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„Alles was jetzt passiert, ist deine Schuld!“

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HMV: Was haben Sie beobachtet?

Bonobo: Bis zum Mord alles! – Alles, komplett, inklusive Mord!

HMV: Wollen Sie darüber sprechen?

Bonobo: [Schweigen] ... Können wir tun – ja! ... [Schweigen]

HMV: Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie es bitte.

Bonobo: Ich bin noch am überlegen, wo ich jetzt anfangen soll. – Also heute weiß ich das ja, dass sogenannte Snuff-Filme gemacht wurden. Was ich selbst gesehen habe und selbst mitgekriegt habe, war einmal ein Mädchen, vielleicht ein Jahr alt, maximal, wenn überhaupt, wo einer den Penis dem Kind in den Hals gesteckt hat, bis zum Anschlag, bis es erstickt ist. Da war ich neun, etwa. Die meisten Kinder sind halt einfach nicht mehr gekommen. Das hab ich dann später mitgekriegt, dass die – verschwunden sind, umgebracht wurden. Das Allerschlimmste war Miriam. … Ja, jetzt greife ich mal einfach vor. Das war der 23.12.1980, zwei Tage nach meinem Geburtstag. Die Miriam sollte mit einem Kunden ins Bett gehen, wo man wusste, dass es ein ganz brutales Arschloch ist. Ich wollte das nicht, ich hab mich dagegen aufgelehnt und alles Mögliche versucht. Ich hab gebissen, geschrien, hab gekrischen, getreten, gespuckt. Aber all das hat nichts geholfen, die musste da hin. … Ich hab gesagt: 'Wenn die Miriam jetzt zu dem Mann hingehen muss, dann sag ich alles meiner Mutter.' Daraufhin hab ich erst mal eine Ohrfeige gekriegt. Dann wurde ich geschnappt, ich hatte damals lange Haare, als Kind. Ich wurde an den Haaren gepackt, wurde hinterher geschleift, die Miriam auch. Ich wurde festgehalten, gezwungen, dass ich zugucke. Gilbert nimmt ein Messer in die Hand, hält es ihr an den Hals und sagt zu mir: „Alles was jetzt passiert, ist deine Schuld!“ Und dann zieht es durch die Kehle durch. Durch ihren Hals! Blut spritzt raus … Das dauert ewig, nicht so schnell, wie im Film! … Das dauert ewig! … Ich seh noch, wie sie versucht zu sprechen, geht aber nichts! Ich sehe, wie ihr Mund meinen Namen formt – aber es kommt nur ein Gegurgel … raus. Dann bin ich glücklicherweise irgendwann umgekippt. Als ich wieder zu mir kam, war Miriam nicht mehr als Miriam zu erkennen. … Sie war in Einzelteile … zerlegt. Da war überall Blut, auch an mir klebte Blut, das noch warm war. Ich musste dann regelrecht durchs Blut waten und ihre Körperteile in Tüten verpacken. Dann wurde mir mitgeteilt, wenn ich nur eine Wort verlauten lasse …

[Unterbrechung durch Pflege ]

HMV: Bonobo, Sie schildern diese schreckliche Begebenheit, ohne dass Sie dabei emotionale Bewegtheit erkennen lassen. Sie sprechen überhaupt über viele Dinge so, als würde es sie kaum berühren.

Bonobo: Das muss man unterscheiden! – Innerlich berührt es mich schon, vor allem das, was Miriam betrifft. Ich hab das jetzt aber auch schon relativ oft erzählt, so dass ich das mit mehr Abstand erzählen kann. Aber es berührt mich schon, so ist das nicht! Vieles habe ich damals nicht als so schlimm empfunden, wie es eigentlich heute ist! Von daher gesehen, bin ich vielleicht einfach nur abgestumpft. … Ich meine, es gehört ja auch gewaltig viel, oder wenig Emotion dazu, wenn man ein Kind missbraucht! Da muss man total abgestumpft sein, um das hinzukriegen.

HMV: Entschuldigen Sie, wenn ich da noch einmal nachhake – wie haben Sie das in der Situation damals erlebt? … Sie haben Miriam geliebt – und dieser Gilbert tötet sie vor Ihren Augen und zwingt Sie, ihre Körperteile in Plastiktüten zu verpacken!

Bonobo: Ja, das … Klar, es war grausam! Absolut grausam. Und wenn ich alleine bin, dann kann ich darüber auch weinen und alles drum und dran. Wie anfangs schon erwähnt, haben wir in Straubing eine Andacht abgehalten! Da hab ich … die ganze Zeit geweint, während diese Andacht da war. Das hat mir auch geholfen, darüber etwas hinwegzukommen, das mit mehr Abstand zu sehen, weil ich mir ja die Schuld gegeben hab.

HMV: Sie haben gerade eine Begebenheit erzählt, deren Grausamkeit geradezu unvorstellbar ist. – Sie waren anwesend, als dieses Mädchen, das Ihr Ein und Alles war …

Bonobo: … Ja. …

HMV: … vor Ihren Augen ermordet wurde. Sie wurden gezwungen, die Körperteile dieses Kindes in Tüten zu verpacken … Wie geht es Ihnen, wenn Sie das jetzt erzählen?

Bonobo: Heute geht es besser, weil ich das große Glück hatte, in Straubing gewesen zu sein, wo man für Miriam eine Andacht gehalten hat, was mir sehr geholfen hat, das zu überwinden und das auch mit mehr Abstand erzählen zu können. … Das ist grausam, das ist absolut grausam! Ich hab mir die alleinige Schuld gegeben. Was hab ich auch so eine große Fresse, was soll das?!

HMV: Sie haben getan, wozu man Sie gezwungen hat. Was ist dann passiert?

Bonobo: Wie gesagt, man hat mir dann gesagt, dass wenn ich auch nur irgendjemandem nur ein Wort davon erzähle, dass sie das Gleiche meinen Eltern, meiner Schwester, meiner Großmutter, also die ganze Palette durch, meiner ganzen Familie antun werden. … Ich … hab eigentlich nichts mehr gemacht. Ich war dann auch für das Bordell, das ein Elitebordell war, nicht mehr geeignet, weil ich nur noch dagelegen hab, die Leute über mich drüber rutschen lassen, war für Filme nicht mehr geeignet, weil ich nichts mehr gemacht hab, als nur dazuliegen. Wo man sich dann daraufhin entschlossen hat, mich auf den Babystrich nach Frankfurt zu schicken. – Eisenbahner, bekanntes Ding!

HMV: Wie? – Eisenbahner?

Bonobo: Eisenbahner heißt das Teil, ja! Da ist eine Eisenbahnbrücke und unter dieser Brücke läuft der Kinderstrich. – Ob es heute noch so ist, weiß ich nicht! Aber ich denke schon. Unter anderem, es gab noch andere Plätze wo ich hin musste. … Und da hab ich dann eigentlich … Das war dann der Punkt, wo ich gecheckt habe, dass das Freier sind, dass ich da verkauft werde, usw. usf.

HMV: Da waren Sie dann zehn oder elf …

Bonobo: Zehneinhalb, elf – so um den Dreh. Am 21.12.80 war ich zehn – und im Sommer bin ich dann auf den Strich.

HMV: Was war Miriam für ein Mädchen?

Bonobo: Aus heutiger Sicht? – Eine rotzfreche Göre! [lächelt] Sehr selbstbewusst! Im Grunde genommen – sie hat mir Halt gegeben. Sie hat mich den ganzen Scheiß überleben lassen, sie hat … Sie war die Starke, eigentlich!

HMV: Woher kam Miriam, hatte sie keine Eltern?

Bonobo: Nee, die meisten Kinder in diesem Bordell – oder in den meisten Bordells – waren sogenannte „Produkte“, die für den Zweck hergestellt wurden … Ganz krass einmal ausgedrückt. Es gibt Orte, an denen Frauen freiwillig oder auch gezwungen, sich schwängern lassen und gebären. Dieses Kind taucht nirgendwo auf, verschwindet in solchen Bordells. Oder sie werden im Ausland eingekauft, mit Wissen der Eltern, oder entführt, irgendwo, und sind einfach verschwunden. Und gut ist.

HMV: Bedeutet das, dass Sie insofern eine Ausnahme waren, in diesem Bordell?

Bonobo: Es gab Kinder, dazu zählt zum Beispiel der kleine M. B., der von seinen Eltern hingebracht wurde und auch wieder abgeholt wurde. Dem durfte jetzt auch nicht so viel passieren, man musste jetzt auch nicht viel erklären, aber der ging auch noch in die Schule und alles drum und dran. Da musste man auch ein bisschen vorsichtig sein mit dem Kleinen, da konnte man nicht alles machen. Aber die, die … „produziert“ wurden, anders kann ich das gar nicht ausdrücken, denen ging's dreckig! Denen ging es wirklich dreckig und ich kann mich nicht erinnern, dass da einer 16 geworden ist!

HMV: Das heißt, diese Kinder wurden regelrecht verbraucht?

Bonobo: Es gab Kinder, denen hat man die Zähne gezogen, damit sie besser blasen können.

HMV: Wer hat das gemacht?

Bonobo: Die Ärzte. Da waren, wie gesagt, Ärzte! Wenn Kinder dabei waren, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen Steifen gekriegt haben, da gab's irgendwie 'ne Spritze. Die haben die dann in den Penis reingekriegt. Dann ist das Ding stundenlang gestanden. … Muss also auch recht schmerzhaft gewesen sein. Mit denen hat man einfach gemacht, was man wollte. Mit denen wurden auch sogenannte Snuff-Filme gedreht. Snuff-Filme – vor der Kamera umbringen! Die wurden da gedreht.

HMV: Haben Sie so etwas beobachtet?

Bonobo: Ja, mit dem kleinen Mädchen. Ein Jahr oder so was …

HMV: … war das beabsichtigt, dass Sie da zuschauen, etwa um Sie einzuschüchtern oder war Ihre Anwesenheit Teil der Inszenierung … ?

Bonobo: Das ist keine Inszenierung!

HMV: Nein, das meine ich nicht. … also Teil dieses Mordes, dieses Sexualmordes … ?

Bonobo: Ich würde mal so sagen: Man hat sich nicht wirklich was darum geschissen, wer da zuguckt oder nicht zuguckt. Oder wer da vor der Kamera vorbei läuft! … War nicht so! Ich weiß es gar nicht, wie ich … Vielleicht ging es einfach darum, dass ich zugucken wollte, was da jetzt abgeht. Ich kann so was nicht sagen, wie ich dazu gekommen bin. Man hat mich sicher nicht an die Hand genommen und gesagt: „Jetzt guck da mal zu!“ Das hat man bei anderen Gelegenheiten gemacht, aber nicht bei so was. Also da kann ich mich jetzt nicht erinnern. Das war ungezwungen, fällt mir jetzt nichts ein … Anfangs wurde mir gezeigt, wie man Sex macht, ja, wie man sich bewegt, beim Sex, vor der Kamera, und so … Wie man in die Kamera zu grinsen hat! …

HMV: Diese Kinder, die „produziert“ worden waren, wurden die ermordet …?

Bonobo: Die Allermeisten, ja!

HMV: Warum tauchen deren Körper nicht auf, wohin verschwinden sie?

Bonobo: Ich hab das nicht herausgefunden. Das ist so ein Punkt, wo sie nichts gesagt haben. … Ich hab vieles gemacht, in dieser Organisation, dann später, ich war ja dann direkt involviert. – Entweder ich mach mit, oder ich krepiere, dann werde ich nichts mehr sagen. … Aber was das betrifft, hab ich absolut keine Ahnung! Ich weiß, dass es geschieht. Ich weiß ungefähr, wie es gemacht wird. Aber wohin letztendlich die Leichen hin verschwinden … ? Ich hab da so meinen Verdacht, aber …

HMV: … welchen Verdacht haben Sie?

Bonobo: Dass er sie ins Meer schmeißt, zu den Haien – keine Ahnung! Ich weiß nicht, wo sie sie hinschaffen, dass man die Leichenteile auch nirgendwo findet. Oder dass sie auf dem Grundstück verbuddelt werden … – ich weiß es nicht! Keine Ahnung! Ich hab da auch nie direkt was mitgekriegt.

HMV: Diese Erlebnisse müssen für Sie so traumatisch gewesen sein, dass Sie kein normales Kind mehr waren!? Sie sind damals sicherlich in die Schule gegangen, Ihre Eltern werden Sie dort angemeldet haben …

Bonobo: … Ja, ganz normal, ich hatte zwei Leben. …

HMV: … und trotzdem wurden Sie mindestens zweimal im Monat abgeholt und in das Bordell gebracht worden. Das alles über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren.

Bonobo: Ja. Es war auch mal mehr. Wenn jetzt Feiertage waren, wie beispielsweise Ostern, wenn vier Tage hintereinander waren, dann war ich auch mal vier Tage dort und in den Ferien auch schon einmal zwei drei Wochen am Stück. – Ich wollte ja bei der Miriam sein!

HMV: Wenn andere Kinder Ferien hatten, Ostern, Weihnachten, …

Bonobo: … war ich dort! Die anderen Kinder haben vom Zeltlager etc. erzählt und ich hatte überhaupt keine Ahnung, wovon die da überhaupt erzählen, was da Sache ist, weil ich ja immer, ständig, in diesem Puff war.

HMV: … dann waren Sie dort!

Bonobo: In den allermeisten Fällen. Weihnachten, da war meine Mutter schon recht dahinter, dass ich ein bisschen daheim war – was mir gar nicht gefallen hat! [lacht] Das muss ich da dazu sagen! Also ich hab mich da schon gewehrt, ich wollte bei der Miriam sein!

HMV: Obwohl Sie wussten, was da auf Sie wartete!?

Bonobo: Ja! Ich habe das hingenommen, um bei der Miriam zu sein, um sie beschützen zu können! Obwohl es eigentlich umgedreht war, letztendlich, wenn man so drüber nachdenkt – aber ich wollte bei der Miriam sein. Ich wollte sie beschützen, ich wollte sie bei mir haben. Das ist schwer zu erklären. Wenn man mal richtig verliebt war, das ist das Einzige, was ich … Ja! Wir hatten zusammen, von uns aus, niemals Sex miteinander! Keine Berührungen an Geschlechtsteilen oder so etwas. Ein Küsschen hier und da, so wie es halt einfach Kinder machen, aber keinen Zungenkuss! Es lag uns fern. Wir haben nur Sex miteinander gehabt, wenn es von uns verlangt wurde. Ansonsten … Nie!

HMV: Also nie von sich aus, sondern immer nur erzwungen?

Bonobo: Richtig. Wobei wir sagen müssen, dass wir viel lieber miteinander Sex gemacht haben, wie mit irgendeinem Anderen! Eh klar! Aber nur, wenn es geheißen hat: „So, Ihr müsst jetzt!“ Das ist … [Schweigen]

Mann ohne Kindheit

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