Читать книгу Das Torhaus - Helga Dreher - Страница 11
ОглавлениеKAPITEL 5
Als Erstes sah Alma einen Blumenstrauß, hinter dem die Kioskfrau Moni entschlossen ins Zimmer trat und Benjamin Lenk mit einer ungeduldigen Handbewegung hinter sich hereinwinkte.
„Bin ich froh, dass es Ihnen gut geht! Wir hatten doch alle schon das Schlimmste befürchtet.“ Moni schien Almas Lage im Halskorsett und den bandagierten Arm nicht als Zeichen von Gefahr für Gesundheit oder Leben zu sehen. „Das Genick hätten Sie sich brechen können! Gut, dass mein Kleiner gerade da war. Hatte wieder Englisch geschwänzt, der Schlawiner, aber in dem Fall das reinste Glück … Herr Lenk, am besten, Sie übernehmen kurz, ich schau mal nach einer Vase und Wasser für die Blumen.“ Damit ging sie festen Schrittes in Richtung Tür, wo sie beinahe mit einer der Schwestern zusammengestoßen wäre.
„Nicht so hastig, Vasen sind in der 314 gegenüber, Tür ist offen. Frau Winter, lassen Sie mich Ihr Kopfteil ein wenig anstellen, sonst sehen Sie ja Ihren Besuch gar nicht richtig.“ Mit geübtem Griff verstellte die Schwester mit dem Vornamen Silke auf dem Namensschild den oberen Teil des Bettes ein wenig, jedoch so, dass Alma noch immer gut in ihrer Halsstütze lag. Nach einem prüfenden Blick zur Infusionsflasche, einem etwas strengeren in Richtung des Anwalts und den Worten „Aber nur kurz, die Patientin braucht noch viel Ruhe“ eilte sie aus dem Zimmer.
Alma sah Benjamin Lenk erstaunt an. Jetzt konnte sie sehen, dass er ihren Koffer neben sich stehen hatte. Der Anwalt wirkte wie schon gestern gelassen und gab ihr freundlich die Hand. „Guten Tag Frau Winter. Schön, Sie wiederzusehen, wenn auch unter diesen eher misslichen Umständen.“
Er zog zwei Stühle, die an einem Tisch neben dem Fenster standen, heran und setzte sich auf den etwas weiter von ihr entfernten.
„Sie hatten großes Glück, Frau Winter. Wie ich inzwischen erfahren habe, hat sich der Unfall so ereignet: Als Sie im Haus die Treppe hinabgestürzt sind, haben Sie offensichtlich laut aufgeschrien. Das wurde draußen am Busbahnhofskiosk gehört und Frau John ist sofort mit ihrem Kollegen und einem der Busfahrer zum Haus gerannt. Die Haustür war geschlossen und war auch nicht aufzudrücken, Sie haben sie ja gesehen, sehr stabil.“
„Aber zum Glück hatten Sie ja alle Fenster geöffnet.“ Moni, offensichtlich Frau John, war mit den Blumen, nun ordnungsgemäß in Vase und Wasser, zurück und setzte sich energisch auf den ersten Stuhl am Bett. „Nur – ich konnte da nicht hoch, bin zu unsportlich, und Bernd, der gerade den 221er abgestellt hatte, auch nicht – hat noch ein paar Pfunde mehr drauf als ich. Holger wäre rein, aber wer kommt in dem Moment angeschlichen? Mein Jüngerer, Sven, aus der Schule. 15 Jahre, klein und wendig. Hätte eine Freistunde, wollte er gerade ansetzen, da haben wir ihn schon hochgehoben und durch eins der offenen Fenster geschoben. Einmal drinnen, ist er sofort zur Haustür gelaufen, schlauer Kerl, mein Sveni, und hat uns reingerufen. Dann haben wir Sie gefunden, unten an der Treppe, Sie haben sich nicht mehr gerührt. Wir dachten schon … Na ja, jedenfalls hatte mein Sven schon die 112 gewählt und keine zehn Minuten später war der Notarztwagen da. Bernd hat Sie inzwischen auf stabile Seite gelegt und den Puls geprüft, war da, also musste er nicht auf Herz massieren. Hätte er wohl auch gekonnt, die Busfahrer müssen das ja bringen, für den Notfall …“
Moni, oder Frau John, umfasste jetzt Almas unverletzte rechte Hand. „Mädchen, Sie haben uns vielleicht einen Schreck eingejagt!“
Alma schaute Moni John an, atmete tief durch und sagte, „Ich bedanke mich bei Ihnen allen. Gut möglich, dass mich sonst niemand gefunden hätte, und alles ganz böse für mich ausgegangen wäre.“ Für einen Moment schloss sie die Augen, drückte aber gleichzeitig fest Frau Johns Hand. Dann sah sie fragend von Moni zu Benjamin Lenk.
„Ah, der Anwalt … Den haben wir dann auch noch ausfindig gemacht. Kriminalistisch, sozusagen. Holger, müssen Sie wissen, hat diese komische Sucht. Er muss sich Autonummern merken, kann irgendwie nicht anders. Das nervt oft mächtig, wenn er Nummern heruntersagt, die früh hier ihre Kinder an der Schule ausladen oder in der Wendeschleife falsch parken. Dabei bleibt’s aber, er zeigt niemanden an, wenn Sie das vermuten. Also, was wollte ich sagen …“
Anwalt Lenk hatte inzwischen mehrfach zum Reden angesetzt, kam aber nicht zu Wort.
„Ja, also, Holger erinnerte sich natürlich noch an die Weimarer Nummer vom BMW, mit dem Sie und er“ – Kopfwendung zu Benjamin Lenk – „gestern weggefahren waren. Na, und mein Sven wusste, wie man es per Telefon schafft, zu einer Autonummer den passenden Besitzer zu ermitteln. Schlau der Junge, muss man schon sagen. Leider schwänzt er gerne, heute war’s wieder Englisch. Von wegen Freistunde! Na, andererseits ein Glück!“
„Nach dem Anruf habe ich unseren Sekretär Jörg in die Spur – oder besser, auf Ihre Spur – geschickt. Er hat im Hotel nachgefragt, Sie hatten Ihren Koffer deponiert, aber nicht abgeholt. Dr. Rottloff hat Jörg sofort mit dem Auto hinuntergeschickt, der Koffer wurde geholt – und hier ist er. Wir in der Kanzlei sind ebenfalls sehr froh, dass Ihnen nichts ganz Schlimmes geschehen ist, Frau Winter.“
Alma dankte ihm, blickte danach aber ratlos von einem zum anderen. „Und nun? Wie soll es weitergehen? Ich habe mich ja noch nicht entschieden. Und der Arzt will mich mit meinem gebrochenen Arm nach Hause schicken.“
„Na, damit hat er aber sicher nicht heute und morgen gemeint! Ich vermute, Sie haben hier bis zum Ende der Woche ein sicheres Bett“, war von der Tür her zu hören.
„Sieglinde! Du bist auch hier?“ Moni John drehte sich ruckartig um, sprang auf und umarmte Almas Bettnachbarin stürmisch. „Wir haben gestern erst von deinem Unfall gehört, man schaut ja nicht jeden Tag rüber in den Laden. Heute oder morgen Abend wären wir besuchsmäßig angerückt, ist mit Horst abgesprochen. Hast ja auch Glück gehabt, oder?“ Sie musterte Sieglinde von oben bis unten und konnte von ihr gerade noch daran gehindert werden, ein Hosenbein anzuheben.
„Ja, großes Glück. Wenn ich mir vorstelle … Aber du – du rauschst hier auf die Station, führst wie immer das große Wort und übersiehst deine zweitbeste Freundin!“
„Beste, Sieglinde, beste! Aber das alles hier sind längere Geschichten, da trinken wir mal lieber ein gutes Glas Wein zusammen, wenn du wieder in Schuss bist. Und Sie sind herzlich eingeladen, Frau Winter.“
Benjamin Lenk sah zur Tür und erhob sich. „Ich denke, Sie brauchen jetzt tatsächlich etwas Ruhe, Frau Winter. Bitte machen Sie sich keine Gedanken wegen des Hauses. Wir haben eine ausreichende Frist, in der Sie sich entscheiden können. Ich fände es übrigens sinnvoll, wenn Sie nach Ihrer Entlassung aus der Klinik noch ein paar Tage in Weimar bleiben könnten. Rufen Sie bitte an, wenn es soweit ist. Oder auch vorher.“
Alma bemerkte, dass Moni John aufmerksam und wohl nicht ohne Neugier zugehört hatte. Jetzt stand sie ebenfalls auf, drückte Sieglinde noch einmal fest und reichte Alma die Hand. Und wenn Alma etwas brauche, solle sie Moni nur anrufen, die Nummer schreibe sie ihr schnell noch auf, außerdem könne sie sich vertrauensvoll an Sieglinde halten. Die sei schon damals immer Klassenbeste gewesen, wie viele Jahre ist das jetzt her, Sigi, 25? Oder noch länger? Sieglinde hätte Moni aber immer abschreiben lassen und so eine bis heute lebendige Freundschaft begründet. Also, wie gesagt, sie komme dann wieder vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, morgen Abend oder spätestens übermorgen. Jetzt müsse sie aber wirklich los, gegen Mittag wäre richtig Betrieb am Kiosk, da käme Holger ohne sie in Stress. Herr Lenk würde sie doch sicher bis zum Busbahnhofskiosk im Auto mitnehmen?
❧
Alma schloss erschöpft die Augen. Ihr unerwarteter Besuch war gegangen und plötzlich wurde ihr bewusst, dass es für sie keinen „erwarteten“ Besuch geben würde. Sie wusste niemanden, den sie jetzt anrufen und ihm oder ihr sagen konnte: Ich hatte einen Unfall. Ich liege im Krankenhaus. Es geht mir ganz gut. Aber es hätte schlimmer kommen können. Ja, natürlich kannst du mich besuchen. Komm bitte gleich.
Sie hatte niemanden, der gleich kommen würde.