Читать книгу Vernehmungen - Heiko Artkämper - Страница 128

4.3.2.3Zeugen mit Zeugnisverweigerungsrecht

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361Die gesetzliche Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts will dem Konflikt zwischen enger menschlicher Verbundenheit und umfassender Wahrheitspflicht Rechnung tragen. Dem Zeugen wird die Möglichkeit eingeräumt, sich als Beweismittel vollständig zu verweigern; wenn er sich hingegen in der Hauptverhandlung zu einer Aussage entschließt, darf er nicht lügen.

Der Personenkreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten ergibt sich aus § 52 StPO.

§ 52 StPO Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.der Verlobte des Beschuldigten;

2.der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

2a.der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;

3.wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen

Praxistipp:
362 Die Belehrung ist frühzeitig vorzunehmen. Richten sich die Ermittlungen wegen einer Verkehrsunfallflucht gegen eine männliche Person, so muss seine als Halterin eingetragene Ehefrau über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt werden, bevor sie danach befragt wird, wer das Fahrzeug geführt hat. Ansonsten sind ihre Angaben unverwertbar.11

363Das Gesetz setzt die Glaubhaftmachung der Gründe voraus, die ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen. Häufig wird als Grund für ein Zeugnisverweigerungsrecht das Verlöbnis angegeben, da es formfrei möglich ist. Allerdings ist hier eine rechtliche Grenze zu beachten: Ein wirksames Verlöbnis ist nur möglich, wenn keiner der Beteiligten (noch) anderweitig verheiratet ist. An dieser Hürde scheitert oftmals ein auf einem angeblichen Verlöbnis basierendes Zeugnisverweigerungsrecht.

364Maßgebend ist eine rein formal-juristische Betrachtung, die auf die Rechtswirksamkeit der das Zeugnisverweigerungsrecht auslösenden Lebenssituation abstellt; eine sogenannte „Imam-Ehe“, die nur nach islamischem Recht geschlossen wurde, genügt diesen Anforderungen nicht.12

365Der besseren Handhabung und Konkretisierung dient die nachfolgende Übersicht der Zeugnisverweigerungsrechte, die verdeutlicht, wem dieses Recht zusteht:

Übersicht:Personeller Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts; Quelle: Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 3619.

366Bei einer sogenannten Schwipschwägerschaft (Cousine, Schwager oder Schwägerin im Verhältnis zum Ehepartner der Geschwister) besteht daher ebenso wenig ein Zeugnisverweigerungsrecht wie bei Pflegeeltern und -kindern.

367Auch die nachträgliche Begründung eines Zeugnisverweigerungsrechts spielt im Gerichtsalltag häufig eine Rolle. Gemeint sind damit Fälle, in denen zur Zeit einer polizeilichen Vernehmung noch kein solches Recht bestand, es aber während der Hauptverhandlung existiert.

368Hier ist anerkannt, dass nur der Zeitpunkt der Hauptverhandlung ausschlaggebend ist, das nachträglich begründete Zeugnisverweigerungsrecht also zur Unverwertbarkeit vorangegangener Vernehmungen führt. Eine Ausnahme erkennt die Rechtsprechung nur in den seltenen Ausnahmefällen an, in denen nachweisbar die persönliche Beziehung nur zu dem Zweck aufgebaut wurde, sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen zu können.13

369Beim Zeugen mit Zeugnisverweigerungsrecht führt das Zusammenspiel der §§ 52, 252 StPO dazu, dass polizeiliche und staatsanwaltliche Vernehmungen grundsätzlich nicht durch die Vernehmung der Verhörsperson rekonstruiert werden können; allerdings kann der Zeuge sich damit einverstanden erklären, dass – trotz seiner Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung – vorangegangene nicht-richterliche Vernehmungen eingeführt werden.

370Hat eine richterliche Vernehmung des Zeugen im Ermittlungsverfahren stattgefunden, ist die Vernehmung des Richters insoweit stets zulässig.

Praxistipp:
371 Der Vernehmungsbeamte muss in einschlägigen Fällen unverzüglich beim Staatsanwalt die Beantragung einer richterlichen Vernehmung anregen.

372In der Praxis sind häufig inhaltsleere Bezugnahmen in einer richterlichen Vernehmung anzutreffen.

Beispiel:

373Der Inhalt des richterlichen Vernehmungsprotokolls erschöpft sich in folgender Darstellung: „Ich bin heute bereits von Beamten des PP … vernommen worden. Ich habe dort eine umfassende und wahrheitsgemäße Aussage gemacht. Diese mache ich zum Inhalt meiner richterlichen Vernehmung.“

374Mit einer derartigen Aussage ist für eine spätere Hauptverhandlung nichts gewonnen. Der Richter kann bei seiner zulässigen Vernehmung keinerlei Angaben zu dem eigentlichen Tatgeschehen (z. B. Körperverletzung, sexueller Missbrauch pp.) machen. Erforderlich ist daher auch bei dieser richterlichen Vernehmung eine Entgegennahme und Dokumentation der wesentlichen – jedenfalls der tatbestandsbezogenen – Bekundungen des Zeugen.

375Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes ist für den Berechtigten in jeder Hinsicht disponibel: So kann er etwa in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch machen, zugleich aber auch gestatten, dass seine im Ermittlungsverfahren gegenüber Polizeibeamten gemachten Angaben durch deren Vernehmung rekonstruiert werden dürfen.14

376Auch im Bußgeldverfahren dürfen Erkenntnisse und Angaben eines Zeugen aus dem Ermittlungsverfahren dann nicht verwendet werden, wenn sich der Zeuge im Rahmen der Hauptverhandlung erstmals auf ein ihm zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Sowohl eine Verlesung als auch eine Vernehmung der Vernehmungsperson – mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen – ist gemäß § 252 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG unzulässig.15

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