Читать книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - Страница 5
Die Wirklichkeit
ОглавлениеEr selbst in Person hielt keine Siegesfeier. Denn eine gelungene Arbeit zieht sogleich die nächste nach sich; und wer seinen Erfolg nicht erlistet, sondern redlich gewinnt, weiß eigentlich nichts von Sieg und gewiß nichts von Berauschung. Der König dachte nur daran, seine Hauptstadt Paris überraschend einzunehmen, solange der Herzog von Mayenne mit dem geschlagenen Heer der Liga sie noch nicht erreicht hatte. Der König war der schnellere; außerdem ließen sie in Paris sich einreden, daß er von ihrem Mayenne besiegt und in voller Flucht wäre; das gab ihm noch mehr Vorsprung. Bevor er aber ankam, hatte Paris sich gefaßt und auf seine Verteidigung eingerichtet — übrigens unklug. Anstatt nur die festen Mauern und Wälle um die innere Stadt, beschlossen sie, auch die Vororte zu halten. Das war nach dem Sinn des Königs, der sie draußen zu überrennen dachte, und mit den Fliehenden wäre er in die Tore eingedrungen.
Er stürmte die Außenwerke leicht, die Tore indessen konnten gerade noch geschlossen werden. So blieb es dabei, daß seine Truppen, alle diese Schweizer, deutschen Landsknechte, vier Kompanien von Abenteurern, viertausend Engländer, sechzehn französische Regimenter — daß alle zusammen stürmten, metzelten, plünderten. Sonst führte es zu nichts. Der König wurde zwar mit Hochrufen empfangen, aber inmitten von Plündern und Metzeln. Er ließ wohl über die Mauer hineinschießen und wußte doch schon, seine Hauptstadt bekäme er auch diesmal nicht. Jetzt begibt er sich zur Ruhe in einem Palast, der nach seiner Familie benannt ist: Klein-Bourbon heißt er; Henri hat hier eindringen müssen wie ein Fremder, findet auch wenig, um sich zu betten, nur frisches Stroh. Drei Stunden bleiben ihm für den Schlaf, ein Teil vergeht mit vergleichenden Gedanken.
,In der Stadt steht Schloß Louvre, dort brachte ich mich durch als Gefangener in mehreren lehrreichen Jahren, ich trag ihre Spur. Soll ich als freier Mann und König die Stadt nie wiedersehn? Einst in der Bartholomäusnacht fielen am Hofe fast alle meine Freunde und in der Stadt die meisten meines Glaubens. Nach achtzehn Jahren seid ihr gerächt worden! An einem einzigen Kreuzweg haben heute meine Soldaten achthundert Feinde niedergemacht und dabei gerufen: Sankt Bartholomäus! Schrecklich ist, daß alles wiederkehrt und nichts, nichts kann je aus der Welt kommen. Ich wäre für Vergessen und Vergeben, ich wäre für Menschlichkeit. Was ist von unseren Streitfragen denn wahr? Was weiß ich? Gewiß bleibt, daß wir töten, draußen wie drinnen. Wäre ich doch durch das Tor gelangt, bevor sie es schlossen! Ich hätte ihnen den milden Sieger und wahren König gezeigt. Das Königreich hätte seine Hauptstadt, die Menschen das Ziel, worauf sie in Güte würden hinblicken können. Aber nein! Nur etwas gesättigte Rache, und das gewohnte Töten, und das Kriegsglück.‘
Henri, ein Sechsunddreißigjähriger, der hinter sich viele Schrecken und geduldige Mühen hat, aber auch Freuden ohne Zahl hat er genossen vermöge seiner inneren Heiterkeit, hier liegt er auf frischem Stroh, am Fuße eines großen Eßtisches. Noch einmal fährt er hoch: der König befiehlt, daß die Kirchen verschont werden sollen — „und auch die Menschen!“ ruft er dem Hauptmann nach. Dann schläft er wirklich ein, da er sich beherrschen gelernt hat, bei Fehlschlägen und Betrübnis nicht weniger als in Fällen erstaunlicher Schicksalsgunst. Der Schlaf ist sein guter Freund, erscheint pünktlich und bringt meistens mit, wessen Henri bedarf, keine Ängste, eher Gesichte von guter Vorbedeutung. In seinem Traum dieser Nacht sah Henri Schiffe herbeifahren. Sie schwebten zuerst in den Schleiern des Horizontes, wurden groß und nahmen das besonnte Meer ein, Gebäude voll Macht und Glanz: sie näherten sich, ihn suchten sie. Sein Herz schlug, dem Bewußtlosen fiel wieder ein, was der Besuch bedeutete. Man hatte wirklich dergleichen besprochen bald nach seiner gewonnenen Schlacht. Er hatte nicht hingehört wegen gegenwärtiger, höchst dringlicher Arbeit und Mühe. Da hört man nicht auf Märchen. Beim Erwachen aus seinem dreistündigen Schlaf blieb von den erblickten Schiffen in seinem Gedächtnis abermals keine Spur.
Der Tag Allerheiligen war angebrochen; die königliche Armee, alles, was in ihr katholisch war, ging in die Kirchen der Vorstädte. Hinter den Mauern hatten sie nicht den Mut, das Fest zu feiern, sondern jammerten um ihre Toten und fürchteten für sich selbst. Gegen Abend aber waren sie gerettet, denn die Truppen der Liga rückten an, und der König konnte sie jetzt nicht mehr hindern, von drüben her die Stadt zu besetzen; das war versäumt. Er ließ zu, daß noch einmal eine Abtei von den Seinen erobert und dreihundert Pariser niedergemacht wurden. Das war der Abschied, und kein schöner, wie er am besten wußte. Er bezahlte ihn auch, — bestieg, um die Stadt zu sehen, einen Kirchturm und nahm als Führer einen Mönch. Droben in der Enge, allein mit dem Mönch, überfiel ihn ein großes Elend, da Henri des vorigen Königs gedachte. Den hatte ein Mönch ermordet. Ihn selbst hatte schon mehrmals aus den Ärmeln einer Kutte ein Messer angeblickt. Schnell trat er hinter seinen Begleiter und hielt ihn an beiden Armen fest. Der Ordensbruder, obwohl groß und stark, rührte sich nicht. Henri blickte nicht lange auf seine Hauptstadt hinunter; beim Abstieg ließ er den Verdächtigen vorangehen, er selbst blieb um einige Stufen zurück. Drunten traf er seinen Marschall Biron. „Sire“, sagte Biron. „Ihr Mönch kam herausgestürzt und ist entsprungen.“
In diesem Augenblick erscholl das Freudengeschrei der Pariser, ihr Feldherr Mayenne war persönlich eingetroffen, sie bewirteten seine Truppe auf den Straßen. Der König stellte des nächsten Tages sein Heer in Schlachtordnung auf und ließ dem Feinde drei Stunden Zeit, um hervorzukommen. Vergebens, Mayenne hütete sich; da zog der König ab. Unterwegs nahm er befestigte Plätze ein, aber da ihr Sold ausblieb, lösten einige seiner Regimenter sich auf. Mit den übrigen ritt der König nach seiner Stadt Tours, um dort die Gesandten Venedigs zu empfangen. Die alte Republik hatte aus weiter Ferne ihre Schiffe geschickt, das Gerücht beglaubigte sich nun. Die Gesandtschaft war an Land gestiegen und langsam, indes der König kleine Städte unterwarf, reiste sie das Königreich hinauf, um ihm zu huldigen.