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3.3 Histopathologie
ОглавлениеDie pathologischen Charakteristika der MS sind:
1. Entzündliche Infiltrate bestehend aus T-Zellen, B-Lymphozyten, Plasmazellen und Makrophagen/Mikroglia ( Abb. 3.2)
2. Demyelinisierung mit Verlust an Oligodendrozyten, insbesondere im Stadium chronischer Erkrankung und bei unterschiedlichem Ausmaß an Remyelinisierung
3. Axonaler Verlust
4. Gliose mit Proliferation von Astrozyten und intensiver Vernarbung (Brück und Stadelmann 2005).
Ausführliche neuropathologische Untersuchungen in den zurückliegenden Jahren haben zu verschiedenen Klassifikationsvorschlägen geführt (Bö et al. 2006; Lucchinetti et al. 2000; De Groot et al. 2001). Die unterschiedlichen Einteilungen beruhten auf der Zelldichte in den Läsionen (aktiv vs. inaktiv), der Demyelinisierungsaktivität sowie der Kombination dieser beiden Parameter. Auffallend
Abb. 3.2: Pathologie der MS: oben links: makroskopische Ansicht des Autopsates. Die Pfeile zeigen bereits makroskopisch sichtbares MS-Plaques in der weißen Substanz; oben rechts: histopathologischer Nachweis lymphozytärer Infiltrate im ZNS; insbesondere im Bereich der Gefäße perivaskulär (HE-Färbung; unten links: die Luxol-blue-fast-Färbung (LFB) demarkieret die Grenze der Demyelinisierung eines MS-Plaques (weißlich) zum angrenzenden gesunden Gewebe (grünlich-bläulich angefärbte Myelinscheiden); unten rechts: Nachweis axonaler Schädigung im MS-Gewebe; im Verlauf der Axone zeigen sich verschiedentlich Ballonierungen und Schwellungen als Zeichen der Schädigung (Silberfärbung).
ist, dass die Multiple Sklerose auch pathologisch außergewöhnlich heterogen erscheint. Die bislang vorgeschlagenen Klassifikationen wurden nur selten und inkonsequent eingesetzt. Die Identifizierung von vier verschiedenen immunpathologischen Subtypen von MS-Läsionen durch Lucchinetti et al. hat eine kontroverse Diskussion über die Pathogenese der Erkrankung ausgelöst (Lucchinetti et al. 2000). Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob ein Patient während der gesamten Erkrankung Läsionen eines pathologischen Subtyps hat oder ob die pathologischen Muster eher den unterschiedlichen Zeitpunkten des Erkrankungsverlaufs zuzuordnen sind. Neuere kleine serielle Untersuchungen konnten zeigen, dass das immunpathologische Muster bei den meisten Patienten im Verlauf erhalten blieb, sodass eine pathogenetische Heterogenität postuliert wird (Metz et al. 2014), eine Annahme, die durch andere Fallserien gestützt wird (König et al. 2008). Auch der Zeitpunkt der Biopsie ist offenbar relevant, da es vor allem im frühen, schubförmig verlaufenden Stadium aktive demyelinisierende Läsionen gibt (Frischer et al. 2015).
2017 wurde eine neue Konsensusklassifikation vorgeschlagen, die eine Einteilung der Läsionen in aktiv, gemischt aktiv/inaktiv sowie inaktiv in Abhängigkeit der Präsenz und Verteilung der Makrophagen vorsieht (Kuhlmann et al. 2017). Aktive Läsionen sind dabei solche, die vor allem bei Patienten mit einem schubförmigen Verlauf oder frühen sekundär chronisch progredienten Verlauf angetroffen werden und im Lauf der Erkrankung abnehmen. Sie sind durch Zellreichtum, Myelinverlust und eine dichte Infiltration von z. T. schaumigen Monozyten bzw. Mikrogliazellen charakterisiert. T-Zellen kommen perivaskulär und diffus in den Läsionen vor, sind jedoch weniger häufig als Makrophagen. Astrozyten zeigen eine erhöhte Expression an GFAP (saures Gliafaserprotein). Innerhalb dieser aktiven Läsionen lassen sich Läsionen identifizieren, in denen noch Demyelinisierungsprozesse ablaufen, indem Abfallprodukte des Myelinabbaus im Zytoplasma der Makrophagen nachgewiesen werden. Bei diesen postdemyelinisierenden Läsionen findet sich nur noch unspezifischer Detritus in den Fresszellen. Die demyelinisierenden Läsionen können in Abhängigkeit davon, ob sich die Proteine MOG, CNP, MAG noch anfärben lassen, in früh oder späte demyelinisierende Läsionen eingeteilt werden.
Gemischt aktiv-inaktive Läsionen sind demyelinisiert, haben zentral eine zellarme Zone und sind von einem Band aktivierter Mikroglia/Makrophagen am Rand umgeben. Es besteht eine moderate T-Zellinfiltration perivaskulär und diffus in der Läsion. Diese Art von Läsionen wird nur selten im Frühstadium einer MS gefunden, ist allerdings zunehmend bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer von mehr als zehn Jahren nachweisbar. Abhängig davon, ob Myelinabbauprodukte nachgewiesen werden, lassen sich diese Läsionen in demyelinisierend und postdemyelinisierend unterteilen.
Als inaktiv werden scharf begrenzte, zellarme Läsionen bezeichnet, bei denen fast keine reifen Oligodendrozyten sowie nur wenige Mikroglia und T-Zellen nachzuweisen sind. Es kann ein deutlicher Axonverlust bestehen. Astrozyten bilden eine gliotische Narbe aus.
Hinweise auf eine Remyelinisierung können in allen Läsionstypen gefunden werden, allerdings ist das Ausmaß insbesondere bei Patienten mit einem progredienten Verlauf gering. Die Remyelinisierung in Form sog. »Shadow-Plaques« wird immer wieder gefunden. Prämyelinisierende Oligodendrozyten konnten im großen Ausmaß in chronischen MS-Läsionen gefunden werden (Chang et al. 2002). Es besteht aber eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der Remyelinisierung und der Anzahl gefundener Oligodendrozyten, was darauf hindeutet, dass es offensichtlich hemmende Moleküle in der Läsion gibt, die eine suffiziente Remyelinisierung inhibieren. Das Ausmaß der Remyelinisierung ist variabel (Patrikios et al. 2006).
Zu einem gewissen Umdenken im Gesamtverständnis der Krankheit MS haben die Befunde hinsichtlich des Ausmaßes axonaler Schädigung in der MS-Läsion geführt. Arbeiten in den späten 90er Jahren zeigten, dass in aktiven Läsionen über 11.000 Axone pro mm3, in chronisch aktiven Läsionen noch immer über 3.000 Axone pro mm3 durchtrennt sein können, wohingegen in der unauffälligen weißen Substanz lediglich 17 Axone pro mm3 durchschnitten sind (Trapp et al. 1998). Wiederholt konnte nachgewiesen werden, dass gerade frühe entzündliche Läsionen den größten axonalen Schaden zeigen (Kuhlmann et al. 2002; Bitsch et al. 2000; Pfeifenbring et al. 2015). Dies ist von besonderer Bedeutung, da der axonale Schaden als pathomorphologisches Korrelat für eine bleibende klinische Behinderung betrachtet wird. Nach gegenwärtigem Verständnis geht man davon aus, dass unmittelbar nach der Demyelinisierung ein massiver, akuter axonaler Schaden eintritt. Darüber hinaus findet sich eine langsame axonale Destruktion auch in inaktiven demyelinisierenden Läsionen. Beachtenswert ist, dass sich in remyelinisierten Shadow-Plaques kein axonaler Schaden zeigt, sodass Remyelinisierung als eine das Axon schützende Strategie betrachtet werden kann.
Neben der Schädigung in klassischer Lokalisation, der weißen Substanz, zeigen Untersuchungen, dass auch in der normal erscheinenden weißen Substanz und dem Kortex pathomorphologische Veränderungen bei MS-Patienten gefunden werden können. Die diffuse Schädigung der normal erscheinenden weißen Substanz und die kortikale Demyelinisierung konnten als Charakteristika bei PPMS und SPMS detektiert werden, wobei die diffuse axonale Schädigung und deutliche Mikrogliaaktivierung in beiden dieser Areale gefunden werden konnte (Kutzelnigg et al. 2005). Eine kortikale Demyelinisierung konnte auch im zerebellären Kortex bei MS-Patienten nachgewiesen werden. Sie kann äußerst ausgedehnt sein und könnte somit als potenzielles Substrat zerebellärer Dysfunktion bei MS-Patienten gewertet werden (Kutzelnigg et al. 2007). Die kortikale Remyelinisierung verläuft ebenfalls heterogen (Strijbis et al. 2017).