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Tal Josaphat

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Östlich der Stadt Jerusalem, dem offenen Mittelmeer entgegengesetzt, aber dem Toten Meer nicht fern, liegt Tal Josaphat. Es ist die Einsenkung zwischen der Stadtmauer, die kreisrund ist, und dem Ölberg. Wir kennen das Land, wir kennen das Tal, und wissen nur allzuviel vom Garten Gethsemane. Die Frömmsten wollen nur im Tal Josaphat begraben sein, denn die Posaune der Auferstehung und des Gerichts, dort wird sie zuerst gehört werden, wenn sie einst erschallt. Zwischen den Bäumen des Gartens aber, hier am Grunde war es, daß unser Herr versucht wurde. Judas will ihn verraten, was ihm keineswegs entgangen ist, da die große Neigung der Menschen, von Gott abzufallen, ihm durch die eigene Schwäche verständlich wird. Er stürbe lieber nicht, und im Garten Gethsemane, Tropfen der Angst auf der Stirne, spricht er zu Gott: „Mein Vater, ist es möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe? Doch nicht, wie ich will, sondern Dein Wille geschehe.“

Tal Josaphat, so hieß das königliche Lager vor Chartres, und als eines Tages der König, mit Schlamm bedeckt, aus den Laufgräben stieg, wer wurde ihm auf einer Sänfte entgegengetragen? Henri lief wie ein Knabe, damit er seiner Gabriele die Hand beim Aussteigen reichte; darüber hätte er beinahe die Dame de Sourdis vergessen; und dann zogen beide, von ihm geleitet, in Tal Josaphat ein. Gabriele zeigte ihr grünes Samtkleid, das zu ihren goldblonden Haaren so gut stand; auf kleinen Schuhen aus rotem Maroquin ging sie durch Schmutz, lächelte aber sieghaft. Ein längliches Gasthaus wurde für die Geliebte des Königs hergerichtet; ohne ihn lange hinzuhalten, empfing sie darin noch dieselbe Nacht den, der sie so sehr begehrte.

Sie tat es, weil ihre erfahrenere Tante de Sourdis ihr gesagt hatte, daß es sich lohnen würde, und der König wäre ein Mann, der auch nachher zahlte, ja, nachher nähme seine Verliebtheit nur zu. Was sich als scharfsinnige Wahrheit erwies, und die erste, die den Vorteil davon verspürte, war Dame de Sourdis selbst, da ihr alter Freund de Cheverny vom König die Siegel erhielt und „Herr Kanzler“ genannt wurde. Ein langes Unglück macht ungläubig. Als der bleiche Beamte, ein Werkzeug der verstorbenen Katharina von Medici, Veranstalterin der Bartholomäusnacht, bei dem protestantischen König ins Zimmer trat, wie wurde ihm? Die Feuchtigkeit stand ihm auf der Stirn, denn er dachte nicht anders, als daß man mit ihm eine Komödie vorhatte, und alsbald wäre er insgeheim beseitigt. In dieser Art wurde es zu seiner Zeit gehalten.

Vorne im Licht war niemand mit dem König, als nur sein Erster Kammerdiener Herr d’Armagnac, ein grauhaariger Mann. Der hatte seinen Herrn überall die vielen Jahre begleitet, in die Gefangenschaft, in die Freiheit, durch die Todesgefahren, durch die glücklichen Tage. Er hatte ihm das Leben gerettet, ihm den Bissen Brot verschafft und ihn vor Schaden behütet, soweit dieser von Männern drohte. Vor den Frauen warnte er ihn nie, da auch er selbst wie sein Herr von den Frauen nichts Schlimmes gewärtigte, es sei denn, daß sie häßlich sind. D’Armagnac fand gerade die Dame de Sourdis schön, wegen ihrer roten Haare und ihrer frechen blauen Augen, die einen ritterlichen Mann aus dem Süden zur Bewunderung nötigen. Daher war er für Herrn de Cheverny im voraus gewonnen und trug nach Kräften bei, daß der Freund der Dame de Sourdis vom König gut empfangen wurde. Auf den leisen Wink nahm d’Armagnac die Siegel und die Schlüssel vom Tisch, überreichte sie dem König großartig, wie in öffentlicher Zeremonie, und dieser konnte gar nicht anders, er setzte die Bewegung seines Ersten Kammerdieners fort, umarmte den Herrn Kanzler, rühmte ihn und verzieh ihm das frühere Unrecht. „Jetzt“, so sagte der König nach hinten, „wird der Herr Kanzler die beiden Pistolen, die diese Siegel sind, nicht mehr gegen mich, er wird sie gegen meine Feinde richten.“

De Cheverny, trotz großer Abgebrühtheit, blieb hier vor Staunen stumm. Hinten im Zimmer wurde geraunt, gemurrt, und wenn nicht alles täuschte, klirrten Waffen. Protestantische Herren waren es, und ihre Unzufriedenheit bezog sich nicht nur auf diesen Auftritt: die Anwesenheit der beiden Damen im Lager Josaphat mißfiel ihnen. Es erbitterte sie, daß um der Damen willen nicht das wichtige Rouen erobert, sondern vor Chartres die Zeit verdorben wurde. Auch befürchteten sie noch größeres Unheil von der neuen Leidenschaft des Königs, da sie seiner Religion nicht mehr trauten.

Den Ängsten dieses Zimmers glücklich entronnen, blieb Herr de Cheverny zuerst ganz dumm im Kopf, seine Freundin de Sourdis machte ihm klar, wer der Stärkere wäre in Josaphat. Auf keinen Fall die Pastoren. Indessen kam das Paar überein, daß Gabriele zu ihrer Bedienung nur Protestanten haben sollte. Sie selbst sah den Nutzen auch ein. Sonst aber tanzte sie. Jeden Abend wurde getafelt und getanzt in Josaphat, es war die unterhaltendste Belagerung. Wenn dann alle zu Bett gegangen waren, zog der König mit hundert Reitern auf Wache. Seine Nacht war kurz, die Sonne fand ihn bei der Arbeit, und am Tage jagte er — das alles, weil die Nähe dieser Geliebten ihm die Ruhe nahm, wie noch keine es vermocht hatte, und seine Kraft und Tätigkeit antrieb über jede frühere Erfahrung hinaus. Um so ungeduldiger wurde er, als die belagerte Stadt nicht fallen wollte. Gabriele d’Estrées, er wußte wohl, daß sie praktischen Ratschlägen, nicht aber ihrem Herzen gefolgt war, als sie sich ihm ergab.

Henri schwur sich, es sollte anders werden; denn Frauen haben vielerlei Gründe, ihre Berechnung schließt nicht ihr Gefühl aus. ,Das wissen wir mit vierzig Jahren. Mit zwanzig hätten wir uns auf eine Geliebte schwerlich eingelassen, wenn sie einen ganzen Troß stellenloser Edelleute nach sich zieht. Wir hätten nie gedacht, daß wir uns die Mühe geben würden, ihr ansteigend verschiedene Gestalten vorzuführen — einen alten kleinen Bauer, zu dem sie sagte: Sind Sie aber häßlich; und dann den königlichen Aufzug, und dann den Soldaten, der befiehlt, ordnet, immer wacht; endlich aber soll sie den Sieger erblicken. Ihm wird ihr Sinn bestimmt erliegen, da die Frauen von den Bezwingern der Menschen und Plätze träumen und darüber jeden jungen Großstallmeister vergessen. Dann hab ich sie, und der Kampf ist entschieden.‘

Endlich mußte Chartres wohl fallen, da die Königlichen sich bis unter die Mauer hindurch gegraben hatten. Nahmen ein Vorwerk nach dem anderen, zuletzt aber Burg und Stadt, und in dieser Art nahm Henri auch Gabriele, die ihn noch nicht liebte, als sie schon im Gasthaus „Eisernes Kreuz“ das Zimmer mit ihm teilte. Der Anblick seiner Unermüdlichkeit gewann ihm ein Vorwerk ihres Herzens, und er hatte Grund zu glauben, daß er auch in ihre innerste Burg einzog, als er Chartres in Besitz nahm. Das war der hellste zwanzigste April, das waren schwingende Glocken, herausgehängte Teppiche, Kinder, die Blumen streuten, Geistliche, die sangen, der Bürgermeister mit dem Schlüssel, und vier Schöffen trugen den blausamtenen Baldachin, darunter, hoch zu Pferd, der König seine Stadt musterte, und kaum erobert, begrüßte sie ihn beifällig. Der schöne Tag! Der schöne Tag, an dem die geliebteste Frau seines Lebens hierbei zusieht.

Der feierliche Empfang vollzog sich in einer berühmten Wallfahrtskirche, und ganz vorn im Publikum erstrahlte die Geliebteste mit allen ihren Leuten, der König übte vor ihr seihe Majestät aus, Seitenblicke überzeugten ihn, daß sie davon hingeschmolzen wäre. Ein geheimer Anlaß störte sie darin, so daß sie errötete, sich auf die Lippe biß — ja, Ironie verriet sie. Daher entdeckte der König leider, daß hinter ihr jemand sich vorsichtig im Schatten hielt: lange ist er dem nicht begegnet, hat auch nie nach ihm gefragt. Dort drückt er sich umher. Henri, im ersten Zorn, winkt alle seine Protestanten an sich, sie brechen ihm Bahn — er eilt zur Predigt in ein verrufenes Haus. So ist es, sein Pastor hat, um Gott zu dienen, nur diesen Ort, wo sonst Komödianten auftreten und Kuppler in Gemeinschaft mit Dieben ihr Unwesen treiben. Diesen Aufenthalt zog der König der Gesellschaft der anständigen Leute vor; es erregte so viel Anstoß, daß er gut daran tat, Chartres zu verlassen.

Vorher versöhnte er sich mit Gabriele, die ihm schwur, daß seine Augen ihn getäuscht hätten, jener Edelmann könnte sich unmöglich in der Kirche befunden haben, sonst müßte sie selbst es gewußt haben! Dies war ihr bester Beweis, Henri fühlte sich sehr geneigt, ihn für bündig hinzunehmen, obwohl der Fehlschluß auf der Hand lag. Wer sagte ihm denn, daß sie es nicht wirklich gewußt hatte? Der ungewiß schwimmende Blick ihrer blauen Augen wahrhaftig nicht. Der sprach: Hüte dich! Dennoch ließ er sich versöhnen, gerade weil er sie nun einmal nicht allein besaß bis heutigen Tages und weiter um sie kämpfen wollte.

Sie begab sich zurück nach Coeuvres, wo er sie besuchte, und wo Herr d’Estrées ihm eröffnete, daß die Ehre des Hauses durchaus nur leide unter dem Sachverhalt. Beide drückten sich als Männer aus. „Wie haben Sie Ihr Haus denn selbst genannt?“ fragte der König.

„Eine Hurenklappe“, knurrte der Biedermann. „Gewöhnliche Edelleute hatten es mißbraucht. Fehlte nur ein König, und auch den haben wir jetzt.“

„Gevatter, das einfachste wäre gewesen, Sie hätten Ihre Tochter nach Chartres begleitet. Erstens hätten Sie aufpassen können. Außerdem wären Sie jetzt dort Gouvèrneur. An Ihrer Stelle ist es Herr de Sourdis, aber den mag kein Mensch wegen seiner Häßlichkeit, und auch räuberisch ist er plötzlich geworden, aus einem Karpfen ein Hecht. Ich brauche biedere Männer, Gevatter.“

„Sire! Ich bin bestrebt, dem König gut zu dienen, wobei ich gleichzeitig mein Haus rein halte.“

„Es wird Zeit“, sagte der König, „und bei mir wollen Sie anfangen?“

„Bei Ihnen will ich anfangen“, versicherte Herr d’Estrées, während sein Kahlkopf sich mit Röte überzog.

Der König ritt fort, ohne seine Geliebte gesehen zu haben, und unterwegs bedachte er das Angebot der Königin von England. Von ihr konnte er drei- oder viertausend Soldaten bekommen mit dem Sold für zwei Monate, und auch eine kleine Flotte schickte sie ihm — falls er ernst machte mit Rouen. Das war ihre Bedingung, und war wohl einer alten Frau gemäß, da sie allein noch für ihre Macht lebt, und sonst für kein Heil. Der König versetzte sein Pferd in schnellere Gangart, zuletzt sogar in Galopp, seine überraschten Begleiter blieben zurück: er erfreute sich seiner Beweglichkeit, und in England sitzt eine Greisin.

Elisabeth, jetzt eine hohe Fünfzigerin, hat Günstlinge hingerichtet aus bloßer Sorge um ihre Macht und ist mit ihren Katholiken nicht anders verfahren. Henri hat niemals eine Frau geopfert, ja, Männer, die ihn töten wollten, hat er oft verschont. Er hat auch keine Armada besiegt, das nicht; einen Schlag wie den hat die Weltmacht von ihm nicht, leider nicht von ihm empfangen. Und wäre Elisabeth sechzig, ihr Volk sieht keine Jahre, ihm erscheint auf weißem Zelter eine große Königin, die schön ist, wie je. Elisabeth kennt einen einzigen Willen, ihn bricht nichts, weder Erbarmen noch Liebe. ,Der Name »Groß« paßt auf mich nicht‘, denkt Henri.

Sein Tier ist in Schritt gefallen. ,Der Name »Groß« paßt auf mich nicht. Übrigens aber, wieviel Zeit will ein Vierzigjähriger noch verlieren, bis er an seine Angelegenheiten geht? Ich seh schon, daß es mir mit Rouen nicht eilt, sondern vorher will ich Herrn d’Estrées versorgen.‘ Was er alsbald auch tat. Er eroberte die Stadt Noyon und setzte als ihren Gouverneur den Vater Gabrieles ein. Der Biedermann fühlte hier, daß nichts ihn fortan entehren konnte. Seine Tochter hatte sich ihm anvertraut: sie hoffte, Königin zu werden.

Ihre Dienerschaft war protestantisch. Sie gab den Pastoren Geld für ihre Ketzerei, und deren wurde sie selbst schon verdächtigt. Im Laufe des Sommers begann der König ihr so große Geschenke zu machen, daß auch für höhere Zwecke als den persönlichen Aufwand genug übrigblieb. Beraten von ihrer Tante de Sourdis, nahm sie Fühlung mit dem Konsistorium, ob es sich bereit fände, die Ehe des Königs zu scheiden. Andernfalls, so ließen die Mittelspersonen durchblicken, wäre zu befürchten, daß der König seine Religion abschwört. Dadurch würde er sogleich in den Besitz seiner Hauptstadt gelangen und wäre mächtig genug, beim Papst durchzusetzen, was er wollte — vielmehr, was die Dame de Sourdis und ihr bleicher Freund ihm unterschoben. Denn Henri, ein Mensch der liebte, hatte in diesem Sommer die Welt vergessen. So stand es leider.

Er blieb tätig im einzelnen, wie er es nicht anders kannte; gedachte nur leider der ferneren Entschlüsse kaum, und da sie im Grunde genau gefaßt waren, ließ er es denn gut sein. Wer erlaubte sich nicht Pausen, Störungen und Schwächen. Vielleicht sind es keine, sondern sollen den, der seiner Sache gewiß ist, um so fester machen für den nächsten Sprung. Das ist nicht dasselbe wie mit einer Frau, deren Ränke durch ihr Herz gestört werden. Die Sippe Sourdis bediente sich wohl des schönsten Werkzeugs, nur war dieses den Schwächen der weiblichen Natur ausgesetzt. Gabriele empfing in Schloß Coeuvres, wo außer einiger Dienerschaft niemand mehr wohnte, ihren Bellegarde.

Aus Noyon schrieb der englische Gesandte seiner Herrin, daß der König sich dort nicht losreißen wolle infolge seiner großen Liebe für die Tochter des Gouverneurs. Diese indessen verschwand mehrmals aus der Stadt, und der König brauchte ihr wahrhaftig nicht nachzuforschen, ihm wurde alles hinterbracht: das erstemal ihr Ziel, das zweitemal, was sie dort tat. Ihren dritten Ausflug begleitete er selbst von fern und ungesehen, weil es Nacht war. Er hatte seinem Pferde die Hufen verbunden. Kam eine Mondbreite, dann hielt er im Schatten. Sie hatte einen runden niedrigen Karren mit einem Widder davor, den lenkte sie, und ihr faltiger Mantel schleppte am Boden nach. Durch weißes Licht zog die Erscheinung dahin, sein Herz klopfte, und war sie um die Waldecke, dann ritt er in die Quere, bis er sie wiederfand.

Er erreichte Coeuvres von der Seite der Felder, band draußen sein Tier an und schlich in den Garten, der unter den Sommer versunken und so voll Laub war, daß niemand hier die Entdeckung hätte fürchten müssen. Henri aber roch seinen Feind. Die Sinne wurden von der Eifersucht befähigt, in unbewegter, lauer Luft zwischen allen Ausströmungen der Gewächse den Menschen zu wittern. ,Bieg den Busch fort, einen Busch nur, du legst ein Gesicht bloß, das dir nichts Gutes wünscht!‘ Indessen rührte Bellegarde sich nicht, er hielt so still wie Henri selbst, da ihre Geliebte die Treppe zum Teich herniederstieg.

Tiefe Stille der Natur. Das Blatt, das sie gestreift hat, raschelt noch, während sie stockt und nach dem Dunkel hinunter späht. Die ausgedehnten Stufen liegen zur Hälfte schwarz, zur anderen grellweiß. Drunten glitzert heimlich das Wasser. Die Falten ihres Mantels bergen Silber; auch die Hand, die ihn am Hals zusammenhält, ist in Silber gefaßt. Ein großer Hut, ihr Beschützer auf unerlaubten Wegen, beschattet das Gesicht bis zu dem Kinn, das ist sehr weiß. ,O bleicher Verrat! O Frau in der Nacht, verzaubert und trügerisch alle beide!‘ Henri vergißt sich, den Blick verwirren ihm Tränen, er schlägt den Busch zurück, er nimmt drei Stufen auf einmal, er ist bei ihr, greift zu, bevor sie fliehen kann. Legt ihr den Kopf in den Nacken, sagt zwischen den Zähnen: „Davonlaufen, o meine schöne Liebe? Vor mir, vor mir?“

Sie versuchte sich zu fassen, ihre Stimme schwankte noch. „Wie konnt ich Ihrer gewärtig sein, mein hoher Herr?“

Er zögerte mit der Antwort, weil er horchte. Auch auf ihrem Gesicht erkannte er die Spannung. „Sind wir nicht geschaffen, voneinander zu wissen?“ fragte er in einem romantischen Tonfall, der die Nacht und ihre schwebenden Geister nachahmte. „Zeigt nicht uns beiden der Zauberspiegel unserer Ahnung, wo jeder weilt, was jeder treibt?“

„Jaja. Gewiß, so ist es, hoher Herr“ — was sie selbst gar nicht hörte. Sondern sie verfolgte das Knistern von Gezweig: es wurde schwächer, es war aus. Sie seufzte erleichtert.

Henri wußte so gut wie sie, wer sich entfernte. „Süßer Seufzer! Verheißungsvolle Blässe! Leugnen Sie nicht länger, daß Sie um meinetwillen hier sind. Wie könnten wir einander versäumen. Sind wir nicht eines der ewigen Liebespaare, um sie her mag die Welt einstürzen, sie merken es nicht: Abélard und Heloise, Helena und Paris.“

Sie hatte große Furcht, er könnte auf den Gedanken kommen, daß er hier nicht Paris wäre, sondern Menelaus. Andererseits mußte sie dabei lachen — sah ihn ironisch an unter ihrem großen Hut und sagte: „Mich friert, lassen Sie uns gehen.“

Er nahm ihre Fingerspitzen, an schwebender Hand führte er sie über die Gartentreppe, den schlafenden Schloßhof und zu dem linken der Türmchen von durchbrochener Bauart. Erst droben in ihrem Zimmer wurde Gabriele der Wirklichkeit bewußt, und da nichts mehr zu ändern war, warf sie alle Hüllen schnell ab und glitt ins Bett. Darunter am Boden lag der andere — womit eine vernünftige Geliebte nicht rechnen konnte. Nur der Mann in seiner Leidenschaft begriff den tollkühnen Drang des anderen, war darauf vorbereitet, daß er es nicht werde lassen können, und gleich beim Eintreten hatte er mit den Augen das Zimmer durchsucht. Das Bett stand voll im Mondschein.

Henri legte sich zu Gabriele, bereitwillig empfing sie ihn in ihren schönen Armen. Als sie diese nun ausstreckte, sah er zum erstenmal, daß sie um eine Kleinigkeit zu kurz waren. Und mehr als alles erbitterte ihn, daß der andere auch den Fehler kannte. Nach der Liebe verspürten sie Hunger, und öffneten die Schachtel mit Konfekt, die Henri mitgebracht hatte. Beide stopften den Mund voll und sagten gar nichts. Indessen bemerkte Gabriele ein Geräusch, das nicht das Kauen ihres Gefährten war. Vor Schrecken hielt sie selbst mit Essen an und erstarrte. „Nimm doch!“ sagte er. „Oder gäbe es Geister in deinem Türmchen? Ihr Stöhnen darf dich nicht erschrecken, ich hab die blanke Waffe gleich zur Hand.“

„Oh! Lieber Herr, es ist schrecklich. Schon manche Nacht habe ich hinter dem Schloß bei den Mägden verbracht, wenn es hier stöhnte.“ Die Lust zu lachen kam ihr diesmal nicht. Henri sagte: „Wenn’s nun der Geist von Feuillemorte wäre? Den sah ich lange nicht, er kann tot sein. Geist oder Mensch, jeder will leben“, erklärte er und warf Konfekt unter das Bett. Beide warteten — und wahrhaftig hörten sie unter dem Bett ein Zähneknirschen: es klang mehr nach Wut als nach Genuß.

„Fliehen wir!“ bat Gabriele schlotternd und umklammerte ihn.

„Wie kann ich, du läßt mich nicht aufstehen.“

„Nimm mich mit, ich fürchte mich. Öffne die Tür schon, ich werf dir die Kleider zu.“

Sie stieg über ihn weg, zog ihn am Arm und flehte entsetzt: „Nicht unters Bett sehen! Es wäre unser Unglück!“

„Geister sind meine schlimmsten Feinde nicht“, sagte er undeutlich vor Qual und großem Angstgefühl um die Mitte des Körpers. „An Geister glaub ich gern. Was ich weder glauben mag noch wissen will, ist das Gewesene, das für dich Fleisch und Blut war, aber lebt vielleicht noch jetzt in deinen Gedanken.“

„Um Gottes willen, so laß uns fliehen!“

„Sie haben mir alles berichtet über dich: Feuillemorte, Longueville und was ihnen vorausging. Als der selige König deiner satt war, verkaufte er dich dem Levantiner Zamet, der mit Geld handelt.“

Er hätte noch mehrere aufgezählt, obwohl er an keinen glaubte, nur sein Schmerz brach aus. Sie aber fiel ihm zu Füßen, drückte seine Knie, bis er das Bett verließ, und auch dann blieb sie davor am Boden sitzen, damit die Dichtigkeit ihrer Glieder ihn hindern sollte, darunter zu sehen. Er kleidete sich an, er warf keinen Blick hin. Endlich legte er ihr den weiten Mantel über, hob sie auf, trug sie die gewundene Stiege hinab, zurück über den Hof, durch den Garten und bis auf das Feld, wo sein Pferd stand. Er setzte sie vor sich hin. Stille Nacht, umwickelte Hufe, weiche Ackerkrume — Gabriele verstand genau das Flüstern in ihrem Nacken.

„Es ist gut. Ich weiß. Versuchung, Prüfung, schwere Stunde. Und will dich doch gewinnen, meine schöne Liebe.“

Die Vollendung des Königs Henri Quatre

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