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ОглавлениеHamburg-Barmbek, April 2009
Der Krug hatte den Transport in seine Wohnung heil überstanden und stand nun auf seinem Küchentisch. Er war aus Ton und schien alt zu sein. Die Schriftzeichen hatte er früher einmal irgendwo gesehen. Im Fernsehen, als er durch die Programme gezappt hatte. Die Griechen, Ägypter oder Römer - irgendein altes Volk halt - hatten diese Schrift benutzt. Eine Ahnung hatte er davon nicht. Geschichte war ihm immer fremd gewesen, wie fast die ganze Schule, durch die er sich gequält hatte. Dabei war er nicht dumm gewesen, er war nur einfach nicht mit dem Unterrichtsstil der Lehrer zurechtgekommen.
In seinem Leben hatte er nie viel Glück gehabt und manchen Schicksalsschlag erlitten. Doch er hatte sich nie unterkriegen lassen. Nun, nach etlichen Jahren des Niedergangs, schien ihm das Glück hold zu sein. Dieser Krug war alt, schien nicht wertvoll zu sein. Doch die Kette war aus purem Gold. Bei dem jetzigen Goldpreis würde er ein hübsches Sümmchen dafür bekommen. Möglicherweise waren auch die kleinen Perlen etwas wert. Er konnte die Kette im Internet anbieten, doch vorher würde er sie schätzen lassen. Wenn er an die Adresse eines verrückten Kunstsammlers kommen könnte, würde er womöglich ein kleines Vermögen für dieses Goldkettchen bekommen.
Es stellte sich nur die Frage, wo er diese Gegenstände verstecken sollte. Vor allem dieser sperrige Krug stellte ihn vor ein Problem. Er würde noch den passenden Ort dafür finden. Als erstes würde er die Kette schätzen lassen, dann würde er weitersehen.
Bereits am nächsten Tag machte er sich nach der Arbeit auf den Weg zu einem Juwelier. Dieser sah sich die Kette an.
"Ein schönes Stück. Woher haben Sie die Kette, wenn ich fragen darf?"
Für solch eine Frage hatte er sich eine Geschichte ausgedacht, die plausibel schien und keine weiteren Fragen aufwarf. Denn mit so einer Frage musste er rechnen. Diebesgut wurde überall angeboten und gerade bei diesem Stück musste man annehmen, dass es gestohlen war. Ein altes Erbstück sollte es sein, gefertigt zu einer Zeit, als das alte Ägypten eine Renaissance unter der Bevölkerung erlebte. Nach mühevoller Suche im Internet, hatte er schließlich herausgefunden, dass die Motive auf der Kette ägyptisch waren. Er mochte keine Ahnung von Geschichte haben, aber er wusste, wie er sich informieren musste, um das nötige Wissen zu erhalten. In Zeiten des Internets war alles möglich und viel leichter als früher.
"Geerbt, das Stück befindet sich seit langer Zeit in Familienbesitz."
Der Juwelier hielt kurz inne, ließ sich aber nichts anmerken. "Aha", sagte er nur. Es klang misstrauisch. Die Kette war weitaus älter, als der Kunde vorgab. Diesen Stil hatte er noch nie gesehen. Jemand, der ein Könner seines Faches war, hatte diese Kette gefertigt. Doch diese Kunstfertigkeit besaß heute niemand mehr. Die Schriftzeichen, so klein sie waren, das Bild auf dem Goldplättchen, das alles war von jemandem gefertigt worden, der Erfahrung hatte und die Kunst beherrschte, naturgetreue Darstellungen der alten Ägypter zu fertigen.
Der Juwelier wurde das Gefühl nicht los, dass die Kette so alt war wie das alte Ägypten selbst. Doch dafür brauchte er ein Foto, um es einem Experten zeigen zu können. Vielleicht würde er das Geschäft seines Lebens machen, wenn es sich nicht um Diebesgut handelte. Er musterte den Mann, der vor dem Verkaufstresen stand und durch den Raum blickte. Vom äußeren Erscheinungsbild deutete nichts darauf hin, dass es sich bei dem Mann um einen Einbrecher handelte. Doch wie sah ein Einbrecher heutzutage aus? Von einem harmlosen Bürger war er nicht zu unterscheiden. Möglicherweise stimmte die Geschichte, die der Mann zum Besten gab und es war ein altes Familienerbstück. Doch dessen konnte er sich nicht sicher sein, weshalb er misstrauisch blieb. Vor allem brauchte er Bilder.
"Ich muss mit Ihrer Kette kurz nach hinten, um zu überprüfen, um welche Goldlegierung es sich handelt. Wenn Sie mich bitte entschuldigen. Ich komme gleich zurück."
Der Mann sah ihn an, wirkte unschlüssig, ob er die Kette nicht einfach wieder mitnehmen sollte. Dann entspannte sich das Gesicht seines Gegenübers.
"Gut, tun Sie, was Sie tun müssen. Ich werde warten."
Unbehaglich fühlte er sich, als der Juwelier in seine hinteren Räume ging. Was machte der jetzt? Wie wollte er in der Schnelle die Goldlegierung herausfinden? Würde er dafür die Kette beschädigen, etwa ein kleines Stück abkratzen? Er hätte dem nicht zustimmen sollen, sondern hätte lieber die Kette an sich nehmen und den Laden verlassen sollen. Der Juwelier wollte ihn an der Nase herumführen, doch das würde er sich nicht gefallen lassen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, würde er die Kette noch schätzen lassen und dann gehen.
Minuten vergingen, die ihm wie Stunden, eine Ewigkeit vorkamen. Das Warten war unerträglich. Die Ungewissheit, was der Juwelier im Hinterzimmer machte, ließ ihn schier wahnsinnig werden.
Mit steinerner Miene, die nichts aussagte, kam der Juwelier aus den hinteren Räumen, die Goldkette auf einem Tablett.
"Es handelt sich hierbei leider nicht um Gold, sondern um Elektrum, wie ich festgestellt habe. Das ist eine natürliche Legierung aus drei Teilen Gold und einem Teil Silber. Was anderes kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ziemlich ungewöhnlich die Legierung, auch das Design. Eine erstaunliche Arbeit."
Zart strich der Juwelier über die herausgearbeiteten Figuren. Die Fotos waren schnell gemacht und im Internet hatte er herausgefunden, das in den Goldvorkommen auf ägyptischen Boden immer geringe Silberanteile vorhanden waren. Um die genaue Reinheit des Elektrums zu bestimmen, brauchte er die Kette. Ohne sie konnte er keine Tests machen.
Gierig starrte sein Gegenüber auf die Kette, konnte sich schließlich zusammenreißen und blickte ihn regelrecht desinteressiert an.
"Mit wie viel kann ich rechnen?"
"Ja, Moment bitte, da muss ich erst einmal rechnen."
Der Juwelier holte aus einer Schublade eine Waage, die an eine der neumodischen Küchenwaagen erinnerte, legte die Kette auf die glatte Edelstahlfläche, notierte sich das Gewicht und rechnete den Betrag aus, den es voraussichtlich bei einem Goldverkauf für die Kette geben würde. Er kam auf knapp über zweihundertfünfzig Euro. Doch diesen Preis würde er für diese Kette niemals bieten. Sein Kunde war nicht des Preises kundig. Also würde er ein gutes Geschäft machen, wenn der Mann ihm die Kette verkaufen würde.
"Etwa 200€, genau 197,83€."
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Baggerfahrers breit. Er hatte sich mehr erhofft, nicht diese läppischen 200€.
"Vielleicht versuchen Sie es mal an anderer Stelle, bei einem Sammler für altägyptische Kunst vielleicht. Möglicherweise wird der Ihnen mehr zahlen. Ich kann mich natürlich auch für Sie umhören. Wenn Sie die Kette hierlassen..."
"Nein, ich werde sie wieder mitnehmen. Wollte nur mal wissen, was die Kette so wert ist."
Er nahm die Kette hastig an sich, steckte sie in eine Papiertüte und dann in seine Hemdtasche. Bevor der Juwelier etwas einwenden konnte, war er gegangen. Ärgerlich sah dieser ihm hinterher. Er hatte es falsch begonnen und das Misstrauen des Kunden unterschätzt. Nun blieben ihm nur noch die Fotos. Vielleicht ließ sich so in Erfahrung bringen, was es mit dieser Kette auf sich hatte. Daes die Kette kein Erbstück war, wie der Mann es ihm geschildert hatte, lag auf der Hand, dafür passte sie von der Art der Herstellung und des Motivs in kein modernes Zeitalter. Auf welchen Pfaden auch immer sie in den Besitz des Mannes gekommen war, sie stammte eindeutig aus dem alten Ägypten.
Er hatte den Gang zum Juwelier schon bereut, als er das Juweliergeschäft betreten hatte. Wenn es ihm doch nur nicht ums Geld gegangen wäre. Aber er musste wissen, wie viel diese Kette wert war, bevor er sie verschacherte. Dies war ihm nun bekannt, doch war er enttäuscht über den geringen Preis. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass der Juwelier versuchte hatte ihn übers Ohr hauen.
Er würde abwarten und dann sein Glück erneut versuchen. In ein paar Tagen wäre über die Sache Gras gewachsen. So lange konnte er warten.