Читать книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - Страница 10
Der Tisch ohne Gäste
ОглавлениеSo schnell wie befohlen ging es nicht mit dem Marsch auf die Hauptstadt des Königs. Auch ein Heer, das gesiegt hat, kommt etwas aus der Ordnung, und um so mehr, wenn viel Beute zu machen und der fliehende Feind überall zu verfolgen ist. Der König konnte nur warten, bis seine Hauptleute ihre Mannschaften wieder beisammen hatten. Er erholte sich inzwischen von seiner schweren Schlacht vermittels der Jagd und der Liebe. Diese zweite entbehrte er jetzt schon lange. Indessen ist sie die wahre Kraft seines Wesens, wie auch der Gesandte Venedigs sogleich erkannt hat. Für alles, was er tut, ist sein ursprünglicher Antrieb das Geschlecht und die gesteigerte Kraft, die es hervorbringt durch seine Entzückung. Nach geschlagener Schlacht bleibt zurück die Entzückung, und Henri denkt seiner Frauen: der einst geliebten, die verloren sind, wie auch derer, die er erblickt hat, ihrer zu begehren.
Er schrieb Briefe an Corisande — die Muse seines Aufstiegs zum Thron. Jetzt hatte sie ein rotgeflecktes Gesicht, er schämte sich ihrer und war froh, sie im Süden, hundert Meilen entfernt, zu wissen. Dennoch lag sie vor seinen Sinnen als das besessene Glück, und noch immer schrieb er der nicht mehr geliebten Gräfin von Gramont die Briefe, in denen er Meister geworden war bei der romantisch Angebeteten. Auch zum Meister im Schreiben hat ihn die gesteigerte Kraft des entzückten Geschlechtes gemacht.
Corisande von einst, sie durchschaut, daß er sich nur betrügt. Sie selbst ist längst von ihm betrogen. Schreibt bittere Bemerkungen an den Rand seiner lebensvollen Briefe, die sie eben dafür haßt: ihr Leben hat nicht Platz darin, nur seine Schlachten, seine Mörder, Feinde, Siege, seine große Hoffnung, sein Königreich. Vor Zeiten, ob er das noch weiß, war beschlossene Sache, daß sie auf einem Balkon stände als die Hauptperson, wenn er in seine Hauptstadt einzöge. Ungetreuer, das hast du dir aus dem Sinn geschlagen! Sie nimmt eine Schere und sticht in den Brief, in seinen Namen.
Er fühlte es nicht. Sogar die Königin von Navarra wünschte er in diesen Tagen herbei, mußte sich aber mit irgendeiner durchreisenden Abenteurerin schnell vergnügen. Am häufigsten in all seiner Jugend hatte er doch seine Königin umarmt, und was mehr ist: im Unglück, in der Todesnot. Damals hielt sie zu ihm, so viele andere Männer sie nebenbei schöner fand — hielt zu ihm, rettete ihn, folgte dem Entflohenen nach seinem Lande Navarra. ,Margot, nie wieder? Als es anfing hinanzugehen, wurdest du meine eifersüchtige Feindin, rüstetest Truppen gegen mich und tätest es weiter, wenn du noch Geld hättest. Sitzest aber allein in einem kahlen Schloß und hassest mich. Dich würde ich nochmals, würde ich immer lieben, Margot aus der Bartholomäusnacht!‘ So sann er nach Ivry, indessen Marguerite von Valois in ihrem kahlen Schloß mehrere ihrer besten italienischen Majoliken zerbrach, als sie von seinem Sieg erfuhr.
Das Schloß der verwitweten Gräfin von La Roche-Guyon stand in der Normandie; Henri hatte nicht weit, dorthin zu reiten, und das tat er des öfteren, seit er die Gräfin kannte. Er hatte bis zu der Schlacht von Ivry den Weg fast immer des Nachts gemacht, bei Tage hielten Arbeiten und Kämpfe ihn auf. In grauer Frühe langte er unter ihren Fenstern an, die junge Dame trat auf ihren Balkon hinaus, und er im Sattel, sie in sicherer Höhe, unterredeten sie sich eine Weile. Er sagte ihr, daß sie schön sei, wie nur die Fee Morgane, falls diese denn mehr als ein Traum wäre. Hier über seinem Kopf aber erscheine ihm der Traum in leiblicher Gestalt, eine blonde Frau, hoch, biegsam, und ihr Fleisch, dürfte man es nur berühren, werde gewiß nicht nach Feenart in Luft zergehn.
Was Antoinette mit galanten Scherzen desselben Geschmackes erwiderte. Sie ließ auch ihre fließenden Schleier auseinander gleiten, sich wieder schließen, und ihren blauen Blick machte sie abwechselnd ernsthaft, anzüglich, spöttisch und ganz still. Jedesmal ließ diese kluge und höchst ehrenhafte Dame den feurigen Liebhaber sich Hoffnungen machen. Nach Ablauf seiner kurzen Rast mußte er dennoch umkehren, ohne daß sie ihn eingelassen hätte. Ihre Ausrede war, daß noch Nacht wäre. Das sollte sie, nun seine Arbeit getan war, nicht mehr vorschützen können. Bald nach Ivry kündigte er an, daß er am hellen Nachmittag zu kommen gedenke. „Wenn wir noch so lange um den Brei herumgehen, einmal ist es so weit, daß Antoinette gesteht, sie habe Liebe für Henri. Herrin! Körperlich erhol ich mich schon, nur meine Seele wird die Betrübnis nicht los, bis Sie den Sprung über das Hindernis getan haben. Meine Treue verdient es. Tun Sie’s doch, mein Herz. Mein Alles, lieben Sie mich wie den, der Sie anbeten wird bis zum Grabe. Dessen zum wahren Zeugnis drück ich eine Million Küsse auf Ihre weißen Hände.“
So schrieb er; als aber später alles längst vergangen war und er hatte Antoinette nie besessen, reute ihn nichts, weder ihr Widerstand noch seine Hingabe. Vielmehr erhob er sie, aus Achtung für ihre Tugendhaftigkeit, zur Ehrendame der Königin.
Jenen angekündigten Besuch damals machte er, wie alle seine anderen, allein und unbegleitet. Sie tat erstaunt, empfing ihn auf der halben Höhe ihrer Freitreppe und führte ihn hinein zu einem Tisch, der Gläser und Teller für wenigstens zwanzig Personen trug. Zuerst ließ er sich täuschen und sah nach den Gästen umher. Sie lachte, so daß er begreifen mußte, woran er mit ihr war. Darauf bekam er auch seinen Witz zurück und verlangte, die Diener, die an der Wand standen, möchten den unsichtbaren Gästen die Schüsseln reichen. Sie schickte die Lakaien hinaus, sogleich wiederholte er, was er schon geschrieben hatte von dem Brei und dem Sprung, aber galanter und ausdrucksvoller, als der beste Brief vermag. Wahrhaftig, sie brauche Untreue nicht zu besorgen, sie habe sein Wort — von dem war er selbst überzeugt. Sie aber: „Sire! Anbetung bis zum Tode? Ich bin zu jung und möchte Sie nicht sterben sehen, weil Sie mich nicht mehr anbeten.“
Sie saßen zu zweien an dem langen Tisch mit den zwanzig Gedecken. Das hübsche, feine Gesicht versank wieder einmal in aufmerksame Stille, die Dame sprach:
„Ich spotte, Sire, weil ich mich fürchte. So singt man wohl im Dunkeln. Sie haben bei Ivry gesiegt, das war viel schwerer, als über eine arme Frau allein.“
Da fiel er ihr zu Füßen, küßte ihr Knie und bat bescheiden. Sie zeigte Strenge. „Ich bin von zu geringer Herkunft, um die Frau des Königs zu sein, und von zu großer für seine Geliebte.“ Als er bei seinem Wunsch verharrte, gab sie vor, schon in ihr Zimmer zu gehen, verließ aber das Haus auf seiner Rückseite und stieg in ihren bereit gehaltenen Wagen. Bevor Henri ihre Abwesenheit bemerkte, war sie gerettet.
Er hatte, auf der Suche nach ihr, mehrere Kabinette durchschritten. In dem letzten öffnete sich eine Tür, jemand kam von drüben. Kurz vor der Begegnung erkannte er sein Spiegelbild. Es hätte ihn sonst weniger lang irregeführt, aber er war verwirrt durch das Benehmen der jungen Frau. „Grüß dich, Alter“, winkte er in den Spiegel; was er dort erblickte, erregte bei ihm den Verdacht, diese junge Frau könnte in Wahrheit vor ihm davongelaufen sein, weil er ihr nicht mehr jung genug wäre. Es war in dieser Richtung sein erster Verdacht. Man erschrickt, prüft, und endlich lacht man, weil man widerlegt wird durch das eigene Herz, das Entzücken des Geschlechtes, das die Kraft vermehrt, wie eh und je. Was vermögen dagegen eingefallene Wangen, ergrauender Bart, die tiefe Falte, von der Nasenwurzel bis in die Mitte der gefurchten Stirn? Er ließ indessen das Lachen, damit er richtig die Anstrengung sähe in den erhobenen Brauen und in den aufgerissenen Augen den Schmerz.
,Warum so schmerzlich?‘ fragte er allen Ernstes. ,Tief innen bin ich heiter; und alle entzücken sie mich.‘ Er meinte die Frauen, das ganze Geschlecht. ,Sie hat die Nase zu groß gefunden‘, entschied er. ,Zu lang gebogen und herabgesenkt. Hat auch ein so schmales Gesicht eine Nase wie die!‘ Nach allem kam er zu dem Schluß, daß er sich mehr als früher „bei ihnen“ werde bemühen müssen. Das leichte Glück der Jugend war vorbei. Seinem Sinn entging hier, was außerdem noch verändert war. „Henri!“ sagte in dem gleichen Augenblick die Gräfin Antoinette, und das Ächzen ihres Wagens auf dem holprigen Wege verdeckte alles, ihren Ausruf und was sie litt.
,Henri! Wärest du nicht der große Sieger von Ivry. Sire! Ich hätte Ihnen zu Gesicht kommen sollen, als Sie ein unbekannter Prinz waren, und im Wald auf der Jagd fanden Sie die Frau eines Köhlers und machten sie glücklich. Sie ließen auch auf einem Ball die Kerzen auslöschen und nahmen sich im Dunkeln, welche Sie wollten. Die hätt ich sein wollen. Es wäre gehabt und verschmerzt, längst wären Sie weitergereist. Jetzt stehen Sie im Begriffe, ausdauernd zu werden: ein treuer Liebhaber, es war auf deiner Stirn zu sehen, mein Henri, und unter deinen Brauen las ich es. Ich möchte dir folgen überall hin, nur nicht in deine Größe, deinen Ruhm. Verzeih! Dein viel zu helles Licht würde auf mich fallen. Sire! Zehn Jahre lang versprächen Sie mir, mich zu heiraten, und niemals täten Sie es.‘ — „Im Schritt, Kutscher! Im Schritt nach Hause!“ — ,Jetzt wird er fortgegangen sein.‘ Sie weint.