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Pastor La Faye

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Unverweilt kam Gabriele zu Henri. Er schickte ihr Edelleute, die sie an seinen reisenden Hof brachten, und beide waren sehr glücklich. Die Frau freute sich, entkommen zu sein aus ihrem gespenstischen Schloß, wo hinter den Türen verdächtige Dinge vorgingen. Den Mann entzückte es, daß sie ihn liebte; und gewiß, verglichen mit dem Verlassenen liebte sie ihn. Ihr strahlender, berauschender Körper blieb in der Hingabe sanft, was dem stürmisch Begehrenden nicht auffiel. Der Abstand war unleugbar: einst die unlustige Fügung in seine Wünsche, jetzt soviel Geduld und Freundlichkeit. Henri glaubte alles erreicht zu haben, und wer auf dem Gipfel ist, fühlt sich frei. Vermeintlich steht es in seinem Belieben, bei Gabriele zu bleiben oder nicht. Das Ende ist so fern, daß man von einer Ewigkeit redet; weiß indessen durch oft wiederholte Erfahrung, wie lange es dauert, vielmehr, wie kurz.

Nichts wußte Henri wirklich. Diese war anders und sollte ihm mehr zu tun geben als alle zusammen. Nicht Raum genug für ihn und sein Erleben in den Jahren, die ihr blieben, und dann erst ihr Tod, der größte Tod vor seinem eigenen. Jetzt gibt sie sich ihm freundlich hin, mehr nicht: da sie freimütig ist und nichts erheucheln will. Aber was sie noch nicht fühlt, er wird es erringen, nacheinander ihre Zärtlichkeit, ihr Feuer, ihren Ehrgeiz, ihre ergebene Treue. Er findet immer mehr zu entdecken, unruhig betritt er auf jeder Stufe dieser Beziehungen eine neue Welt. Wird auch ein neuer König und Mensch sein, sooft sie durch ihn eine andere wird. Sich selbst verleugnen und beschämen, damit sie ihn liebt. Die Religion abschwören und das Königreich haben. Sieger, Hort der Schwachen, Hoffnung Europas — groß sein. Bald schon gesättigt: das alles ist beschlössen und soll eintreten, eines zum andern. Endlich wird die Geliebte des großen Königs das letzte über ihn verhängen: sie stirbt, und ihm wird gegeben, ein Träumer und Seher zu sein. Genug für die Zeitgenossen, ihren Überdruß einzugestehen an ihm und seiner Art. Man wendet sich fort, indes er einsam höher steigt, indes er sich verliert. Nichts hiervon wußte Henri, als er Madame de Liancourt an seinen reisenden Hof kommen ließ und mit ihr sehr glücklich war.

Hier gefiel sie allen überaus und machte sich keinen Feind, auch keine Feindin. Die Frauen sahen und erkannten an, daß sie nichts Unkeusches hatte weder im Reden noch Gehaben. Sie erwies sich blutjung und bescheiden gegen jede Dame von höherer Geburt oder reiferem Alter. Nicht durch Ränke und Laster, nur von der Gnade des Königs hatte sie ihren Rang; es erschien unzulässig, ihn ihr zu verdenken. Die Männer dieses Hofes waren einfache Kriegsleute, der rauhe Crillon, der tapfere Harambure. „Einäugiger“, nannte ihn sein Freund und Herr. „Morgen haben wir ein Gefecht, Einäugiger. Nimm dein Auge in acht, du wärest gleich blind!“ Die älteren Hugenotten des Hoflagers waren sittenrein und hierin dem König ungleich. Die jüngeren nahmen ihn sich auf alle Fälle zum Beispiel; aber für beide Gattungen der Protestanten wie auch für seine papistischen Getreuen war Henri der große Mann, dem allein die Bewunderung gerecht wird, und ganz verstehen kann ihn nur die Liebe.

Dies verspüren, und unweigerlich wurde die schöne d’Estrées in den Dunstkreis um den König gezogen. Hier bekam er eine Persönlichkeit weit hinaus über den Liebhaber, an den sie sich hatte gewöhnen müssen, und sogar der Sieger von Chartres, dessen Glanz ihr geschmeichelt hatte, trat zurück. Diese Männer alle hätten jederzeit an seiner Stelle ihr Leben verschenkt, jede Frau aber hätte ihren Sohn dahingegeben. Und hätten, Männer wie Frauen, nur zu gewinnen geglaubt, da der König von ihnen das Beste, ihr eigenes, aber vollkommenes Wesen, ihr Glaube und ihre Zukunft war. Gabriele, eine gelassene Natur, eher vernünftig als ausschweifend, still beobachtete sie, machte sich leise lustig — lernte aber zugleich, wo ihre Aussichten lagen, wie sie sich verhalten mußte. Wenn ihr Herz nicht gerade gerührt war, ihr Sinn wurde verwandelt.

Sie war am Hof die ruhigste Person. Ihr hoher Rang bekundete sich fast allein in Unvordringlichkeit, manche fanden: Kälte. Ihr Verehrter Herr d’Armagnac, Erster Kammerdiener des Königs, nannte sie den Engel des Nordens. Niemand begriff, außer Henri, ihren Zauber wie d’Armagnac. Engel des Nordens, sagten auch die anderen Gascogner und suchten mit den unverhüllten Blicken der Anbetung ihre Augen, die hell und ungewiß waren. Edelleute, die selbst den nördlichen Provinzen entstammten, sprachen den Namen im Geiste ihres Herrn aus, mit wenig Ironie und vieler Gutwilligkeit. Endlich gestand sogar der starrsinnige Agrippa d’Aubigné, so äußerst schön Dame d’Estrées wäre, übte sie doch verbotenen Reiz nicht aus.

So vielen Lichtern ohne Deckung ausgesetzt, machte Gabriele kaum einen Fehler, und jedenfalls den entscheidenden nicht. Man wartete, ob sie den Namen Bellegarde in den Mund nähme. Wie sie es anstellte, und ob sie es tat oder ließ, sie mußte sich schaden. Zuletzt sprach sie dann wirklich von ihrem früheren Geliebten, das vorberechnete Ereignis wurde es aber mit nichten. Der junge Givry, ein Altersgenosse des Großstallmeisters und nicht weniger wohlgebildet, machte ihr ehrfurchtsvoll und anmutig den Hof; durch sie hindurch machte er ihn eigentlich dem König. „Herr de Givry, von Ihnen ist ein Wort, das der König Ihnen nie vergißt“, sagte Madame de Liancourt, als mehrere zuhörten. „Beim ganzen Adel ein berühmtes Wort: ,Sire! Sie sind der König der Tapferen, verlassen werden Sie nur von Feiglingen.‘ So sagten Sie und trafen durchaus das Richtige. Nun ist der Herzog von Bellegarde kein Feigling, der König wird ihn nicht lange mehr vermissen, sondern ihn sicher zurückkehren sehen.“

Das war alles. Keine Erwähnung des Fräuleins von Guise — womit deutlich genug verlangt wurde, von Liebesgeschichten sollte die Rede nicht sein, und was allein noch zählte, wäre die Treue zum König. Das war geschickt genug — erschien sogar freimütig und schlicht. Dem Skandal war zuvorgekommen — oder doch nicht? Der offene Anspruch, untadelig dazustehen, ging manchen zuweit in Anbetracht der wirklichen Verhältnisse. Die Pastoren des Hoflagers hatten auf diese immer verwiesen: der König und Madame de Liancourt, beide verheiratet, ein doppelter Ehebruch, der Welt zum Ärgernis und unter Nichtachtung der Religion. Die Pastoren erhoben diesmal die Stimme und sagten „Iesabel“, indessen die Prälaten schwiegen. „Iesabel“, sagten die Pastoren, als ob die Frau des jüdischen Königs Ahab, die ihn zu ihrem heimatlichen Gotte Baal bekehrte, hätte verglichen werden können mit der katholischen Freundin eines Königs von Frankreich. Allerdings war Iesabel verfolgt worden vom Propheten Elias, bis die Hunde sie fraßen mit Ausnahme des Schädels, der Füße und der flachen Hände. Der Prophet hatte es ihr richtig vorhergesagt. Die Pastoren dagegen konnten irren, sie zeigten sich hart und schon deshalb nicht klug. Sie ängsteten die Dame und enttäuschten ihren guten Willen.

Von den Priestern ihrer Kirche erhielt die Geliebte des Königs nur gütigen Zuspruch: nicht gerade die Hoffnung auf eine hohe Vermählung, soweit waren die Dinge längst nicht. Noch lag sogar die Trennung der Dame d’Estrées von ihrem Gatten im Dunkeln, um wieviel weniger wird ein kirchlicher Diplomat, der nichts verderben will, die Ehe des Königs berühren. Auch sein Glaubenswechsel, so sehr alles darauf hinlief, so nah er mittlerweile gerückt war, in den Gesprächen der Prälaten mit der Geliebten des Königs kam er nicht vor. Das bedeutete einen Wink für Gabriele, und sie verstand ihn. Ihre geheimen Stunden mit Henri hörten keine einzige geflüsterte Anspielung auf seinen Übertritt. Indessen entließ sie ihre protestantische Dienerschaft — unauffällig, infolge eines Rates ihrer Tante de Sourdis, die wachsam blieb.

Pastor La Faye war ein alter, milder Mann, der Henri einst auf seinen Knien gehalten hatte. Der war es, der sprach zu dem König. Er konnte es, weil weder frommer Eifer noch Tugendwächterei sein Fall waren. Er gab zu, daß man in beiden Bekenntnissen seine Seele retten könnte. „Ich soll bald vor Gott hintreten. Wär ich aber katholisch und würde mitten aus der Messe zu ihm gerufen, anstatt aus der Predigt, wie es meine Hoffnung ist, der Herr in seinem Strahlengewölbe würde darum das Auge nicht regen.“

In einem Zimmer saß der Pastor, der König schritt vor ihm hin und her. „Sprechen Sie weiter, Herr Pastor! Sie sind kein Gabriel Damours, das Flammenschwert führen Sie nicht.“

„Sire! Dies ist die Wendung zum Schlimmen. Geben Sie Ihren Glaubensgenossen nicht das Ärgernis, daß Sie sich dem Schoß der Kirche mit Gewalt entreißen lassen!“

„Wenn ich Ihrem Rat folgte“, erwiderte Henri, „bald gäbe es weder König noch Königreich mehr.“

Der Pastor führte die Hand schnell vor seinem Gesicht vorbei. „Die Rede der Welt“, sagte er ohne Betonung, wie eine Sache, die wegzustreifen und abzutun wäre. „Der König fühlt sich von dem Messer bedroht, wenn er bei der Religion verharrt. Schwört er sie aber ab, werden wir Hugenotten nicht mehr sicher sein, weder unserer Glaubensfreiheit noch unseres Lebens.“

„Denkt selbst an Eure Sicherheit“, mußte Henri sagen, und da es beschämend war, sprach er es stürmisch. „Ich wünsche Frieden allen meinen Untertanen, und mir selbst die Ruhe der Seele.“

Der Pastor wiederholte: „Die Ruhe der Seele.“ Langsam, eindringlich: „So redet die Welt nicht: das sind wir. Sire! Nach Ihrem Übertritt werden Sie nicht mehr leichten Herzens und einfach, nicht einfach und furchtlos werden Sie dastehen vor dem Volk, das Sie geliebt hat, und darum liebte Sie auch der Herr. Sie waren gütig, weil Sie nichts verschuldet, und lustig, solange Sie nicht verraten hatten. Nachher — Sire! Nachher sind Sie keine Hoffnung mehr.“

Wahr oder falsch, und wahrscheinlich beides: gesprochen war es mit der Schwere der geistlichen Verantwortung, darum ließ dies Wort den König erbleichen. Dem alten Beschützer seiner Jugend widerstrebte der Anblick, er flüsterte schnell: „Aber Sie können nicht anders.“

Er wollte aufstehen, um zu zeigen, daß nicht mehr die Religion das Wort führe: nur ein demütiger Mensch. Der König hieß ihn sitzenbleiben; er selbst durchmaß das Zimmer mit großen Schritten. „Weiter!“ verlangte er, dachte es mehr, als er es aussprach: „Hab ich denn andere Fehler und Tugenden bekommen?“

„Es sind noch dieselben“, sagte La Faye, „nehmen aber einen anderen Sinn an, wenn die Jahre kommen.“

Der König: „Und darf ich nicht mehr glücklich sein?“

Der Pastor, mit Wiegen des Kopfes: „Sie nennen sich wohl glücklich. Von Gott aber kam Ihnen vorzeiten ein reueloses Glück. Demnächst werden Sie manch Unrecht erleiden und einiges noch schwerere sollen Sie selbst begehen — um Ihrer lieben Herrin willen.“

„Meine liebe Herrin“, wiederholte Henri, denn so nannte er sie wirklich. „Was wollte sie mir wohl zufügen.“

„Sire! Sehen Sie allem entgegen, da es doch kommen soll. Geh in Frieden!“

Was hieß das? Der König verlor die Geduld bei den Ausfällen und den Rätseln des Alten; verließ das Zimmer und betrat die Straße seiner Stadt Noyon: da wälzte sich Volk, ein dichter Haufen. Erst beim Erscheinen des Königs lichtete er sich, und aus seinem Innern entließ das Gewühl keinen anderen als Herrn d’Estrées, Gouverneur der Stadt, aber seit dem großen Aufstieg seiner Tochter auch Gouverneur der Provinz. Nur schwer gelangte er hervor, noch mehrere Hände griffen nach ihm.

„Herr Gouverneur, wer erlaubt sich, Sie anzurühren?“ fragte der König stark, und da seine Wache vorging, begann das Volk zu flüchten. Herrn d’Estrées waren die Kleider aufgerissen, sonderbare Sachen hingen heraus: Kindermützchen, ganz kleine Schuhe, eine Uhr aus Blech, ein hölzerner Apfelschimmel, glänzend lackiert.

„Ich habe ihn gekauft“, sagte Herr d’Estrées.

„Mein Mützchen hat er nicht gekauft“, behauptete eine Ladenbesitzerin. Ein Handwerker schloß sich an. „Meine Säuglingsschuhe auch nicht.“ Ein anderer bat freundlich, aber nicht ohne Spott, ihm seine Spielsachen gefälligst zu bezahlen. Der König betrachtete in peinlicher Erwartung seinen Gouverneur, der unverständlich kollerte, aber besonders seine rot überlaufene Glatze verriet ihn. Sein Hut lag zertreten am Boden, unversehens zog ein gut gekleideter Bürger etwas daraus hervor — sieh da, ein Ring: keine Nachahmung, ein echter Stein. „Aus dem Kasten, den Herr d’Estrées sich von mir vorlegen ließ“, erklärte der Kaufmann.

„Nichts fehlt von den Sachen“, sagte der König. „Ich hatte mit dem Herrn Gouverneur gewettet, daß er sie so still und heimlich nicht würde kaufen können. Hab verloren und bezahl euch.“

Sprach es und ging mit großen Schritten ab.

Die Vollendung des Königs Henri Quatre

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