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Agrippa, noch einmal

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Vielerlei auf einmal, man hätte leicht den Kopf verloren. Die Ständeversammlung in Paris, ein lieblicher Mischmasch von verrückten Sektierern und der unsinnigen Frechheit einer Weltmacht in vollem Niedergang, die bis zuletzt noch Königreiche schlucken will. Den Possen spielen die Herren vor Zuschauern, die lauter verhungertes Volk sind, und wohler wäre ihnen, ihr echter König verteilte unter sie das Brot des Landes, wie gern arbeiteten sie dafür! „Das meiste, wozu wir berufen sind, ist Farce.“ So spricht der alte Freund des Königs von Frankreich, jetzt hoch berühmt, Montaigne genannt; derselbe, der auch spricht: „Was weiß ich.“ Unvergeßlich war aber dem König sein Wort: „Ich bin kein Zweifler.“ Nein, gewisse Seiten der äußeren Welt machen uns die Unentschiedenheit verhaßt und zerbrechen unsere Milde. Wir müßten sie hart belagern und sehr blutig bezwingen, was die äußere Welt meistens zu verzeihen geneigt ist, wenigstens für einige Zeit. Oder wir tun, um der Staatsvernunft willen, uns selbst Gewalt an, treten über und schwören ab. Gott weiß, was danach kommt. Aber Er scheint es zu befehlen, und bleibt kein Ausweg, bald auch kein Rand am Abgrund und Anlauf mehr für den großen Todessprung.

Beeile dich daher! Was tat hier Henri? Er zog seinen d’Aubigné an sich, seinen gepanzerten Feldprediger, sein tapferes Gewissen, immer die Psalmen im Mund und den Kopf erhoben und das überlegene Lächeln des Frommen. Der kleine Mann äußerte: „Ich stehe hoch in Gunst und kann mich vor Geschäften nicht retten“, aber hinter seinem kühnen Gesicht war ihm schmerzlich bekannt, dies sei das letztemal. Das letztemal, Agrippa, daß dein König von Navarra dich kennt. Nachher sein Todessprung hinüber, und diesseits bleiben seine alten Freunde, die aus den Schlachten, die aus der Armut, die von der Religion.

Nach seiner einfachen Art benutzte Agrippa den Vorteil, daß er zu dem König sprechen durfte; sagte alles gleich heraus, begann auch wie gewohnt, daß er kein Geld habe. Und habe doch nachweislich fünf- oder sechsmal dem König das Leben gerettet. „Sire! Ihre Finanzen verwaltet ein übler Abenteurer, und gerade dieser d’O bearbeitet Sie, damit Sie katholisch werden. Sagen Sie selbst, was dabei herauskommen kann!“

Agrippa denkt: ,Wenn es geschehen sein wird, gibt es kein Wort von mir, das er noch hören kann. Welch ein fürchterlicher Abstand zwischen Geschehen und Nichtgeschehen. Jetzt hält er den Kopf vor mir gesenkt. Jetzt spricht er.‘

Henri: „Totus mundus exercet histrionem.“

Agrippa: „Der Papst, ich seh es wohl, bekommt einen schlechten Sohn. Uns aber verlassen Sie, und machen sich verhaßt bei Leuten, deren Mut und Treue Ihnen sicher war.“

Henri: „Kommt allein darauf an, wie vernünftig einer ist. Mein Rosny rät mir zu.“

Agrippa: „Der hat aber auch fayenceblaue Augen und eine Haut, die aussieht wie gemalt. Dem geht es nicht nahe, daß Sie in die Hölle steigen.“

Henri: „Und mein Mornay! Mornay oder die Tugend. Wir haben disputiert. Sind alle beide gegen das Fegefeuer. An dem Widerspruch halt ich fest gegen alle Pfaffen, verlaß dich. Aber das wirkliche Blut des Herrn, das trinken wir beim Abendmahl, und hab es damit immer gehalten.“

Agrippa: „Disputieren ist gut und der Seele dienlich, solange sie die Wahrheit noch kennen will. Der ehrliche Mornay glaubt an Sie. Ihn können Sie leicht täuschen und ihm ein großes Konzil versprechen — Theologen beider Bekenntnisse, versammelt zur Erforschung des echten Glaubens. Wenn aber der echte nicht der nützliche ist, welchen Zweck hat das große Konzil?“

Henri: „Ich sag, es hat Zweck. Denn schon mehrere Pastoren haben zugestanden, daß in der einen so gut wie in der anderen Konfession die Seele gerettet werden kann.“

Agrippa: „Wenn das Fleisch solcher Pastoren schwach ist, sie haben auch keinen willigen Geist.“

Henri: „Mein Seelenheil ist mir wahrhaftig teuer.“

Agrippa: „Herr, das glaub ich wohl. Jetzt bitte und beschwör ich Sie, daß Sie die Ihren nach Verdienst erkennen. Wir sind nicht alle kalt und erzverständig wie Rosny. Wir haben nicht alle die Unschuld Ihres Diplomaten Mornay. Aber einer Ihrer besten Kriegsmänner, Turenne, hat gefragt, warum man Sie nicht sollte verraten dürfen: fingen Sie doch selbst damit an.“

Jetzt läßt der König wieder den Kopf sinken, so sieht Agrippa.

Henri: „Verrat. Ein Wort.“

Er denkt an sein Gespräch mit der Schwester. Die Nächsten verraten einander, werden dessen nachträglich inne und bemerken, daß sie, um nicht zu verraten, niemals hätten leben dürfen. Da hört er den Namen des Pastors Damours.

Agrippa: „Gabriel Damours. Bei Arques, als Sie verloren waren, stimmte er den Psalm an, da waren Sie gerettet. Bei Ivry sprach er das Gebet: Sie siegten. Eine Zeit ist angebrochen, da er von der Kanzel gegen Sie wettert. Sonst züngelte giftiges Gewürm nach Ihnen und blieb ohnmächtig. Diese rauhe Stimme ist die Wahrheit, wird aber dem Schuldigen zum Gift. Die Gemeinde der Frommen sieht von ihm weg.“

Es ist wahr: der Pastor hat dem König geschrieben: „Wollten Sie auf einen Gabriel Damours hören, anstatt auf eine Gabriele!“

Henri: „Welches ist meine größte Schuld?“

Aber hierüber schweigt Agrippa — aus Keuschheit, oder weil sein Hochmut soweit nicht geht, das letzte Urteil zu sprechen. ,Die große Hure von Babylon‘, denkt er, wie auch Pastor Damours bei sich selbst gesprochen hat, wenngleich nicht vor der Gemeinde, des Ärgernisses wegen. ,Wohin wird die d’Estrées dich noch bringen, Sire, Sie betrügt dich, was du allerdings wissen könntest. Aber ihr Vater stiehlt, und das hat dir noch gefehlt.‘

Agrippa: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Gut war die Zeit der Verfolgung. Ehrenhaft war das Exil. Die einsame Provinz im Süden, noch fern vom Thron, und wenn Sie für ein Ringelspiel kein Geld hatten, trugen Sie mir eine fromme Betrachtung auf, die unterhielt Ihren Hof kostenlos. Der Stern über unserer Hütte war indessen die Prinzessin, Ihre Schwester.“

Henri: „Ich habe dich immer mit ihr im Verdacht gehabt.“

Agrippa: „Sie setzte meine Verse in Musik, sie sang sie. Meinen vergeblichen Worten lieh sie den Klang, schlichte Frühlingsblumen band sie mit Gold und Seide.“

Henri: „Mein Agrippa! Wir lieben sie.“

Agrippa: „Wenn mir auch die Stimme versagt, gestehen will ich’s doch, ich habe sie wiedergesehen. So heimlich und schnell Sie die Prinzessin zurückschickten auf die lange Reise, ich hatte gewartet hinter der Waldecke.“

Henri: „Verschweig nichts, was sagte sie?“

Agrippa: „Sie sagte, im Hause Navarra herrsche das Salische Gesetz und gebe alles dem männlichen Erben — nur die Standhaftigkeit nicht.“

Zuerst fielen dem König die Arme herab vom Schrecken über dieses Wort seiner Schwester. Hierauf verschlang er die Hände inständig und murmelte: „Bitt Gott für mich!“

Die Vollendung des Königs Henri Quatre

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