drei besetzt, die direkt an dem großen Schaufenster lagen. Auf der Theke neben der Tür blubberte eine altmodische Kaffeemaschine vor sich hin und aus den kleinen Lautsprechern an der Decke drang getragener, ruhiger Trip Hop.

Die Angestellte, eine junge Frau Anfang zwanzig, wies ihnen einen Computer in der hintersten Ecke des Raumes zu. Dort würden sie wenigstens ungestört sein. Matthew bestellte zwei Tassen Kaffee und sie nahmen Platz.

Als er den Browser geöffnet hatte und die Startseite erschien, entfuhr Dupoit ein leises Pfeifen. »Ein Freund von mir hatte in seinem Büro einen Heimcomputer, mit einer klobigen grauen Tastatur und so einem Gerät, mit dem er die Daten auf Kassetten sichern konnte. Aber das hier...«

Matthew musste lächeln. Er erinnerte sich noch gut an den vorsintflutlichen Computer seines Vaters.

Er versuchte mehrere Schlagwörter, aber er konnte Dupoits Ehefrau nicht finden. Die wenigen Personen dieses Namens entdeckte er allesamt mit Bild, und keine passte von ihrem Alter her. Auch die Suche nach seiner Tochter Michelle brachte keine brauchbaren Ergebnisse, aber das verwunderte ihn nicht allzu sehr. Nach dreißig Jahren war anzunehmen, dass sie verheiratet war und dabei vielleicht ihren Familiennamen abgelegt hatte.

»Was nun?«, fragte Matthew mehr zu sich selbst. »Wir könnten Ihre alte Wohnung aufsuchen und die Nachbarn fragen. Vielleicht lebt ja noch jemand dort, den Sie kennen.«

Dupoit schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich denke nicht, dass ich denen erklären könnte, wo ich die letzten Jahrzehnte war.« Dann hob er abrupt den Kopf. »Aber Sie könnten doch hingehen, Matthew. Wenn Sie denen erzählen, Sie seien hier, um nach meiner Frau zu forschen wegen ... einer Erbschaft oder so etwas. Sie müssten sie ausfindig machen. Das wäre wirklich nicht allzu auffällig.«

Matthew nickte. Das könnte tatsächlich klappen. In dem Augenblick kam ihm jedoch noch ein anderer Gedanke. »Wenn Sie damals so plötzlich verschwunden sind, wird es doch sicherlich eine Vermisstenmeldung gegeben haben. Dann sollten wir auch in der Presse etwas finden.«

»Ja, das wäre natürlich möglich«, antwortete Dupoit. »Die Bibliothèque nationale hat Zeitungen auf Mikrofilm archiviert, da könnten wir es versuchen.« Er lachte kurz. »Daran wird sich ja hoffentlich nichts geändert haben.«

Über die Suche hatten sie nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vorangeschritten war. Die Uhr des Computers zeigte bereits eins an und draußen begann es zu regnen, erst langsam, dann prasselten die Tropfen immer lauter gegen die Scheibe.

Matthew lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee. Es war bereits die dritte Tasse, die er hier bestellt hatte. »Wir können es auch erstmal hier versuchen«, sagte er und blickte aus dem Fenster. »Ich glaube Le Mercure hat ein Archiv, das vollständig über das Internet zugänglich ist.«

»Natürlich«, sagte Dupoit grinsend, »Zeitungen kann man mit diesem Ding auch noch lesen.«

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