Читать книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - Страница 23
Ein geheimnisvoller Gatte
ОглавлениеDas tat Agrippa, und noch mehrere beteten zu dieser Zeit, jeder in seinem Herzen, für den König, da er ihnen von Gefahren bedrängt erschien: besonders an der Seele, aber leiblich auch. Rettung trat wirklich ein; wenigstens ein Anerbieten der Rettung widerfuhr dem König. Herr d’Estrées verheiratete seine Tochter.
Ihr voriges Abenteuer in Coeuvres, mit dem König im Bett und dem Großstallmeister darunter, war ihm mehr oder weniger zu Ohren gekommen. Bellegarde konnte nicht schweigen. Überdies rächte der Eifersüchtige seine Erniedrigung, er verliebte sich in Fräulein von Guise aus dem Hause Lothringen; aber dies Haus strebt noch immer nach dem Thron, der Herzog von Mayenne liegt wie je im Krieg mit dem König. Daher verschwand Feuillemorte aus dem Bilde — wurde nicht gesehen weder vor Rouen in den Laufgräben noch bei den vielen Ritten des Königs durch das Land in militärischen Geschäften. Vater d’Estrées benutzte die Abwesenheit beider, um Gabriele mit Herrn de Liancourt zu verheiraten — ein Mann von unbedeutenden Körperverhältnissen, den er sich selbst ausgesucht hatte. Geist oder Charakter fanden sich ebensowenig bei ihm vor, aber er hatte vier Kinder gezeugt, und zwei davon lebten. Dies hielt der Vater Gabrieles ihr besonders vor Augen: wohin die Liebschaften geführt hätten, und daß sie bei ihrem künftigen Gatten sicher wäre, Mutter zu werden. Es war die vornehmste Sorge des Herrn d’Estrées. Gelegen kam ferner, daß der Auserwählte ein sechsunddreißigjähriger begüterter Witwer war, sein Schloß lag nahe, sein Adel genügte.
Gabriele, den Tod im Herzen, leistete einigen hochfahrenden Widerstand, nur fehlte ihm von Anfang an die rechte Überzeugung. Von ihrem schönen Verführer fühlte sie sich aufgegeben, erwartete auch nicht die Hilfe ihres hohen Herrn, sonst hätte sie ihn herbeigerufen. Sie war noch froh, daß beide, hoher Herr und Herzensfreund, sich ärgern sollten. Mehr Umstände machte Herrn d’Estrées sein Schwiegersohn, der, schüchtern von Natur, nur mit Schrecken daran dachte, dem König eine noch ganz neue Eroberung streitig zu machen. Dies abgerechnet, wäre Fräulein d’Estrées ihm auf alle Fälle zu schön gewesen. Er begehrte sie zu heftig; was zusammen mit seiner Schüchternheit auf Enttäuschungen hinauslaufen mußte. Er kannte sich, obwohl andererseits gerade die schwache Ansicht, die er von sich hatte, ihm ein Gefühl der geistigen Überlegenheit eingab. So war Herr de Liancourt beschaffen, weshalb er sich beim Herannahen seines Ehrentages niederlegte und den Kranken spielte. Der Gouverneur von Noyon mußte mit Soldaten seinen Schwiegersohn zur Trauung abholen. Niemandem war wohl bei diesen Angelegenheiten, bis auf den Biedermann d’Estrées, der sich recht im reinen fühlte: das fehlte ihm sonst. Die Tante, Madame de Sourdis, hätte den großen Aufschwung der Familie verloren geben und beweinen müssen. Indessen kannte sie die Wechselfälle des Glückes.
Als sie, drei Tage nach der Hochzeit, eigens die Reise von Chartres her machte und auf Schloß Liancourt vorsprach, was erfuhr Dame de Sourdis? Vielmehr, sie selbst legte es der Nichte mit Anstand in den Mund und holte es geschickt wieder heraus. Zuletzt war nicht mehr festzustellen, wie die Tatsache herbeigeführt worden war; nur diese selbst blieb unbestritten: Herr und Madame de Liancourt schliefen getrennt. Dies hören, der empörte Vater der jungen Frau ritt den ganzen Weg im Galopp — traf indessen verlegene Gesichter an und erlangte kein rechtes Ja so wenig wie ein klares Nein. Erst unter vier Augen gestand die Tochter ihm, daß ihre Ehe bis jetzt nicht wirklich vollzogen wäre, und nach ihren Erfahrungen mit Herrn de Liancourt bestände wenig Hoffnung. Der Biedermann mit seiner Glatze, rot vom Zorn, stürzte zu dem pflichtvergessenen Schloßherrn. Vater von vier Kindern, und wagt eine solche Beleidigung! Herr de Liancourt entschuldigte sich mit einem Huftritt, den ein Pferd ihm leider inzwischen versetzt habe. „Dann verheiratet man sich nicht!“ schnob der Biedermann.
„Ich habe mich nicht, Sie haben mich verheiratet“, erwiderte leise der Bedrängte. Er gab sich allerdings schüchtern, gleichzeitig aber war er einer Art von wolkiger Entrücktheit fähig. Man wußte nicht mehr, mit wem man zu tun hatte: ein Ungeheuer an Hinterhältigkeit, ein Geistesschwacher, ein Gespenst. Herrn d’Estrées entsank auf einmal der Mut, und er floh dieses Schloß.
Gleich darauf traf in Noyon der König ein, infolge erhaltener Nachrichten. Nicht allein den jähen Verlust der geliebten Gabriele, auch den schrecklichen Tod ihrer Mutter vernahm er um dieselbe Zeit. Issoire ist eine Stadt, weit fort in der Auvergne; ohnedies pflichtvergessen, hatte Madame d’Estrées sich nicht entschließen können, den Marquis d’Alègre allein zu lassen, lieber fehlte sie sogar bei der Hochzeit ihrer Tochter. Wäre sie doch gereist! Die Alternde wollte von der Liebe zuletzt noch den ganzen Rest, erließ ihrem Gefährten aber auch in Geldsachen nichts. Der Gouverneur von Issoire mußte die Bevölkerung unerbittlich auspressen, um den Ansprüchen seiner Geliebten zu genügen. Beide wurden den Leuten endlich bis zum Mord verhaßt — und der geschah. Er wurde verübt in einer Juninacht von zwölf Männern, darunter zwei Schlächter. Sie überrannten die Wachen, erbrachen das Schlafzimmer und schlachteten das Paar. Der Edelmann hatte sich tapfer verteidigt, dennoch wurden beide nackt zum Aas geworfen.
Der König sagte zu dem Gouverneur von Noyon: der von Issoire wäre fürchterlich umgekommen. „Und vergessen Sie seine Konkubine nicht“, bemerkte Herr d’Estrées, wobei er nickte wie jemand, dessen berechtigte Erwartungen erfüllt sind. Der König hätte bemerken müssen, wie die Gebete seiner Freunde ihn umwehten: die angebotene Rettung, er hätte sie heraushören können. Die Mutter seiner Geliebten war den Weg vorausgegangen und an sein Ende gelangt. Nach menschlichem Ermessen wäre die Tochter davon nicht abzuhalten; der König aber unternahm gerade dies. Gabriele stand jetzt unter dem Schutz eines Gatten: Henri freute sich nur, daß es nicht Feuillemorte war, der hätte ihm mehr Arbeit gemacht. Unverweilt suchte er seine schöne Liebe heim und schwur ihr, was sie nur wollte, aber fortkommen sollte sie, mit ihm leben sollte sie, er ertrage es nicht anders. Sie auch nicht — gestand Gabriele endlich und schluchzte an seiner Brust, vielleicht flossen Tränen, Henri sah sie nicht. Jedenfalls seufzte sie den Namen des Herrn de Liancourt und noch ein Wort, von dem das Herz ihm stockte. „Das sollte wahr sein?“ fragte er.
Gabriele nickte. Dennoch seufzte sie, daß sie bei diesem Gatten aushalten wolle trotz seinem Versagen. „Ich bin schrecklich gewarnt durch meine arme Mutter. Ich fürchte Herrn de Liancourt, denn ich verstehe ihn nicht. Was er spricht, ist leer, was er tut, ist rätselhaft. Er schließt sich in sein Zimmer ein. Ich habe versucht, durch das Schlüsselloch zu sehen: er hatte es verhängt.“
„Das werden wir herausbekommen“, beschloß Henri und begab sich kampfeslustig zu dem Schloßherrn — fand nur keinen Gegner. Die Tür stand offen, ein Mensch ohne rechtes Gesicht verneigte sich, ihm schienen alle Dinge fern zu liegen, außer etwa seinem feinen Kleid, das silbern bestickt war, und seiner schimmernden Halskrause. Die Strumpfhosen wie auch das Wams saßen glatt wie nur selten, besonders in Anbetracht eines so kümmerlichen Wuchses. An irgendeine Wirklichkeit muß man sich halten, Henri fragte den Wohlgekleideten nach der Herkunft und den Kosten seiner Stoffe. In die Antwort hinein rief er:
„Ist es denn wahr, Sie sind kein Mann!“
„Ich war es“, sagte Herr de Liancourt und sah aus, wie gewesen. Er sagte in aller Förmlichkeit, mit Pausen und Verbeugungen: „Ich bin es zu Zeiten. Sire! Ich befinde selbst darüber, wann ich es zu sein habe.“
Das konnte der bare Hochmut sein. Oder Ergebenheit für den königlichen Liebhaber seiner Gemahlin lag darin: es schien unmöglich, diesem Menschen einen Sinn nachzuweisen und ihm eine Sicherheit abzugewinnen. Henri brachte vor, beinahe wie eine Bitte:
„Und der Huftritt?“
„Ein Huftritt hat stattgefunden. Das Urteil der Fakultät über ihn und seine Folgen läßt mehrere Deutungen zu.“ Dem König blieb von der Auskunft der Mund offen.
Ihm war nachgerade angst und bange. Das abwesende Gesicht, eine Bescheidenheit ungreifbar, eine Selbstgewißheit wie ein Schlafwandler oder Geist. Das Wesen gesteht nichts, will nichts; es erscheint nur, es bekundet sich, wenn auch schwach. Henri ertrug es nicht länger. Er schlug auf den Tisch und rief: „Die Wahrheit!“ Seine Wut betraf beide, dieses Gespenst, aber noch mehr Gabriele, die ihn wahrscheinlich belogen hatte, und jede Nacht lag sie bei diesem. Er durchmaß mit langen Schritten das Zimmer, fiel auf einen Sessel und biß sich in die Knöchel der Hand.
„Bei Ihrem Leben! Die Wahrheit!“
„Sire! Ihr Diener erwartet Ihre Befehle.“
Hier begriff der Eifersüchtige, daß die Wirklichkeit soviel wie ein Machtspruch ist. Er hätte früher daran denken sollen, beruhigte sich augenblicklich und diktierte.
„Sie übergeben mir Madame de Liancourt. Sie werden dafür mein Kammerherr. Gabriele bekommt von mir, als Beitrag zu ihrer ehelichen Gemeinschaft, Assy, das Schloß, die Wälder, Felder, Wiesen.“
„Ich verlange nichts“, sagte der Gatte. „Ich gehorche.“
„Gabriele trägt weiter Ihren Namen. Vielleicht mache ich sie später zur Herzogin von Assy. Wenn sie stirbt, erben alles Ihre Töchter. Herr!“ rief er dazwischen, weil der andere stehend einzuschlafen schien. Der König verordnete:
„Dafür bestätigen Sie ohne Widerspruch, was wir behaupten werden, sonst wehe Ihnen: Die Dame d’Estrées hat Sie nur gezwungen geheiratet, und Ihre Pflichten haben Sie in der Ehe nie erfüllt, ob Huftritt oder geheime Krankheit. Verstanden?“
Herr de Liancourt verstand, wie man ihn jetzt schon kannte, trotz seiner merkwürdigen Erstarrung. Diese nahm zu, je mehr Geschenke, Todesgefahren und Wendungen des Geschickes auf ihn eindrangen. Henri ließ ihn und warf die Tür hinter sich.
Der Zurückgebliebene verharrte eine Weile mit dem Gesicht über den Füßen. Als er sich endlich aufgerichtet hatte, riegelte er ab und verhängte das Schlüsselloch. Aus der Truhe holte er ein dickes Buch in Leder mit dem Wappen des Hauses Amerval de Liancourt und begann zu schreiben. Er verzeichnete, wie schon bislang, die Vorfälle seines Lebens, so auch diesen jüngsten. Mit großer Genauigkeit gab er den König wieder, seine Reden, innerlichen Bewegungen und Gänge durch das Zimmer. Ob er es wollte oder nicht, die Gestalt und Rolle des Königs gerieten derart, daß der Schreibende auf sie herabsehen konnte. Mit seinem schönen Ehegemahl war ihm dasselbe schon längst gelungen. Seine schriftlichen Niederlegungen beschloß er aber mit einer Mitteilung an die Nachwelt. Er setzte groß darüber: „Hochbedeutsames, wahrhaftiges Zeugnis, abgelegt von Nicolaus d’Amerval, Herrn de Liancourt, zu lesen nach seinem Ableben und wohl aufzubewahren für alle Zeiten.
Ich, Nicolaus d’Amerval, Herr von Liancourt und anderen Orten, bei vollem Verstand und meines Todes gewiß, aber ungewiß seiner Stunde —“ Er kleidete, was er zu hinterlassen gedachte, in die feierliche Form eines Testamentes; dann folgte, daß alles, was ihm zustieß, Unrecht, Lüge und Vergewaltigung wäre. Er wäre weder unfähig noch ungeschickt für das fleischliche Werk der Zeugung — dies vor Gott gesprochen. Sollte er in einem Scheidungsverfahren das Gegenteil zugehen, dann geschehe es infolge Gehorsam gegen den König und aus Furcht um sein Leben.