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Ein Gewissenskampf

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Der König aber entließ des nächsten Tages dreitausend Personen aus der Stadt, damit sie nicht Hungers stürben. Als seine hohe Verbündete, Elisabeth von England, hiervon erfuhr, war sie mit ihm recht unzufrieden; er mußte ihr seinen besonderen Gesandten, Philipp Mornay, schicken — tat es übrigens gern, entfernte Mornay gern eine Weile aus seiner Nähe. Dieser sollte der Königin vorstellen, daß der Tod einiger armer Franzosen die spanische Partei zur Übergabe von Paris nicht bewogen haben würde, solange sie selbst noch Vorräte hatte. Überdies erlaubte er, daß die Bevölkerung kurze nächtliche Ausflüge machte, Getreide zu ernten, auf Feldern nahe der Mauer. Plötzlich erschien wieder Brot bei den Bäckern, wofür das Volk den König gesegnet hätte. Mönche und Bürgerwehr sorgten vor durch verstärkten Schrecken sowie auch vermittels der Nachricht, daß der König das Brot nur geliefert habe aus großem Bedürfnis nach spanischem Gold. Sein Heer entläuft ihm, und die Truppen unseres rechtmäßigen Herrschers Don Philipp sind im Anmarsch! Es lebe Gott, der kleine Ketzer ist verloren. Sein schönster Traum, die Hauptstadt des Königreiches aussterben zu sehen, erfüllt sich ihm nicht.

Henri, dies hören, und Entsetzen ergriff ihn. Was hinter den Mauern über ihn an Abscheulichkeit umging und bis zu ihm herausdrang, es war leider nichts Unbekanntes: sein Gewissen gab ihm ganz dasselbe schon ein, und je länger, je heftiger bestand sein Gewissen darauf. ,Henri! Du kämpfst hier keine gute und tapfere Schlacht. Henri! Du besiegst Menschen, die keine Waffen führen, und es sind die Einwohner deiner Hauptstadt. Sie sinken durch Erschöpfung hin, sie verlieren den Verstand, ja, vergehen sich gegen die Natur — indessen du selbst in sicheren Häusern schläfst und tafelst.‘

Womit sein Gewissen ihm noch nicht alles vorhielt, was es wußte. Er trieb auch Liebe mit der schönen Äbtissin eines Frauenklosters und verlegte sein Quartier sogar noch in ein zweites Ordenshaus. ,Henri!‘ sagte sein Gewissen nach genossener Freude. ,Diese Nonnen geben sich dir hin wie Judith dem Holofernes. Sie sind zuerst nur Lämmer auf der Schlachtbank, endlich aber rasend vor Glut, weil das Feuer der Verdammnis heranrückt, dafür möchten sie dich töten. So liegt ein Fluch und Unheil auf der Ketzerei‘ — fühlte der Protestant, trug aber nach wie vor eine Locke um das Ohr geschlungen in der Weise von Seinesgleichen. Sein Marschall Biron scherzte über seinen „Religionswechsel“: diesen Namen gab er der Abwechslung, die Henri bei mehreren geistlichen Frauen suchte. Der König ließ den Alten zu sich rufen und sprach zum erstenmal hier aus, daß er seine Religion abschwören und zu den anderen übertreten wollte.

Die Reue entrang es ihm, die Verzweiflung über die Taten, die er nicht eigentlich beging, sondern er war in sie versetzt. Aber das versteht kein alter Kriegsmann bis zuletzt — obwohl gerade Biron belehrt war über einige Dunkelheiten und Tiefen seines leichten Kampfhahns und Königs. Ihre eigenen Kämpfe, bevor diese beiden einander gefunden hatten und in den Armen gelegen, waren besonders und von der Art strenger gegenseitiger Prüfung gewesen: Biron vergaß es nicht. Hager aufgerichtet, leicht schwankend von dem Wein, den er jederzeit trank, ohne jemals seine Klarheit zu verlieren, ein Totenkopf mit hängendem Schnurrbart — stand Marschall Biron, überlegte, erwog und brachte hervor, niemand hätte vermutet, wie zart und voll Zweifel: „Sire! Soll ich’s weiterreden?“

Henri nickte, weil die Stimme ihm ausblieb. Dann flüsterte er: „Reden Sie — aber tun Sie, als ob Sie lügen.“

Biron bestätigte es ihm. „Man wird die Wahrheit umsonst zu erraten suchen. Weiß ich sie doch selbst nicht. Denn Eure Majestät haben als Hugenott Ihren Glauben und Anspruch auf den Thron verteidigt länger als zwanzig Jahre: auch gegen mich, der ich Ihr Feind war und der Feind des Admirals Coligny, den wir Papisten ganz schrecklich töteten. Ich hab nichts aus all der Zeit vergessen. Sire! Und Sie?“

Der König hörte die zarte, aber mächtige Ansprache eines Katholiken, der ihn warnte. ,Soll ich wirklich die Religion der Königin, meiner Mutter, abschwören?‘ erkannte Henri. Er blickte in eine niederschmetternde Helligkeit, woraus man ihn ansah und im Auge behielt — wer, das sagte ihm nur sein Schuldgefühl. Er war geblendet, die Helligkeit war das innere Licht des Gewissens. ,Mutter‘, dachte er. ,Herr Admiral‘, dachte er.

Obwohl sehr bleich und mit einem Gefühl großer Schwäche, versteifte er sich, befestigte die Stimme und wiederholte seinen Befehl. Von der Tür, im letzten Augenblick rief er den Marschall noch zurück. „Aber nicht meinen Protestanten sagen Sie es! Nicht meinen Protestanten!“

Er wußte, daß sie es natürlich erfahren würden. Auch das Verhalten jedes einzelnen der alten Freunde konnte er voraussehen. Froh war er nur, daß er Mornay oder die Tugend nach England geschickt hatte. Bis dorthin das Gerücht dringt, ist es eine matte Fabel, und der Königin Elisabeth, die dennoch Verdacht schöpfen könnte, wird Mornay ihn ausreden. Statt des einen Abwesenden zeigten genug andere ihm ihre strengen oder traurigen Gesichter: mehrere hätte er für leichter gehalten. Roquelaure, der gerne glänzt, ehrgeiziger Turenne, ihr habt die Kraft, wahr zu sein, und einen König, der lügen will, zu mißbilligen! Sein Agrippa stellte sich wohl nichtsahnend, gedachte aber in Wahrheit, seinen König zu überrumpeln. „Sire!“ begann er. „Ich bin in Gewissensnöten.“

„Du, Agrippa?“

„Ich. Wer denn sonst. Mir hat ein Freund aus Paris die Namen von Verschwörern verraten, schickt mir sogar ihre eigenen Briefe, daraus zu ersehen, was sie vorhaben gegen das Leben Eurer Majestät.“

„Gib sie mir!“

„Gerade Ihnen? Sire! Der spanische Gesandte wird mir mehr zahlen als Sie, wenn ich ihn in Kenntnis setze, daß dieses Unternehmen entdeckt ist. Aber obwohl ich auf Geld immer sehr bedacht bin, wie Sie wissen, erwerbe ich es doch niemals durch Verhandlungen mit den Feinden der Religion und meines Königs.“

„Wartest lieber, bis die Mörder mich haben? Oder welchen Preis machst du mir?“

Strafend wie jetzt hatte Agrippa noch niemals ausgesehen. In Minuten schien er um drei Zoll gewachsen.

„Keinen. Es ist dafür gesorgt, daß Sie diese Leute, wenn sie Ihnen unter die Augen treten, nicht einmal erkennen.“

„So werde ich dir nicht glauben, daß ich in Gefahr gewesen bin.“

„Sire! Wie Sie befehlen“, schloß Agrippa kühn und auch wieder humorvoll nach seiner Art. Nun geschah es gleich darauf, daß mehrere spanische Herren im Auftrag Don Philipps dem König von Frankreich, der seine Hauptstadt belagerte, eine Infantin zur Ehe anbieten wollten. Henri in seiner Begierde nach Frieden mit seinen Untertanen, beeilte sich, die Unterhändler zu empfangen. Nur der erste von ihnen wurde zu ihm gebracht, und man hielt ihn bei den Händen, links ein anderer, aber rechts Agrippa, der sich stellte, als wäre dies eine unverfängliche Höflichkeit — hielt indessen dem Manne das Handgelenk fest. Henri begriff. Er fertigte den falschen Beauftragten schnell ab, fragte auch nicht, was mit ihm und den übrigen nachher geschah. Seinem Agrippa d’Aubigné bot er keine Belohnung für die Lebensrettung an, und noch weniger dankte er ihm die erhaltene Belehrung, wie man uneigennützig, gerade und der eigenen Sache beharrlich treu ist.

Er glaubte, daß ihm selbst die Untreue leider aufgetragen wäre von Gott, da beschlossen war, daß er sollte das Königreich retten. ,Ich ehre Gott‘, so rechtfertigte Henri seine Untreue, was sogar mit dem Allwissenden nicht leicht ist. ,Ihm gehorch ich gegen das Andenken meiner Mutter und des Admirals, aller unserer Gewissenskämpfer, gegen das Bekenntnis der Pastoren und ungeachtet einer ganzen Million Opfer der Religionskriege.‘ Eine neue, erschreckende Einsamkeit befiel hier seinen Geist. ,Nicht alte Freunde, nicht Partei noch die geschützten Städte, in denen wir beten durften, La Rochelle am Meer, nicht einmal du! Keine einmütige Verbundenheit mit denen meines Glaubens, kein Psalm in der Schlacht: nichts hält stand, da das Königreich ruft. Das Königreich, das ist mehr als Meinung oder Absicht, ist mehr sogar als Ruhm: es sind menschliche Wesen wie ich’; so beteuerte er und fühlte hier wirklich: er war gerettet., Menschliche Wesen — aber einige von ihnen, über der Mauer, die ich mit Augen sehe, vergehen sich gegen die Natur! Dorthin kommt es mit ihnen, sobald nicht mehr der König sie bei ihrer Menschenpflicht erhalten kann. Das will ich tun, das allein soll mich retten bei Gott und Menschen.‘

„Wollen wir denn die beiden Gottlosen empfangen“, sagte er, meinte aber eine Zusammenkunft mit dem Kardinal von Paris und dem Erzbischof von Lyon. Er nannte sie gottlos, um seinen Glauben an das Königreich zu bekräftigen, während solche Wesen davon nichts halten. Mit mehr als tausend Edelleuten begab er sich an einem Augusttag um zwölf Uhr nach dem Kloster außerhalb der belagerten Hauptstadt, wo ihre Abgesandten ihn aufsuchten. Es waren Herren von Würde und Gewicht, hatten bis jetzt keinen Mangel gelitten, wie auch ihre gesamte Begleitung nicht. Sie verneigten sich vor dem König, aber nicht gerade zu tief: das hatte die belagerte Hauptstadt noch nicht nötig, wenn man ihre Gesandten sah. So gemessen wie diese konnte der König sich nicht benehmen, das Gedränge um ihn war zu dicht. Er sagte ihnen: „Wundern Sie sich nicht, wie ich gedrückt werde. In der Schlacht ist es ärger.“

Nun mochte er sich denken, daß sie hier nichts weiter wollten, als Zeit gewinnen, bis Mayenne die Hilfstruppen aus Flandern bekam und Paris entsetzte. Ihre Verhandlung mit dem König sollte das hungernde Volk von Paris hinhalten, weil es sonst versuchte, sich zu empören. Die beiden Bischöfe waren ihrerseits überzeugt, daß ihm der Hungertod einiger tausend Gemeiner so gleichgültig wäre wie ihnen selbst. Fragte sich nur, ob er dies zugeben durfte um seiner Volkstümlichkeit willen. Das Klügste schien beiderseits, alle Förmlichkeiten genau zu befolgen, weshalb der König von den Abgeordneten ihre schriftliche Vollmacht verlangte, und sie überreichten sie ihm. Darin stand verzeichnet, daß die Herren Kardinal und Erzbischof zu dem „König von Navarra“ gehen sollten, um ihn flehentlich zu ersuchen, er möge in eine allgemeine Befriedung des Königreiches willigen; dann aber zum Herzog von Mayenne, damit auch dieser darauf bedacht wäre. Eitle Worte, und eine Mißachtung des königlichen Ranges.

Henri wies sie darauf hin, daß ein „König von Navarra“ natürlich nicht berufen wäre, Paris und Frankreich den Frieden zu geben. Indessen wollte er sein Königreich in Ruh und Frieden sehen, und somit keinen Streit um Titel. Er versicherte sogar, er würde einen Finger geben, und legte weiterhin den zweiten dazu. Den einen Finger war eine Schlacht ihm wert, aber zwei versprach er für den allgemeinen Frieden. Die beiden geistlichen Diplomaten fanden ihn stark im Heucheln, und er stieg in ihrer Achtung. „Aber!“ rief er zu ihrer vermehrten Überraschung. „Aber Paris würde vergeblich auf den allgemeinen Frieden warten, solange es die Schreckensherrschaft und Hungersnot in seinen Mauern hat. Was wären das für körperlose Friedensworte. Paris darf nicht länger hungern. Ich liebe meine Stadt Paris. Sie ist meine älteste Tochter.“ Hiermit entlarvte er ihre Friedensbotschaft; aber nicht jeder, dessen Blöße schon offen ist, merkt es.

„Gefangen hat er gesessen in Paris, das ist alles“, bemerkten für sich die beiden. „Vater dieses Volkes nennt er sich, aber nur an einer Niederlage hängt es, und er sitzt nochmals hinter Gittern, kommt auch lebend nicht mehr frei. Als er sich überdies mit der wahren Mutter bei Salomo verglich, und wollte auf Paris lieber verzichten, als daß er es aus Trümmern und Toten hervorzöge und an sich brächte“ — bewunderten sie ihn nicht ohne Belustigung und streiften einander kurz mit den Blicken. Hierauf unternahmen sie es, ihn in der geschickten Falschheit noch zu überbieten. Sie stellten sich, als bezweifelten sie seine militärische Stärke sowie die Echtheit seiner Siege und rechneten mit einer Wendung. Wenn Paris vor der Herstellung des allgemeinen Friedens sich ihm ergäbe, würden Mayenne und der König von Spanien es wieder nehmen und hart bestrafen. Da aber erlebten sie etwas Neues.

Ein Soldat, dem die Gnade der Majestät zufällt vor ihren Augen. Sie begreifen nicht mehr, wer hier spricht, und von wo herab. Er schwört, unterbricht sich, selbst erschüttert, wiederholt aber den furchtbaren Schwur beim lebendigen Gott. „Wir werden sie schlagen.“ Seine tausend Edelleute riefen durcheinander, was einen eingeübten Gleichklang weit übertrifft: „Wir werden sie schlagen! Wahr geschworen! Die Schande nie, solange Gott lebt!“ Betroffen erkannten die Abgesandten, daß er eingesetzt war als Feind ihrer Welt; und gegenüber dem verkrüppelten Erdenbeherrscher Philipp, der unmenschlichen Weltmacht Habsburg, erhob ihren Anspruch eine lebendige Majestät. Man muß dies erblicken, damit man es glaubt. Im Leben geschieht fast alles ohne Auftrag — das ist die tägliche Erfahrung hochgestellter, ungläubiger Herren, die daher jeden Mächtigen für einen Betrüger halten und ihn dafür hinnehmen. Ein Schlag durchlief die Glieder dieser beiden, vor ihren Augen zitterte das irdische Bild, da sie die wirkliche Majestät erfuhren. Majestät — ein schwaches Wort für eine schlechthin überwältigende Gnade Gottes: — wie schwach und weitläufig verhält man sich zu Gott und Gnade. Zwei Kirchenfürsten hatten sich so lange nichts dabei gedacht, bis sie dies erlebten: ein Soldat, dem die Gnade der Majestät zufällt vor ihren Augen.

Henri hatte seitdem seine Gegner in der Hand während dieser Verhandlung. Nach dem Augenblick der hohen Berufung machte er von seinem Vorteil vor ihnen reichlichen Gebrauch. Er nahm sie nicht mehr ernst, sondern verlangte die Übergabe von Paris innerhalb acht Tagen, als wär es eine Kleinigkeit. Die Majestät darf niemals lange währen, wir werden sie nicht abnutzen, da die Gnade selten erscheint, und übrigens halten wir die guten Leute lieber zum besten, als daß wir sie durch Größe auf die Knie zwingen.

„Acht Tage habt ihr, meine Guten. Wollt ihr lieber warten mit der Übergabe, bis euch die Lebensmittel ganz ausgehen, dann schön, für euch eine Henkersmahlzeit und nachher der Strick.“

„So unbarmherzig wird kein König von Frankreich mit seiner Hauptstadt verfahren, und kein Christ mit zwei Dienern Gottes.“

„Dann laßt es darauf ankommen.“

„Zu fürchten ist allerdings, daß gerade wir beide wieder zu Ihnen hinausgeschickt werden, diesmal aber mit dem Strick um den Hals.“

„Dann übergebt mir die Stadt sogleich.“

„Wenn die Spanier und die sechzehn das hören, hängen sie uns auf.“

„Dann wartet auf Mayenne und die Hilfstruppen aus Flandern.“

„Eure Majestät könnten sie am Ende besiegen, um so sicherer würden wir aufgehängt.“

„Dann befürwortet die Übergabe.“

„Sire! Sie würden unsere Dienste vergessen und uns der Rache des Volkes ausliefern.“

„Dann laßt es nur ja weiter verhungern.“

„Sire! Sie sind falsch berichtet, noch hungert niemand.“

„Dann mög es euch immer wohl ergehen. Es gibt noch viel mehr auf den Friedhöfen, und genug Kinder sind unbewacht, die Mutter hat einen Anfall von Schwäche.“

Hierauf wagten sie keine Antwort, sondern ließen die Köpfe sinken, so frech bis jetzt ihr Sinn gewesen war. Da sie wahrhaftig den Boden verloren, schien es ihnen, daß sie sich von dem König hatten hinreißen lassen. ,Ja, ein Frag’und Antwortspiel hat er mit uns getrieben, nach dem Vorbild einer berühmten Szene im Rabelais, der nichts als ein Possenreißer gewesen ist. Das ist auch dieser König, und hält uns zum Narren.‘ Ihre Würde war dahin und ihre Verwirrung unaufhaltsam. Der König erlaubte ihnen nicht, sich zu fassen, im Gegenteil gab er ihnen den Rest. Das letzte sprach er nicht mehr schnell und leicht, sondern mit dem Nachdruck des Richters.

„Herr de Lyon“, sagte er zu dem Erzbischof. „Vor kurzem sind Sie auf der Sankt-Michaels-Brücke in ein Gedränge gekommen. Leute warfen sich vor Ihre Pferde und schrien nach Brot oder Tod. Hat nicht ein alter Mann Sie angesprochen?“

„Ich weiß es nicht“, stammelte Herr de Lyon, und alles in seinem Kopf drehte sich, wie es wahrscheinlich auch am Jüngsten Tage eintritt.

„Er hat Sie angesprochen und hat die Verzweiflungsschreie um Sie her eine letzte Bedenkzeit Gottes genannt.“

Bei dieser geheimen Offenbarung des Königs überkam Herrn de Lyon eine Schwäche, nicht anders als irgendeine niedrige Mutter, die ihr Kind in furchtbarer Absicht forttragen sieht. Seine Leute fingen ihn auf, bleich und verfallen stand der Kardinal daneben. Der König rief nach Wein zu ihrer Stärkung, und während sie ihn bekamen, stieg er schon zu Pferd. Im Fortreiten erklärte er den nächsten seiner Edelleute, wer auf der Brücke der Mensch gewesen war, der den Erzbischof verwarnte. Meister Ambroise Paré, ein Chirurg und fünfundachtzig Jahre alt, hatte auf der Brücke mit seiner letzten Kraft gesprochen, und jetzt lag er im Sterben. „Einstmals stand er dem ermordeten Coligny bei“, sagte König Henri, schloß die Lippen fest und öffnete sie auf dem ganzen Weg nicht mehr.

Seine Begleiter schwiegen, die Hufe klappten dumpf. Henri gedachte alter Hugenotten. Als einer der Ihren unwandelbar, so ritt er hier.

Die Vollendung des Königs Henri Quatre

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