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Kathrin, wie immer

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Der Garten von Coeuvres war unter den Sommer versunken, Henri gewissermaßen unter die Liebe, und hierbei sieht niemand weiter als er den Fuß setzt. Auch dieses Dickicht der Gefühle lichtete sich bald zufolge der Jahreszeit, und der König betrieb wieder all seine Sachen, kräftiger als vorher, vielerlei auf einmal, aber mit dem klarsten Überblick, obwohl auch Überraschungen eintraten, man hätte leicht darüber den Kopf verloren. Ein Schlag aus heiterem Himmel war der Einfall seiner lieben Schwester, ihn zu verlassen und zu verraten, ihren geliebten Soissons zum König machen zu lassen, und anstatt ihres Bruders Henri hätte sie selbst mit ihrem braven Gatten den Thron bestiegen. Henri davon hören, und er führte Hiebe nach allen. Seiten. Er bedrohte mit dem Tode jeden, der in diesem Geschäft die Finger hatte. Seiner lieben Schwester befahl er, an sein reisendes Hoflager zu kommen, und wenn nicht, ließe er sie holen.

Er ließe sie gewaltsam fortführen aus ihrer alten Heimat Béarn, wo sie bedrohliche Heimlichkeiten gegen ihn betrieb, nicht nur, daß sie Vetter Soissons zu heiraten gedachte. Nachher hätte man versucht, ihren lieben Bruder zu töten, wie sie sich wohl sagen mußte. Man wird erfahren genug in diesem Leben, da man als Bruder und Schwester aufgewachsen ist, und zwar zusammengekettet bei Übergängen, wo nirgends Halt war. Ganz im Grunde, wen haben die Kinder der Königin Jeanne, als nur einander. Erstaunlich, Henri vergaß hier Gabriele d’Estrées, eine Fremde, Gelegenheit mancher Irrungen und Verwirrungen, aber was bedeutet das gegen eine Verschwörung meiner kleinen Kathrin.

Er nannte sie wie als Kind, und er griff sich an die Stirn. Er verließ das Zimmer nicht mehr, während ihre Kutsche noch tagelang herbeirollte, zuletzt aber litt es ihn nicht, er jagte ihr entgegen. Dort hinten die kleine Staubwolke, darin wird es sein — alles, was von seinem ersten Stück Leben übrig ist, und verschwände es, würde er sich selbst fremd. Die Staubwolke öffnet sich, die Kutsche hält. Niemand rührt sich, die begleitenden Edelleute zügeln ihre Pferde und sehen zu, wie der König zum Wagenschlag tritt.

„Madame, wollen Sie aussteigen“, bat er förmlich, da kam sie erst hervor. Ein Gehöft stand unfern in den Feldern. Sie ließen alles, was ihnen gehörte, auf der Landstraße, sie gingen allein dorthin. Henri sagte: „Liebe Schwester, was für ein verstocktes Gesicht Sie machen, und ich freue mich doch so sehr, Sie zu sehen.“

Das war ermunternd, es war begütigend; in nichts glich es den strafenden Worten, die er sich vorgesetzt hatte. Eine Antwort folgte nicht, aber die Schwester wendete ihm das Gesicht zu, was auch genügte: er wurde betroffen. Das genaue Licht des weiten, bedeckten Himmels zeigte ihm ein verhärmtes Gesicht. In Schauern verwelkt wie eine helle Rose erschien ihm die aschblonde Kinderblüte — für seine Augen dennoch dieselbe Kinderblüte, solange sie leben sollte; Spuren der Unbilden blieben nur obenauf. Er vertröstete sein Gewissen, das bei dem Anblick schlug. ,Bleiben obenauf, und alt — wer altert wohl? Doch wir nicht.‘ Gleichwohl griff er es hier mit Händen: sie alterten.

Plötzlich gestand er sich seine eigene Schuld, hatte aber vorher ihrer mit keinem Wort gedacht. ,Ich hätte sie längst verheiraten sollen, warum nicht mit ihrem Soissons. Wie lange behält man denn Zeit, um glücklich zu sein. Sie hat genug mit sich gekämpft, weil er katholisch ist. Jetzt werde ich es bald selbst sein. Um was quälen wir uns? Jeder macht einen Komödianten. Totus mundus —. Wozu wir berufen sind, ist größtenteils Farce.‘

Durch das Bauernhaus konnte man hindurchsehen, die Leute waren fort. Henri wischte vor der Tür die Bank ab, damit Kathrin sich darauf setzte. Er selbst ließ die Füße vom Tisch hängen, der stand mit den ungehobelten Klötzen in der Erde.

„Um was quälen wir uns“, wiederholte er laut. Von Verrat zu sprechen, wäre schrecklich unpassend, ja, falsch wäre es gewesen, wie man mitunter erkennt. „Schwester“, begann er, „weißt du wohl, daß ich hauptsächlich aus Furcht vor dir noch immer nicht gewagt habe, unsere Religion zu verlassen. Wär sonst alles leichter. Da hätt ich nicht gedacht, du tätest es selbst und wolltest eine katholische Königin werden.“

Er sprach leicht, versöhnlich, beinahe heiter, sie sollte lächeln, wenn auch unter Tränen. Nichts dergleichen, sie behielt ihr armes verschlossenes Gesicht. „Bruder, Sie haben mich oft enttäuscht“, sagte sie, als sie ihn durchaus nicht länger warten lassen konnte. Er griff sogleich zu.

„Weiß ich. Und hatte doch die besten Absichten, als ich unserem Vetter zu guter Stunde die Verbindung unserer Familie vorschlug.“

„Das tatest du, um ihn für deine Sache zurückzugewinnen, und kaum, daß er keine Partei mehr hatte, ihm auf den Thron zu helfen, brachst du ihm dein Wort“ — schloß sie hart; hatte sich ereifert, so daß sie zugleich hart und vertraut war. Nur dieses einzige Geschöpf hienieden konnte ihm nahe genug kommen: sonst hätte er am Ende nie erfahren, daß er sein Wort gebrochen hatte. Schwerwiegend war es ihm bis jetzt nicht erschienen, eine Nebensache, wie der ganze Soissons. Die wirkliche Gefahr war Haus Lothringen gewesen, die wirkliche Gefahr war noch jetzt Haus Habsburg. ,Den guten Vetter beseitigt man mit einem leichten Wort: Du bekommst meine Schwester. Ist gesprochen, was weiter.‘Die katholischen Edelleute wurden zu jener Zeit besonders dringend, damit Henri ein Ende macht und abschwört, oder sonst drohen sie, den Vetter zum König auszurufen. ,Das Ganze war nicht sehr ernst zu nehmen gewesen‘, wiederholte Henri; ,hätte ich es sonst ganz vergessen können? Jetzt ist das Verrat geworden. So verrät man denn wirklich.‘

Seine Schwester nickte; sie hatte in seinem Gesicht gelesen. „Immer nur dein Vorteil“, sagte sie — ernst, anstatt hart. „Das Glück der andern, du vergißt es ganz und bist doch gut, man nennt es human. Leider auch vergeßlich.“

„Weiß man, wie das kommt“, murmelte er. „Hilf mir, liebe Schwester“, bat er, in der Gewißheit, daß „Hilf mir“ ihr Herz mehr rührte, als „Verzeih mir“.

„Was meinst du wohl?“ fragte sie zum Schein, denn sie dachte an dasselbe wie er, die Ständeversammlung in Paris.

Er erklärte im Ton der Verachtung: „Mein besiegter Feind Mayenne bläst groß von sich und läßt Boten reiten wegen Berufung einer Ständeversammlung, damit das Königreich sich entscheidet zwischen mir und Philipp von Spanien. Verlorene Schlachten genügen ihnen nicht.“

„Das Königreich“, so belehrte sie den Bruder, „es kann auch den Grafen von Soissons wählen, ein Bourbon wie du, aber schon katholisch.“

„Dann schwör ich noch vorher ab, Gott helfe mir!“

„Bruder!“ sagte sie voll Schrecken — ihre tiefe Bewegung scheuchte die Arme von der Bank auf, und ungleichen Schrittes, man sah jetzt das Gebrechen, hastete sie die niedrige Wand der Meierei entlang. Ein Pfirsich hing vom Spalier, den pflückte sie und brachte ihn ihrem Bruder. Er küßte die Hand, aus der er ihn nahm.

„Trotz allem“, sagte er. „Wir bleiben, die wir sind.“

„Du gewiß.“ Die Schwester bekam die strenge, aber abwesende Art, aus Damenhaftigkeit abwesend, wie sie von seinen Liebschaften schon immer gesprochen hatte, und auch ihren eigenen unerlaubten Wandel behandelte sie so. „Du hast wieder einmal eine, die dich zu allem bringt. Nicht wegen der Ständeversammlung wirst du unsere Religion abschwören“, behauptete sie, obwohl es zu den erwähnten Tatsachen wenig paßte. „Nein. Aber das Fräulein d’Estrées hebt nur den Finger, schon verrätst du unsere liebe Mutter samt dem Herrn Admiral, und uns, die wir es noch sehen können.“

„Gabriele ist selbst protestantisch“, erwiderte er, der größeren Einfachheit wegen, denn jedenfalls verkehrte sie mit den Pastoren.

Kathrin verzog den Mund. „Eine Intrigantin, wie viele Feinde macht sie dir! Gewiß hat sie verlangt, daß du mich verhaftest, und auf ihren Befehl mußte ich hierher reisen.“ Sie betrachtete entrüstet den schmutzigen Hof und das Federvieh. Er widersprach heftig:

„Kein Wort derart ist von ihren Lippen gekommen. Sie ist vernünftig und mir in allem ergeben. Du selbst hast mir allerdings in höchst strafwürdiger Weise schaden wollen, und dein Geliebter hat ohne Erlaubnis die Armee verlassen, “

Sie aber wurde von seiner Entladung ruhiger: es war merkwürdig. Er hätte abgebrochen. „Weiter!“ verlangte sie.

„Was denn noch mehr, deine Verheiratung würde mich in Lebensgefahr bringen, ist das genug? Bekommt ihr Kinder, dann wird die Menge der Mörder, die mir nachstellen, kein Ende mehr nehmen, das sagen mir alle. Und ist doch das Messer mein Schrecken. Gott gewähre mir den Tod in der Schlacht.“

„Mein lieber Bruder!“

Sie trat vor, sie öffnete die Arme, damit er sich an sie lehnte, was er auch tat, die Stirn an ihrer Schulter. Sie behielt trockene Augen, die Prinzessin von Bourbon weinte weniger leicht als ihr königlicher Bruder; hatte auch nicht seine Phantasie, und die Lebensgefahr, die ihm von ihrer Heirat drohen sollte, erschien ihr als eine Erfindung ihrer Feinde. Um so unvergänglicher senkten sich in ihr Herz der Gram dieser Stunde; er, mit seinem feuchten Blick, nahm ihn nicht wahr auf ihrem gealterten Gesicht.

Nach diesem erinnerte sie ihn nur noch an einen alten Vorfall. Der hatte sich ereignet vor dem Ende seiner Gefangenschaft in Schloß Louvre, und eigentlich war er die Wendung vor der Flucht gewesen. Damals betraf er seine Schwester Catherine in einem leeren Saal mit seinem Doppelgänger, gleiches Gesicht, gleiche Gestalt, aber beides wurde erst wahr und wirklich dadurch, daß der Mann genau das gleiche Kleid trug wie Henri, und seine Schwester stützte sich auf ihn in derselben Art, wie auf Henri von je.

„Ich hatte ihn herausstaffiert, damit er dir ähnlicher sähe als von Natur.“ Dies sagte die Gealterte hier auf dem Meierhof. „Iß den Pfirsich. Ich sehe dir an, wie gerne du ihn äßest.“ Das tat er, in Nachdenken versunken über die Zusammenhänge unterhalb des Dahinlebens.

Warf den Kern fort. Sprach versunken: „Wie hätte ich denn sonst alle, die uns trennen wollen, mit dem Tode bedroht. Nicht meine Gewohnheit, die Bedrohungen mit dem Tode — und um des Thrones willen täte ich es nicht, nur deinetwegen.“

Beide vollführten hier denselben, geschwisterlichen Abschluß eines Gespräches, das ans Ziel gelangt war, obwohl es viele Zweifel ungelöst gelassen hatte. Sie wendeten ungewollt die Hand um, das Innere nach oben; bemerkten es, lächelten einander zu, und der Bruder brachte die Schwester über die Felder zurück.

Geheim, als hätte es auf der Landstraße erhorcht werdenkönnen, flüsterte Henri ins Ohr von Catherine: „Glaub nichts, Kathrin, was ich demnächst tu und sage.“

„Sie — wird nicht Königin?“

Diese dringende Frage, um derentwillen sie hergereist war den weiten Weg, beantwortete er ungenau, aber in einem Ton, daß dennoch kein Mißverständnis aufkam.

„Du bist die erste.“

Die Prinzessin befahl ihren Leuten, mit der Kutsche zu drehen. Der König schwieg, und man gehorchte, trotz allgemeinem Befremden. Darum so weit hergereist. Die Prinzessin stieg ein mit ihren Damen und mit ihrer Mohrin Melanie, der König rief dem Kutscher zu, er solle fahren, was Zeug hält. Er selbst sprengte zur Seite des Wagenschlags, neigte sich auch, griff hinein und hielt eine Weile die Hand der Prinzessin. Ein Wald kam, die Straße wurde enger, der König mußte zurückbleiben. Da stand er, sah der Kutsche nach, bis sie ganz klein war, und machte erst kehrt, als die Staubwolke sie eingeschlossen hatte.

Die Vollendung des Königs Henri Quatre

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