Читать книгу Das Torhaus - Helga Dreher - Страница 14
ОглавлениеKAPITEL 8
Der nächste Tag verlief für Alma weit weniger aufregend. Nach Frühstück und Visite (Durchgeschlafen, Frau Winter? Sehr gut. Die Kopfschmerzen sind zurückgegangen? Ganz verschwunden? Noch besser. Dann entfernen wir die Cervicalstütze, Schwester Ines. Sie können aufstehen und im Haus herumlaufen, aber vielleicht vermeiden Sie besser die Treppen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt bei uns, er wird nur kurz sein. Einen schönen Tag Ihnen beiden!) hatte Alma Leinenhose und Bluse übergezogen und war zum Hauserkunden aufgebrochen. Sieglinde hatte sich zur Begleitung nicht erboten, ihr Bein wolle sie nicht über alle Gänge spazieren tragen.
Die Klinik war riesig, und trotz der unzähligen Wegweiser hatte sich Alma umgehend verlaufen und war im Röntgenbereich gelandet, aus dem sie nur nach mehrmaligem Nachfragen wieder hinausfand. Schließlich folgte sie konzentriert dem Schild „Cafeteria“ und erreichte einen Café- und Ladenbereich. Dort fand sie ein kleines Geschäft, das sich wohl ganz auf Dinge spezialisiert hatte, die Patienten benötigten: Zeitschriften, Bücher, Getränke, Süßigkeiten, eine kleine Auswahl von Textilien. Alma, die beim Anziehen der Bluse kein ganz gutes Gefühl gehabt hatte, kaufte eine Packung mit zwei weißen T-Shirts, drei der von ihr heiß geliebten Kokosriegel und ein Nachrichtenmagazin. Beim Bezahlen sah sie, dass auf dem Regal hinter der Verkäuferin einige Flaschen standen.
Dann betrat sie die Cafeteria, holte sich am Tresen einen Milchkaffee und ein Croissant und setzte sich an einen der Tische auf der Außenterrasse. Sie schaute sich um und fand sich nun als Teil der Szene wieder, die sie gestern aus dem Fenster beobachtet hatte. Mehrere Patienten machten sich zu einem Spaziergang ins Außengelände auf. Als Park konnte man die Grasfläche nicht bezeichnen, dafür waren die Bäume noch zu klein. Aber Alma fand, dass die Anlage Potenzial hatte; eines Tages würden die Laubbäume mit ausgebreiteten Kronen bereitstehen, um mit ihrem Blätterdach Schatten zu spenden.
Alma stand auf, sammelte Zeitung, Riegel und Geschirr ein und fühlte sich unvermittelt müde und ein wenig schwindelig. Schnell suchte sie den richtigen Weg zur Station, fand ihr Zimmer, erklomm das Bett und legte sich auf die Bettdecke.
Von Sieglinde sah sie an diesem Tag wenig. Zu Almas Erleichterung war am Morgen kein Gefühl von Unsicherheit wegen der vertraulichen Gespräche am Vorabend aufgekommen. Man hatte sich fröhlich begrüßt, sich über die Reihenfolge der Badbenutzung geeinigt und gut gefrühstückt. Danach hatte Sieglinde etwas von Röntgen und Physiotherapie gesagt und war für größere Teile des Tages verschwunden, nicht ohne Alma noch auf den kleinen Stapel Zeitschriften und Bücher auf ihrem Nachtschrank hinzuweisen, nur für den Fall der Fälle, wenn es langweilig würde.
Nach der Nachmittagsvisite hatte sich Alma den Stapel Bücher näher angeschaut. Sieh da, dachte sie, hier triffst du unvermittelt auf eine fast verwandte Leseseele: Frank McCourt, Anne Tyler und – wow – Katherine Hansen.
Dazu, liebe Sieglinde, dachte Alma, werde ich noch etwas zu erzählen haben.
Sie überlegte kurz, schaute auf die Uhr, nahm ihren Geldbeutel aus der Nachttischschublade und ging noch einmal zurück zum Laden.
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Als Alma zurückkam, standen die Tabletts mit dem Abendessen auf dem kleinen Tisch. Sieglinde hatte bereits Tee eingegossen und sich eine Scheibe Brot mit Käse und Paprikastreifen belegt.
„Horst war kurz hier und ist schon wieder weg“, meinte sie kauend, „er hat heute Fußballtraining, Alte Herren. Die Herren sind aber noch gar nicht so sehr alt und benehmen sich offensichtlich wie die Wilden auf dem Platz. Fast jedes Mal gibt es danach bei meinem Besten eine Blessur zu behandeln, voriges Jahr gipfelte es in einer ausgerenkten Schulter. Aber im Prinzip freue ich mich, dass die Jungs ihren Spaß haben und sich dazu auch noch bewegen. Horst hat das ja auch nötig. Übrigens soll ich dich herzlich grüßen.“ Sieglinde schaute lachend auf Almas Teller: „Na, du machst dir ja eine Kalorienbombe!“
„Du wirst lachen, aber ich habe bestimmt seit Jahren keine Scheibenwurst mehr gegessen. Schau her, Bierschinken, Leberkäse, Lyoner – heißt die noch so? – wahre Schätze, erinnern mich auf wunderbare Weise an meine Kindheit.“
„Seltsam, wie wir Zeiten unseres Lebens immer wieder mit Dingen verbinden, die damals für uns nicht wichtig schienen – oder die wir nicht als bedeutsam wahrgenommen haben. Meine Schulzeit verbinde ich zum Beispiel weniger mit dem, was ich gelernt habe, als vielmehr mit den vielen aufregenden Ereignissen, die sich außerhalb der Schule, in den Pausen oder auf dem Schulweg abspielten.“
„Zum Beispiel die Bücher vor dem ersten Schultag nach den Ferien in Papier einschlagen, Etiketten beschriften, in Schönschrift, und vorn darauf kleben!“ Alma bekam sehnsüchtige Augen.
„Oder noch vorher die neuen Schulsachen einkaufen, Hefte, Stifte, Zeichenblock, später Schnellhefter und Schreibblöcke …“
„Neue Turnsachen anprobieren! Sport war für mich immer das Größte.“
„Hattest du ein Glück, da habe ich ganz andere Erinnerungen. Ich war froh, wenn die Sportstunde endlich vorbei war, wir wieder in der Schule waren und der Mathelehrer vorn stand.“ Sieglinde verzog schmerzlich das Gesicht, als müsste sie noch einmal auf den Schwebebalken oder über die Aschenbahn.
„Oh je, Mathe“, Alma schaute mit gespieltem Entsetzen zur Decke, „aber da gab es diesen netten Jungen in unserem Eingang, ein Jahr älter, der konnte sooo schön erklären …“
„Sich schick anziehen, möglichst immer ein wenig auffälliger als die anderen Mädchen, und dann wurde der Schulhof zum Catwalk, wie man das heute nennen würde.“ Sieglinde kicherte fröhlich.
„Na gut, das war nicht so meins, obwohl sich meine Mutter die größte Mühe gab, aus einer zu langen und zu dünnen Bohnenstange einen Schwan zu zaubern. Sie konnte ganz phantastisch nähen, aber bei mir war alle Mühe umsonst.“
Sieglinde schüttelte ungläubig den Kopf und rief dann: „War das bei dir auch so, erste Stunde nach den großen Ferien, gleich nach dem Appell in die Klasse und dann die Frage aller Fragen, welchen Platz im Klassenzimmer man sich für das kommende Schuljahr sichern konnte – aber da war Moni die Schnellere, fällt mir ein, sie schaffte es so gut wie immer, als Erste durch die Tür zu rennen und ihren Ranzen auf die vorher ausgesuchte Bank zu werfen. Nicht zu weit vorn, aber auch nicht ganz hinten, dafür war sie zu klein, sie hätte nicht den Überblick gehabt, und den hatte sie immer …“
„Das kannst du wissen! Hallo, ihr zwei, ich denke, ihr liegt krank im Bett? Stattdessen seid ihr auf und kickert euch was?“
In der Zimmertür stand Moni und schüttelte scheinbar empört den Kopf.
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Alma reichte Moni die Hand, nachdem diese sich aus Sieglindes heftiger Umarmung gelöst hatte, und staunte. Bisher hatte sie die Herrin des Busbahnhofskiosks immer in einer Art Berufskleidung gesehen, helle Bluse und dunkler Rock. Jetzt stand sie in einem leichten Sommerkleid vor ihnen, schwarz mit kleinen weißen Streublumen. Das Kleid war vorn zu knöpfen und Moni hatte darauf verzichtet, die zwei oder drei oberen Knöpfe zu schließen. Ein Stück weißer Spitze schaute heraus, die wohl zu einem BH gehörte, darüber blinkte eine Kette mit roten und weißen Glasperlen. Ein roter Gürtel umschloss die nicht eben schlanke Taille, passend zu den feuerroten Haarsträhnen – mutig, dachte Alma. Monis Füße steckten in Sandalen mit atemberaubenden Absätzen und standen neben einem offensichtlich gut gefüllten Weidenkorb, dessen Inhalt von einem weißen Tuch verdeckt wurde.
„Also, hier kommt ein lieber Gruß von Holger, und ihr sollt ganz schnell gesund werden! Räumen Sie doch mal die Krankenschüsseln weg, Frau Winter, wir haben jetzt Besseres.“ Das Tuch wurde abgenommen, zur Tischdecke entfaltet und aufgelegt. Moni holte Servietten, kleine Teller und passende weiße Porzellanbecher aus dem Korb und deckte den Tisch. Die Blumen von gestern wurden platziert, Bestecke aufgelegt und eine Thermoskanne dazugestellt. Als Letztes erschienen eine Auflaufform mit Glasdeckel und Weißbrot in einer Stoffserviette auf dem Tisch.
Alma trug die Kliniktabletts nach draußen und schob sie in den Transportbehälter. Mit ihrem gesunden Arm ergriff sie einen der an der Wand stehenden Stühle und trug ihn ins Zimmer.
„Danke, Frau Winter. Dann wollen wir mal“, sagte Moni und öffnete den Schraubverschluss der Thermoskanne.
Alma schaute Sieglinde bittend an. Die verstand und unterbrach die Geschäftigkeit ihrer Freundin. „Moni, wir zwei haben das ‚Sie‘ gestern Abend schon aufgegeben. Also: Moni, das ist Alma. Alma, das ist Moni. Natürlich kannst du ‚Monika‘ sagen, aber du wärst dann die Einzige in Weimar. Und das“, Sieglinde schaute misstrauisch auf die Thermoskanne, „sollen wir mit Tee begießen?“
„Mädchen“, Moni schüttelte mit gespielter Verzweiflung den Kopf, „hast du jemals mit mir angestoßen und Tee war drin?“ Sie schaute zur Tür und flüsterte verschwörerisch: „Ich musste vorsorgen, soll ja alles nach gesundheitsförderndem Mitbringsel aussehen. Übrigens konnte ich Holger gerade noch davon abhalten, euch einen großen Topf Hühnerbrühe zu kochen. Das muss man eigentlich zur Rekonvaleszenz – hab ich das jetzt richtig – also zur Erholung trinken, meinte er.“
Sie nahm den Deckel von der Auflaufform. „Also, was haben wir – das ist Holgers Terrine ‚Huhn im Garten‘, oder Kock oh Schardeng, wie er’s nennt, fein geschnittenes Geflügelfleisch mit Gemüse und kleinen chinesischen Pilzen in Aspik, dazu Vinaigrette mit buntem Pfeffer, ist in dem Fläschchen. Unterwegs hab ich noch frisches Ciabatta geholt. Und in der Thermoskanne ist nun mitnichten Tee, meine liebe Sieglinde, aber rot ist es auch. Ihr seid doch nicht mehr unter Drogen, oder? Nein? Ein Glück, ich hätte ja sonst die ganze Kanne allein …“ Moni lachte laut auf, schaute erschrocken zur Tür und konzentrierte sich wieder auf die kleine Tafel. „Ich habe Becher mitgebracht, wirkt unverdächtig. Übrigens hätten die alten Römer ihren Wein nie aus Gläsern getrunken, meinte Holger, und das waren ja nun die absoluten Genießer. Merlot aus dem Veneto, hat er extra für euch ausgesucht.“
Sie goss die Becher halb voll und legte den Schraubverschluss zurück auf die Kanne. „Zum Wohl, Mädels, auf eure Gesundheit!“
Inzwischen war die Sonne untergegangen und im Zimmer breitete sich angenehmes Dämmerlicht aus. „Eigentlich schön“, seufzte Moni, „hier zu sitzen und morgen nicht ins Hamsterrad zu müssen …“
„Aber dir macht es doch eigentlich Spaß, mit Holger zusammenzuarbeiten. Der Kiosk ist euer zweites Zuhause und eure Kunden machen keinen Stress, oder?“ Sieglinde schaute die Freundin besorgt an.
„Natürlich, macht es auch. Man hat nur manchmal das Gefühl, dass sich irgendwie alles im Kreis dreht, jeden Morgen zum Busbahnhof, abends nach Hause, Essen, Wäsche, die Kinder – Sveni macht mir grad ein paar Sorgen – und man wird alt und merkt es nicht mal.“ Moni legte das Gesicht zwischen ihre Hände und stützte die Arme auf.
„Mensch, Mädchen, so kenn ich dich ja gar nicht. Pass auf, wenn ich wieder gesund und zu Hause bin, bereden wir alles ganz in Ruhe. Mir geht es manchmal ähnlich, wenn dich das trösten kann, und in letzter Zeit habe ich ein paar Strategien gegen die scheinbare – scheinbare sage ich – Tristesse des Alltags entwickelt. Aber jetzt“, Sieglinde schaute bedeutsam zu Alma, „gibt es Wichtigeres zu besprechen!“
Sieglinde begann Almas Geschichte zu erzählen, wobei Alma die eine oder andere Ergänzung beitragen durfte, und Moni hörte gespannt zu. Ab und zu schüttelte sie ungläubig den Kopf oder machte mitfühlende Geräusche, unterbrach aber nicht.
„Das Torhaus“, sagte sie schließlich gedehnt, „wer hätte das gedacht? Verdient hat es die alte Hütte ja, dass sich endlich jemand kümmert …“ Dann richtete sie sich auf, verschränkte die Arme, drückte den Rücken durch und sah Alma an. „Da haben wir jetzt ganz schön was vor uns.“
„So ist es, Moni, und für den heutigen Abend war das Erstellen eines ersten groben Aktionsplans vorgesehen – nicht wahr, Alma?“
Alma nickte erschrocken und fragte dann: „Seid ihr fertig? Ich räume schon mal das Geschirr zusammen. Viele Grüße an Holger, und es hat wunderbar geschmeckt.“ Sie legte alles vorsichtig zurück in den Korb und stellte ihn hinter ihr Bett unter das Fenster. Die Becher und die Kanne ließ sie auf dem Tisch stehen. Moni goss zügig nach.
Sieglinde stand auf und holte ihr Notizbuch aus der Schublade. „Lasst uns einfach mal ein Brainstorming machen: Welche Schritte müssen wir – muss Alma, meine ich – unternehmen, um die Renovierung in Gang zu bringen?“
„Einen Profi finden, Denkmalpfleger oder so etwas.“
„Einen Architekten beauftragen.“
„Mit dem Denkmalamt Verbindung aufnehmen.“
„Und vielleicht auch mit der Baubehörde – oder wie heißt das heute in der Stadtverwaltung?“
„Handwerker finden. Welche, die so etwas Ähnliches schon mal gemacht haben. Etwas Historisches, meine ich.“
„Selbst etwas herausfinden über das Torhaus. Man möchte doch nicht völlig ignorant dastehen, oder? In der Stadtbücherei?“
„Oder in der am Platz der Demokratie, der Anna Amalia?“
„Woher kennst du die denn?“
„Na also, ganz doof bin ich auch nicht, hab schließlich Berufsausbildung mit Abi.“
„Ja, als Elektronikfacharbeiter. Da bist du natürlich bestens vorbereitet.“
„Aber du bist es, als Ökonomin mit Karriere im Blumenbindewesen!“
„Halt“, unterbrach Alma die beiden, „das nennt ihr Brainstorming? Hier gibt es gleich einen bösen Streit, und ich bin schuld!“
Moni und Sieglinde schauten einander an und begannen lauthals zu lachen. „Alma, wir meinen das nicht so. Wir können nicht anders – und sind seit über dreißig Jahren die besten Freundinnen. Oder gerade deshalb, wer weiß?“
„Jedenfalls“, Moni hob ihren Becher, „trinken wir jetzt noch mal auf ein gutes Gelingen.“ Sie schwenkte die Thermoskanne vorsichtig hin und her. „Hm, klingt wie leer, das ist natürlich ungünstig.“
„Kein Problem!“ Alma ging zu ihrem Nachttisch und holte die am Nachmittag gekaufte Flasche Rotwein heraus, „einen Korkenzieher habe ich allerdings nicht.“
„Wieder kein Problem, wir haben ja Leute aus dem gastlichen Gewerbe unter uns, nicht Moni?“ Sieglinde schaute hoffnungsvoll zwischen Moni und der geschlossenen Rotweinflasche hin und her.
„Bei dir klingt das, als wäre ich in sonst welchem Gewerbe! Aber gut, einen Korkenzieher habe ich tatsächlich immer dabei, nur brauchen wir den hier nicht. Einen Schraubverschluss bekommt man durch Drehen nach rechts auf. Übrigens eine sehr sinnvolle Sache, Weinflaschen mit Schraubverschluss. Wurde auch wirklich Zeit …“
Als Alma später am Abend, aber noch vor zehn Uhr, im Bett lag, sah sie den Dingen, die auf sie zukamen, fast gelassen entgegen. Gleich morgen würde sie einen Plan machen. Sie würde sich eine Wohnung suchen. Erst einmal müsste sie die Anwaltskanzlei anrufen, fiel ihr ein, damit in Sachen Erbschaft alles Notwendige veranlasst werden konnte.
Moni war mit ihrem nun erheblich erleichterten Korb und voller Tatendrang ob der bevorstehenden Herausforderungen zur Bushaltestelle gegangen. Sieglinde hatte Alma noch für die weise Voraussicht des Kaufes einer Flasche Rotwein im Klinikladen gelobt. Die Nachtschwester hörte Alma nur noch von weitem, so müde war sie.
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„Ja, Frau Winter, dann dürfen wir Sie nach Hause entlassen. Stellen Sie den Arm bitte in der nächsten Woche wieder bei uns vor, dann in der Tagesklinik, das ist hier gleich gegenüber. Wenn Sie nachher noch vorbeigehen, bekommen Sie einen Termin.“ Dr. Behringer reichte Alma die Hand und lächelte ihr aufmunternd zu. „Mit dem Kopf werden Sie keine Probleme mehr haben, jedenfalls keine im Ergebnis Ihres Treppensturzes, haha.“ Zuzwinkern vom Arzt, höfliches Lächeln der Entourage, Abgang durch die Tür, und Alma saß mit gemischten Gefühlen auf ihrem Bett.
„Sieglinde, ich werde entlassen! Was mache ich jetzt am besten? Hast du einen Vorschlag?“
Sieglinde hatte zwar ihre Frauenzeitschrift geöffnet vor sich auf dem Bett liegen, war den Worten des Arztes aber aufmerksam gefolgt.
„Tja, Alma, da haben wir nun gestern kräftig einen aufgegossen, waren mit dem Sanierungsplan des Torhauses so gut wie fertig – so jedenfalls haben wir uns gebärdet – aber die Kernfrage bleibt: Was tust du, wenn du aus dem Krankenhaus entlassen wirst?“
„Ich nehme das Erbe an, suche mir eine Wohnung in Weimar, und los geht es!“
„Hm, eins nach dem anderen – schade aber auch, dass ich erst zum Wochenende nach Hause komme“, seufzte Sieglinde. „Nun gut, erstens: Erbschaft antreten. Das heißt, du rufst jetzt mal gleich die Anwaltskanzlei an. Lass dir vom jungen Herrn Lenk ruhig etwas unter die Arme greifen!“
„Also ehrlich, Sieglinde!“ Alma schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. „Aber im Prinzip hast du recht, und da fällt mir noch etwas ein. Herr Lenk meinte doch, ich solle noch ein bis zwei Nächte im Liszt-Hotel übernachten. Da war es schön, fand ich. Und von dort aus sehe ich dann weiter.“
Ihren Anruf in der Kanzlei nahm Jörg Vollmer entgegen, der sich keineswegs überrascht zeigte. „Ja, Frau Winter, wir haben geduldig gewartet, bis Sie wieder entlassen werden. Die Hauptsache ist, dass Sie wieder gesund und munter sind!“ Sie hörte Stimmen im Hintergrund. „Dr. Rottloff ist außer Haus. Ich gebe Sie weiter an Dr. Lenk.“
In wenigen Sätzen war alles geklärt. Alma möge sich im Taxi zurück ins Hotel Liszt fahren lassen, dort wieder heimisch werden und vielleicht einen vorsichtigen Spaziergang machen oder für eine Weile ruhen. Am Nachmittag könne man in der Kanzlei Weiteres besprechen. Sie traue sich den Fußweg in die Lincolnstraße zu? Schön, dann erwarte man sie dort gegen sechzehn Uhr.
Nach dem Kofferpacken verabschiedete sich Alma von ihrer Zimmergenossin, nicht ohne den gegenseitigen Austausch von Telefon- und Handynummern und Sieglindes strenge Ermahnung, bei Schwierigkeiten sofort – und sie meine sofort – Moni oder Holger im Kiosk zu konsultieren oder sie, Sieglinde, im Krankenhaus anzurufen. Heute sei Donnerstag, möglicherweise könne Alma noch in dieser Woche das Juristische regeln – oder regeln lassen. Ansonsten träfe man sich dann am Samstagnachmittag zur Lagebesprechung, da hätte der Kiosk geschlossen, Treffpunkt halb drei am Torhaus.