Читать книгу Mann ohne Kindheit - Heinz Michael Vilsmeier - Страница 6
Ich wollte zeigen, dass ich anders bin.
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Bonobo: … wie groß ist da der Speicher?
HMV: Wir können ca. 3 Stunden Gespräch speichern.
Bonobo: Oh – das reicht!
HMV: Darf ich Sie mit Ihrem wahren Namen ansprechen?
[Schweigen]
HMV: Bonobo, wir befinden uns in einer forensischen Klinik, einem Zwischending zwischen Strafvollzug und Therapie, dem sog. Maßregelvollzug. Seit wie vielen Jahren sind Sie hier?
Bonobo: Insgesamt bin ich seit 16 Jahren untergebracht, 5 Jahre in Lohr am Main, 10 Jahre in Straubing und seit Februar hier in Mainkofen.
HMV: Wie ist das Leben in einer solchen Einrichtung?
Bonobo: – Den Umständen entsprechend …, eigentlich ganz gut. Man muss seine Ansprüche etwas herunter schrauben – aber wenn man daran denkt, was man gemacht hat, dann ist das alles auch zurecht, dann ist es gar nicht so übel.
HMV: Wie sieht Ihr Alltag aus?
Bonobo: Also hier ist es jetzt so: 6 Uhr morgens steh ich auf, frühstücke, rauche, trink Kaffee, dann wasch ich mich, zieh mich um. Dann ist Arbeiten angesagt, industrielle Fertigung. Dann ist Pause, Mittag, dann geh ich nachmittags wieder arbeiten. Nach der Arbeit rauche ich, sitze am Computer, versuche irgendwie etwas, was ich noch kann, was ich noch weiß, umzusetzen. Musik hören – Klassik, Lesen und Englisch lernen, auch Keyboard übe ich derzeit. Momentan ist da noch nicht viel. Ich habe noch keinerlei Stufen … Von daher gesehen, ist da nichts.
HMV: Was haben Sie in den forensischen Kliniken gemacht, in denen Sie davor waren?
Bonobo: Im Grunde genommen war es ähnlich, es ist eigentlich alles gleich. - In Straubing hat es den einen großen Vorteil, dass es ein großer geschlossener Bereich ist, wo es keine Lockerungen gibt. Wenn man jemand besuchen möchte, geht man zum Pfleger und sagt: Ich möchte da und da hin, dann bringt der einen da hin, also auf die Station. Da kann man sich gegenseitig besuchen. Dann ist ein Freizeitbereich da, mit Kaffeeautomat, Süßigkeitenautomat. Man kann einmal die Woche einkaufen gehen, so ein etwas teurer Kiosk, EDEKA, der sündhaft teuer und unfreundlich ist … Das ist der Moder.
HMV: Der Laden ist in dem geschlossenen Bereich …?
Bonobo: In dem geschlossenen Bereich. Man kann auch begleitet Fußball spielen und Sport machen. Früher war da ein großes Schwimmbad drin, das haben sie dann aber zugemacht, weil es so wenig benutzt worden ist. Da haben sie aber jetzt den Kraftsport untergebracht, moderne Geräte, alles. Wenn man sich für Sport interessiert, kann man da oft hin, auch am Wochenende. Da habe ich mich auch noch anderweitig beschäftigt, mit Klavierspielen und Lesen. Gitarre habe ich dann noch gemacht. Da hat man den Vorteil noch, dass wir DVDs und Videos haben, womit natürlich immer wieder Schmu gemacht wird, aber das ist halt so, das bleibt halt nicht aus.
HMV: Man nennt das „Maßregelvollzug“ – was ist Ihrer Meinung nach das Besondere daran, im Vergleich zum „Strafvollzug“?
Bonobo: Also heute heißt es ja „Sicherung vor Therapie“, ist also etwas umgedreht. Der große Unterschied ist, dass man in einem Krankenhaus ist, man als Kranker behandelt wird. Die Zimmertüren sind den ganzen Tag offen, es ist eine Therapie da, man muss sich mit sich selbst beschäftigen. Wenn man keine Therapie macht, dann … geht halt auch nichts, dann sitzt man eben 10 Jahre in Straubing. Der große Unterschied ist, dass man an sich arbeiten muss, um zu erkennen, was man gemacht hat und um daran etwas zu ändern, damit man straffrei durchs Leben gehen kann.
HMV: Sie meinen, wenn man nicht bereit ist, eine Therapie zu machen, dauert es sehr viele Jahre, um jemals wieder einmal aus dem Vollzug heraus zu kommen. …
Bonobo: Richtig. Also man kann sagen, ich habe 10 Jahre, also mit Lohr 5 und dann mit Straubing, verloren, weil ich einfach nichts kapiert habe – nichts gemacht und nichts kapiert. Und ich habe mir gedacht: „Hat eh keinen Sinn, komme eh nicht mehr raus!“ Also ich hatte die Hoffnung aufgegeben gehabt.
HMV: War das Ihr Gedanke von Anfang an, als sie vor dem Richter standen und dieser ...
Bonobo: Dass jetzt weniger! – Ich hatte eine andere Vorstellung von Therapie. Völlig utopisch! Das Problem war einfach, dass ich in Lohr ein triebhemmendes Mittel haben wollte. Das hat man mir verweigert. Ich bin trotzdem gestuft worden, bin da herumgelaufen und ich habe einfach gemerkt: „Lange geht das nicht mehr gut!“
HMV: Warum hat man Ihnen das Mittel Androcur verweigert? Was hat es für eine Wirkung?
Bonobo: Das senkt den Testosteronspiegel, so wie das Salvacyl, das ich jetzt kriege. Androcur war damals noch nicht so weit wie das, hat bitterböse Nebenwirkungen. Ich war aber der Hoffnung, dass das eintritt, was jetzt auch eingetreten ist, durch das Salvacyl, dass ich das besser in den Griff bekommen kann, dass dieser körperliche Drang nicht mehr da ist. Man kann das schon als Sexsucht bezeichnen, was ich damals hatte. – Ja, es wäre kontraindiziert, hat es damals geheißen, in dem geschlossenen Rahmen. Bin aber gelockert worden! Und allein um auf die Arbeit zu kommen, musste ich die Station verlassen, war dann innerhalb des Klinikgeländes, aber ich war – unbeobachtet …!
HMV: … in Straubing?
Bonobo: Nein, nicht in Straubing, in Lohr!
HMV: Welche Auswirkungen hatten die Lockerungen?
Bonobo: Auswirkungen hat es insofern gehabt, als ich einfach gemerkt hab, es kribbelt ganz schön. Ich wollte das einfach nicht. Wie lange ich dass dort ausgehalten hätte, weiß ich nicht. Ich hab dann gesagt: „Gut, wenn ihr mir da nicht weiter helft, dann will ich erst mal keine Arbeit mehr. Ich kann nicht in die Arbeit gehen, weil mir das einfach zu gefährlich ist!“ Begleiten wollte mich keiner. Dann haben wir gesagt, gut, dann bleiben wir auf Station. Dann sind wir auf Null gestuft worden und … Na ja, irgendwann habe ich dann gesagt: „Jetzt reicht's, ich geh jetzt nach Straubing!“ Hab dann den Antrag gestellt und drei Monate später ging es los, nach Straubing. Auf eigenen Wunsch.
HMV: Sie sagten, es „kribbelte ganz schön“ – was heißt das?
Bonobo: Das heißt, dass meine pädophilen Anteile größer waren, als die anderen und ich mit dem Gedanken gespielt hab, mich Kindern zu nähern, um eventuell irgendwie Missbrauch ihnen zuzufügen.
HMV: Hätten Sie denn in Lohr die Möglichkeit gehabt?
Bonobo: Ja.
HMV: Wie muss man sich das vorstellen?
Bonobo: Lohr ist so ähnlich wie hier, auch so ein bisschen begrünt. Die Kinder laufen da herum, weil die Pfleger auch dort in der Nähe wohnen, das ist auch hier so. Dann gibt es da einen Golfplatz, wo sich die Kinder tummeln. Von daher gesehen … Und ich hätte auch jederzeit die Möglichkeit gehabt, das Gelände zu verlassen, ist ja kein Zaun, keine Mauer, nix drum herum. Man hätte also in die Stadt gehen können, hätte irgendwann abhauen können. … Mir da was suchen … Also Möglichkeiten – waren alle da.
HMV: Sie haben das aber nicht getan?
Bonobo: Hab ich nicht gemacht!
HMV: Obwohl Sie nicht mediziert worden sind und diesen starken Drang verspürten, sich Kindern zu nähern … !?
Bonobo: Ja. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum. – Ich weiß es nicht. Es war irgendwie der Gedanke da: 'Nicht während der Therapie! Das kann es nicht sein, dann kommst Du nie wieder raus!' – Das war so ein Hintergedanke.
HMV: Das heißt, die Angst davor, nicht mehr raus zu kommen, hat Sie letztendlich …
Bonobo: … würde ich heute sagen …
HMV: … so blockiert, dass Sie sagten: „Okay, ich wage es nicht!“
Bonobo: Richtig. – Ich wollte halt einmal dem Klischee „einmal pädophil, immer pädophil“ … Wie sagt man? … Ich wollte zeigen, dass ich anders bin.
HMV: Dann waren Sie in Straubing – wie ging es dort weiter?
Bonobo: Also Therapie habe ich im Grunde genommen immer gemacht, von dem, was mir angeboten wurde. Ich hab mich aber nicht so wirklich drum gekümmert. Da ist ein Unterschied. Es waren Angebote da, ich konnte aber nichts damit anfangen. Sagen wir mal so: Ich wusste nicht, was Therapie ist, ganz einfach! Das ist … Also, dass die Therapie einer selbst macht, dass man die selbst machen muss, das war mir gar nicht klar! Ich hab das nicht gewusst. Ich dachte: 'Der Psychologe macht das Bisschen schon!' Dass der aber nichts machen kann, ohne meinen Willen, ohne dass ich da in irgendeiner Form bereit bin … Da konnte natürlich auch der Psychologe in Lohr nichts dafür, dass ich mit ihm nicht zurecht gekommen bin.
HMV: Mit anderen Worten: Sie hatten gar nicht den Wunsch, sich zu therapieren, bzw. sich therapieren zu lassen.
Bonobo: Richtig. Ich habe gesagt, oder gedacht: 'Ich bin pädophil, da kann man ja eh nichts dran ändern. Ich bin so, ich bleib so und bevor irgendetwas passiert, bleib ich einfach da und gut ist es!'
HMV: Sie sagten vorhin, das Leben in einer forensischen Klinik sei an und für sich aushaltbar …!
Bonobo: Ja. Also früher war es sogar noch angenehm! Ganz früher noch, in Straubing, hat man einen Computer auf dem Zimmer gehabt, Spielkonsolen auf den Zimmern gehabt. – Man konnte sich riesige Anlagen aufs Zimmer stellen. Möbel – man konnte sich richtig einrichten, ganz gemütlich.
HMV: Das gibt es jetzt nicht mehr?
Bonobo: Das gibt es jetzt, in dieser Form, nicht mehr. Also Computer ist jetzt nur noch, so wie es hier auch ist, auf Station. Ein Computer für die Allgemeinheit. So weit ich weiß, ist das nur in der weiterführenden Station, also F1 bis F3. Spielkonsolen gibt es überhaupt nicht mehr, zumindest nicht auf dem Zimmer. Möbel dürfen auch keine mehr eingebracht werden – Fremdmöbel. Wenn jetzt jemand Möbel hat und wird dann verlegt, hat er sie zu entsorgen oder irgendwo einzulagern. Wer neu nach Straubing kommt, der kriegt keine Möbel mehr.
HMV: Wann ist Ihre Entscheidung gefallen, eine Therapie aktiv zu wollen?
Bonobo: Das war bei meinem ersten Therapeutinnenwechsel … Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie die geheißen hat – ist ja Wurst! Da hat es dann langsam angefangen, mich zu interessieren, was mit mir überhaupt los ist. Die Frau hat … Na ja logisch, das war die Frau A.! … Sie hat halt angefangen, mit mir zu arbeiten. Sie hat mir Fragen gestellt, über mein Inneres, das war ich so nicht gewohnt, um mich auf bestimmte Verhaltensweisen hinzuweisen und nachzufragen, ob ich eine Idee hätte, woher das kommt, dass ich auf gewisse Sachen so und so reagiere. Da konnte man sich keinen Reim drauf machen. Und da hat es eigentlich erst angefangen, wo ich dann gesagt habe, oder wo ich gespürt habe, da tut sich was!
HMV: Dann haben Sie gesagt: „Okay, das ist ein möglicher Weg, an mir selbst etwas zu verändern?“
Bonobo: Richtig. Es keimte Hoffnung auf. Dann hatte ich wieder Therapeutenwechsel und einen Umzug, also von einer Station auf eine andere. Das war die Frau L., die war auch so fit. Da haben wir dann sehr über Soziales geredet. Dann kam wieder Frau A. Hab ich wieder wechseln müssen, kam wieder Frau A. Die hatte dann 'mal angefangen, über Verlegung nachzudenken. Ja. … Dann war das Kind, quasi, geboren.
HMV: Wie lange ist das her?
Bonobo: Das ist jetzt fünf Jahre her, knapp sechs.
HMV: Sie haben jetzt knapp sechs Jahre …
Bonobo: … Intensivtherapie …
HMV: … Therapieerfahrung, Intensivtherapie, wie Sie sagen. Hat sich in dieser Zeit etwas verändert bei Ihnen?
Bonobo: Mir ist bewusst geworden, was ich den Kindern nehme, welche Prägung das hinterlässt, welche … Wie soll ich sagen? Das ganze Umfeld von dem Kind bricht zusammen. Das zerstört nicht nur das Leben dieses einen Kindes, sondern der gesamten Familie, wenn es dann raus kommt.
HMV: Ihnen ist die Tragweite Ihrer pädophilen Handlungen …
Bonobo: … heute bewusst.
HMV: … erstmals bewusst geworden?
Bonobo: Ja.
HMV: Damit ist aber bei Ihnen die Neigung, der Drang zu pädophilen Handlungen, nicht weg!?
Bonobo: Richtig. Der ist nicht weg. Darum habe ich mich entschieden, die Einnahme von Salvacyl zu probieren. Das ist ein triebdämpfendes Mittel. Das habe ich jetzt seit einem Jahr und das Körperliche, das rein Körperliche, ist auf Null gestellt. Bei mir wirkt das Salvacyl so, dass ich impotent bin, ich kriege keine Erektion mehr. … Hab auch überhaupt kein Interesse daran. Was das betrifft, ist körperlich alles – tot. Kopfmäßig arbeitet noch ein bisschen was – aber es ist kein Vergleich zu früher. Absolut nicht!
HMV: „Kopf-mäßig noch ein bisschen was“ bedeutet, Sie haben Phantasien, sexuelle Phantasien – insbesondere pädophile Phantasien?
Bonobo: Nein, das eigentlich nicht. Aber wenn ich jetzt mal Fernsehen schaue und da springt ein Kind über den Bildschirm, dann denke ich: 'Ja, ist der süß!', oder: 'Ist die süß!' Das ist alles sehr, sehr abgeschwächt. Es ist halt … Aufgrund meiner eigenen sexuellen Erfahrungen als Kind … Es hat halt eine andere Qualität! … Ich weiß gar nicht, wie ich das am besten erklären soll! … Es ist ein gewisser Drang da, ein gewisser Wunsch, mich Kindern zu nähern. Jetzt nicht unbedingt sexuell – aber es ist ein Drang da, ein Kind zu berühren, ein Kind anzufassen, in den Arm zu nehmen, zu knuddeln, zu kuscheln … Ist da! … Also Kinder ist für mich … Ist meine Welt! Das wollte ich ja irgendwie in den Griff bekommen, weil ich nicht weiß, ob ich eine Grenze erkenne. Dass meine ich damit, dass der Kopf noch arbeitet.
HMV: Sie haben gesagt, aufgrund Ihrer „eigenen Sexualität als Kind“. – Wie ist Ihre Kindheit verlaufen?
Bonobo: Soll ich ganz von vorne anfangen?
HMV: Fangen Sie da an, wo Sie wollen. Wir haben alle Zeit der Welt.
Bonobo: Also geboren bin ich im Dezember '70! Laut meiner Mutter war ich eine recht schwierige Geburt, habe nach der Entbindung aufgehört zu atmen, man hat mich dann wieder zurück geholt. – Ja. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, am Stadtrand, direkt. Recht idyllisch, der Wald direkt vor der Haustür. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich im Sandkasten gespielt, da kam ein Nachbar, von dem ich wusste, dass meine Familie früher mit ihm einen guten Kontakt hatte aber wir so uns nicht richtig verstanden haben. … Der spricht mich an. … Ich war ganz von den Socken, dass der mit mir überhaupt normal spricht. Und der lockt mich in seine Wohnung, wollte mir etwas zeigen. Dann hat er mich auf den Tisch gestellt, mein T-Shirt ausgezogen, hat mich ständig gelobt, wie hübsch ich denn sei … Schöner Bauch und hin und her. Dann hat er mir die Hose runter gezogen, hat angefangen, an meinem Penis zu spielen, hat ihn dann später auch in den Mund genommen. … Ja, das war meine erste – sexuelle Erfahrung.
HMV: Wie stand dieser Mann in Beziehung zu Ihrer Familie?
Bonobo: Es gab 'mal, damals anscheinend, ein nachbarschaftliches Verhältnis. Anscheinend so, dass man sich gegenseitig besucht hat. Ich hab 'mal Bilder gesehen, wo dieser Mann mich gewickelt hat – und alles drum und dran.
HMV: War er in die Familie integriert?
Bonobo: Ein Zeit lang, ja. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie lange das gegangen ist. Ich kannte ihn nur als, heute würde ich sagen, verbitterten Mann.
HMV: Später …?
Bonobo: Später – ja! Also, soweit ich mich daran erinnern kann. Es war, wie gesagt, das erste Mal, dass er überhaupt mit mir gesprochen hat und auch nur ein freundliches Wort zu mir gesagt hat.
HMV: Aus welcher Familie kommen Sie – was machen Ihre Eltern?
Bonobo: Mein Vater war Berufskraftfahrer. Inland. Meine Mutter war Hausfrau, hat aber immer, irgendwie so, als Avon-Beraterin was gemacht. Oder auch diese Tupperware. AMC-Töpfe – solche Sachen. Später hat sie sich dann selbständig gemacht, mit einem Imbiss, wo sie dann auch ihren späteren Freund kennengelernt hat.
HMV: Kann man sagen, dass Ihre Eltern, Ihr Vater, dadurch, dass er Berufskraftfahrer war, sehr häufig unterwegs waren?
Bonobo: Ja. … Ja!
HMV: Können Sie sich erinnern, ob Sie ihn vermisst haben, wenn er nicht anwesend war?
Bonobo: Ich war froh, dass er fort war! Wir waren heilfroh! Der war einfach nur jähzornig. Man konnte ihm, also meine Mutter, konnte ihm einfach nichts recht machen. Also ich hab relativ wenig abgekriegt – so war es nicht! Ich war ja das Nesthäkchen und ich war ja sein Sohn – zumindest bis ich in die Schule gekommen bin. Aber … Man konnte ihm schlecht was recht machen. – Entweder war ihm das Essen zu salzig oder es war zu viel Muskat, oder zu wenig … Er hat ständig irgendetwas auszusetzen gehabt! Und wehe, die Wohnung war nicht nach seinem Geschmack sauber, dann …
HMV: … Hatten Sie Angst vor Ihrem Vater?
Bonobo: Teilweise ja. – Teilweise ja! Ich kann mich an wenig schöne Momente erinnern. Ich weiß noch, dass wir uns bei unserem Nachbarn versteckt haben, wenn mein Vater so ausgeflippt ist. Er hat uns 'mal raus geschmissen, da war, glaube ich, meine Schwester elf. Da war ich so um die sechs 'rum.
HMV: Wie viele Geschwister haben Sie?
Bonobo: Ich hab eine Schwester. Die ist fünf Jahre älter wie ich. Da hatte ich meinen Schlüssel verloren und der ist da ausgetickt, hat uns aus der Wohnung raus geschmissen und hat da geplärrt: „Ihr braucht ohne Schlüssel erst gar nicht mehr heim zu kommen, ihr Dreckskrüppel!“ Dann sind wir die halbe Nacht herumgerannt …
HMV: Haben Sie von Ihrem Vater körperliche Gewalt erlebt?
Bonobo: Ja. Anfangs, wie gesagt, nicht so, aber später war ich ihm dann scheißegal, ich war nur noch der Krüppel, der Bastard. Ich hab halt nicht seinen Vorstellungen genügt. Er hat ja weniger geschlagen als getreten. Also, sich auf den Boden werfen, um den Schlägen zu entgehen, brachte nichts, da er dann zugetreten hat.
HMV: Wie hat sich Ihre Mutter dabei verhalten?
Bonobo: Sie hat versucht, sich zwischen den Vater und die Kinder zu stellen, aber mit wenig Erfolg. Er hat sich halt dauernd aufgeregt. Als wir von dem Schlüsselsuchen nach Hause kamen, wir hatten den gefunden, da stand der Krankenwagen vor der Tür und hat meine Mutter abgeholt, mit dem Loch im Kopf. Da hatte mein Vater den Stuhl an Muttis Kopf geschmissen.
HMV: Ist die Erinnerung an diesen Mann, der Sie in seine Wohnung gelockt hat, die erste, die Sie an ihn haben?
Bonobo: Ja. – Wie gesagt, was ich noch weiß ist, dass er früher uns Kinder, alle miteinander, nicht nur mich, ignoriert hat, sich eher noch beschwert hat, dass wir zu laut waren. … Solche Sachen. Wirklich aktiv kann ich mich daran erinnern, wie er mich in die Wohnung mitgenommen hat. Ich war, soweit ich mich erinnern kann, vorher nie oben in der Wohnung. Das war das erste Mal.
HMV: Wie ist das weiter gegangen?
Bonobo: – Soll ich das so sagen, wie ich es heute weiß, oder wie es mir früher vorkam?
HMV: Vielleicht können Sie beide Versionen erzählen. Fangen Sie doch damit an, wie Sie es damals erlebt haben.
Bonobo: Also dann ist das alles komplett unabhängig. – Ich hab im Sandkasten mit einem Nachbarsjungen, Oliver hat der geheißen, gespielt. Der wurde dann von seinem Vater nach Hause gerufen – vielleicht weil es zum Essen war, keine Ahnung. Oliver hat mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle. Ich fand: „Ja gut, bevor ich jetzt alleine da unten herumhocke, gehe ich mit!“ Dann sind wir da hingekommen. Wir durften spielen, wir durften alles machen, was wir wollten! Also, das war ein … Kinderparadies. Wir durften im Bett herum hüpfen, auf der Couch … Wir durften alles, was wir wollten. Das hat mir natürlich gefallen. Der Oliver hat mich dann wieder eingeladen. Dann fingen die ersten Dinger an – dass wir uns ausziehen können. Wir können doch in der Unterhose spielen und so … Das haben wir dann auch gemacht, weil da war sein Vater noch alleine mit uns. Späterhin wurden wir animiert, das auch nackt zu machen, nackt zu spielen … Fangen, Verstecken, was auch immer. Das haben wir dann auch gemacht. Wie gesagt, ich war damals fünf, hab mir da nicht viel dabei gedacht. Irgendwann waren dann andere Männer und auch Frauen dabei, die uns beim Spielen zugeguckt haben. Wir wurden dann animiert, im Bett so Spiele zu spielen, wie sich gegenseitig anfassen, zusammen duschen …
HMV: Die Kinder sollten zusammen duschen?
Bonobo: Ja, ja! Ich mit dem Oliver. – Alles nur ich und der Oliver. Das hat sich so hingezogen, bis wir animiert wurden, sexuelle Handlungen an uns durchzuführen – inklusive blasen. Er bei mir, ich bei ihm. Ich kannte das nicht! – Oliver offensichtlich schon. Ich hab mich ein bisschen … blöd angestellt, sagen wir es mal so. Es war mir auch irgendwie zuwider. Aber irgendwann ging es halt von ganz alleine. Ja, das hat sich immer mehr gesteigert, bis wir auch bei den Erwachsenen was machten – den Penis anfassen …
HMV: Waren die Erwachsenen nackt?
Bonobo: Dann waren sie nackt, ja. Beziehungsweise, dann haben sie die Hose eben runter gezogen – Oliver ging gleich hin. Wie gesagt, der war es anscheinend gewohnt. Ich ging zögerlich hin. Aber letztendlich hab ich dann auch alles gemacht, was sie wollten. Ja und dann war das so, dass ich eines Tages da hin bin und es macht ein Mädchen die Tür auf, die Miriam – gleiches Alter, ein Monat weniger oder mehr, so ungefähr. So genau weiß man das nicht. Macht die Tür auf, fällt mir um den Hals, begrüßt mich, als hätten wir uns schon seit hundert Jahren gekannt. … Ein dicker Schmatz auf die Backe und direkt in die Wohnung reingezogen. … Sie war da nur mit Unterhose bekleidet, wie sie mir die Tür aufgemacht hat. Wir haben uns dann ausziehen müssen – sie kannte das wohl auch schon alles. Wir sollten dann zusammen duschen, die Miriam und ich. Ich war – ziemlich unvorbereitet, hatte wohl schon Mädchen, aufgrund meiner Schwester, nackt gesehen – aber noch nicht so! Ja, dann sollten wir uns Zungenküsse verabreichen. Ich hatte überhaupt keinen Plan, was das sein sollte. Sie hat es mir dann, mehr oder weniger, beigebracht. Weil ich mich ein bisschen tollpatschig angestellt habe, war ich für die Miriam dann irgendwann „Der Tollpatsch“. [kichert] – „Der Tollpatsch“ hat man mich übrigens später auch oft im Bordell genannt. Ich bin halt oft über meine eigenen Füße gestolpert oder hab mich irgendwie blöd angestellt, beispielsweise das Küssen mit der Miriam. Von da an hatte ich das als Tollpatsch weg …
HMV: Also durch Miriam?
Bonobo: Ja, sie hat damit angefangen.
HMV: Wie alt war Miriam da?
Bonobo: Ungefähr so alt wie ich. Ein paar Monate rauf oder runter. Wie gesagt, das kann man nicht so genau sagen. – Da kommen wir dann später drauf, wieso nicht. – Ja, dann haben wir halt geduscht. Da gab es eine Seife, die mordsmäßig viel Schaum gemacht hat, der total weich war. Keine Ahnung, was das für ein Zeug war. Jedenfalls wären wir beinahe im Schaum ersoffen! … Ja, das war der erste Kontakt mit Miriam, ich hab mich – in sie verliebt.
HMV: Gleich bei dem ersten Zusammentreffen?
Bonobo: Aber komplett! Ich war hin und weg! Das haben sie relativ schnell spitz gekriegt. Auf jeden Fall kam dann irgendwann, eines Tages …
HMV: Waren Erwachsene anwesend, während das geschah?
Bonobo: Ja, natürlich. Und Kameras, Erwachsene …
HMV: Kameras!?
Bonobo: Kameras waren auch dabei. Das war ja … Die schwirrten da herum. – Es war ein Mann zugegen, der sich als Vater von der Miriam ausgegeben hat und der angeblich der Onkel vom Oliver, der Bruder vom Oliver seinem Vater, sein sollte. Ich hab das natürlich geglaubt – irgendwann dann nicht mehr. Die Begegnungen mit der Miriam, in dieser Wohnung, kamen öfters vor. Die haben halt gemerkt, dass ich sehr gerne mit der Miriam zusammen bin – auch jede Gelegenheit genutzt hab', um mit der Miriam zusammen zu sein. Daraufhin hat man mir angeboten, zu dem angeblichen Onkel von Oliver, dem Gilbert, nach Hause, zu Miriam, zu fahren. … Weil, der hat ein großes Haus, Swimmingpool, Sauna und alles drum und dran … Ich könnte dann mit der Miriam spielen, das ganze Wochenende … Ich natürlich: „Jawohl, warum denn nicht!?“ Meinen Eltern wurde das auch erzählt. Dieser Gilbert hat sich meinen Eltern vorgestellt. – Ja. – Dann bin ich da mit hin gefahren.
HMV: Wie hat er das Ihren Eltern vermittelt? Etwa auf diese Weise: „Der ...“ – Wie ist Ihr Vorname?
Bonobo: F.
HMV: „Der F. hat sich in die Miriam verliebt!“ oder: „Der F. mag die Miriam sehr gern!“ …
Bonobo: Es war schon so, dass ich den Anfang gemacht hab' und meine Eltern gefragt hab', ob ich zu der Miriam nach Hause fahren dürfte. …
HMV: Sie selbst haben, Ihren Eltern gegenüber, den Wunsch geäußert, an den Wochenenden zu Miriam fahren zu können?
Bonobo: Richtig. Auch da zu übernachten, usw. usf. … Wie gesagt, der Gilbert hat sich dann auch vorgestellt – als ihr Vater. Von da her gesehen waren sie beruhigt – es war alles klar.
HMV: War denn dieser Gilbert wirklich Miriams Vater?
Bonobo: Nein! Nein. Soweit ich weiß, hatte der überhaupt keine Kinder. – Meine Eltern waren, mehr oder weniger, froh, dass ich aus dem Haus bin. Da haben sie wenigsten ihre Ruh gehabt. Vater sowieso. Dann bin ich da mitgefahren. Ich wurde erfolgreich abgelenkt, damit ich nicht weiß, wo es hin geht. Und dann kam ich da an … Und dann springen da 20, 25 Kinder in dem Haus rum – nackt! Mir wurde dann auch gesagt, dass ich mich ausziehen sollte. …
HMV: Einfach so, unvermittelt – kam Ihnen das nicht merkwürdig vor?
Bonobo: Also irgendwie nicht mehr, weil ich ja ständig mit dem Oliver so was gemacht hab, dann mit der Miriam. … Es waren ja auch andere Jungs, hin und wieder, mit dabei, – hatte ich das vergessen, vorhin? [kichert] – wo immer nackt gespielt wurde. Und das kam mir absolut nicht … Ich dachte, das ist in dieser Familie einfach so. …
HMV: Bonobo, warum kichern Sie, wenn Sie das erzählen?
Bonobo: Es ist zum einen Scham, zum anderen Betroffenheit. Und dann vermischt sich manchmal das damalige mit dem heutigen Wissen, das einfach so krass ist, dass ich da irgendwie kichern muss, das Lachen anfangen muss, um das überhaupt zu begreifen, das richtig auf die Reihe zu kriegen. Das ist manchmal ziemlich unangebracht, ich weiß. Aber anders überlebe ich das wahrscheinlich nicht.
HMV: Ist das Kichern Abwehr, vielleicht auch eine Überreaktion?
Bonobo: Ja – genau! … Bei uns ist es nicht so, und da ist es eben einfach so. Ich bin ja davon ausgegangen, dass das eine Familie ist! Ich wusste gar nicht, dass das alles Kinder sind, die da gar nicht hingehören, eigentlich. Ja!
HMV: War dieser Mann, der sie mit nach Hause genommen hatte, dieser Nachbar, war der auch dabei?
Bonobo: Er war zwei- oder dreimal bei Oliver mit dabei, also wie ich da in der Wohnung war, vom Nachbarn. Der war auch mal mit dabei gesessen.
HMV: Wohnten Olivers Eltern im selben Haus?
Bonobo: Es war nur noch der Vater da. Die Mutter war gestorben.
HMV: Und Oliver lebte mit seinem Vater im selben Haus wie Sie, und der Nachbar auch?
Bonobo: Ja, genau. Oliver wohnte direkt bei uns gegenüber. Die Familie und der Bärensprung waren einen Stock über uns – ein Stockwerk über uns.
HMV: Da lebten also zwei Pädophile, die einander kannten, im gleichen Haus – war das Zufall?
Bonobo: Also entweder hatten sie sich gekannt oder sie wurden einander bekannt gemacht … Ich hab' keine Ahnung, wie das gelaufen ist. So genau weiß ich das nicht. Ich weiß nur, dass er mich quasi an Olivers Vater vermittelt hat. Ob das vorher schon ein abgekartetes Spiel war, weiß ich nicht. Das ist mir so nicht ganz bekannt.
HMV: Haben Sie einmal die Überlegung angestellt, dass Ihre Eltern Kenntnis davon gehabt haben könnten?
Bonobo: Ja, hab ich. Aber da ist nichts, das war Ignoranz!
HMV: Ihre Eltern sind auch nie in diese Wohnung nachsehen gegangen, in der Oliver wohnte und in der Sie an manchen Tagen mehrere Stunden verbrachten?
Bonobo: Die haben halt geglaubt, ich spiele mit Oliver. Sie haben Olivers Vater mal gefragt, ob ich nicht störe und der hat gesagt: „Nö, lasst ihn doch spielen, ist doch in Ordnung!“ Damit war es dann erledigt. Die waren doch froh, dass ich aus der Wohnung bin.
HMV: Die haben Sie auch nie abgeholt oder zum Essen gerufen?
Bonobo: Nö, ich hab da direkt … Ich war ein Schlüsselkind! Ich hatte einen Schlüssel um den Hals. Ich konnte jederzeit nachhause gehen. Das fing im Kindergarten sogar schon an. Ich hatte immer einen Schlüssel um den Hals und konnte jederzeit heim. Was das betrifft …
HMV: Das Verhalten Ihrer Eltern, so wie Sie es schildern, kommt mir doch sehr merkwürdig vor. – Wie kann man sein Kind, fünf, sechs Jahre alt, bei einem Nachbarn mehrere Stunden sich selbst überlassen!?
Bonobo: Jo. – Übernachtet hab ich auch! Oliver war doch mein Freund – das macht man so! Das finde ich nun wieder gar nicht so ungewöhnlich!
HMV: Aber ungewöhnlich ist, dass die Eltern nicht nachhaken.
Bonobo: Ja? Ich weiß nicht. Ich hab ja so etwas Ähnliches als Erwachsener selbst erlebt, mit anderen Kindern.