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3.3 Die Reeskalation

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Der Krisenverlauf der Reeskalation beschreibt die Eskalation eines Konfliktes z. B. gerade wegen eines Dialogversuchs. Während in der idealtypischen Krise der Dialog eine konfliktreduzierende Wirkung entfaltet, ist es bei der Reeskalation überraschenderweise der umgekehrte Effekt ( Abb. 6). So kann dieser auftreten, wenn es während des Konfliktzenits zu einer autoritären und selbsterhebenden Gesprächsverweigerung von Seiten einer Konfliktpartei kommt oder frühzeitig eine Kompromisslosigkeit signalisiert wird. Setzt der Dialog zu spät ein oder werden die falschen Dialogformate eingesetzt, so besteht das Risiko, dass die Krise immer weiter bis zum Krisenzenit eskaliert wird. Reeskalation wurde als Bezeichnung dieses Krisenverlaufs gewählt, da er eine nochmalige Steigerung des Konfliktes, im Vergleich zum Konfliktzenit einer idealtypischen Krise, aufweist. In Kapitel 5 wird dieser Krisenverlaufstyp am Beispiel einer Dialogveranstaltung zur Unterbringung von Geflüchteten und einem Bürgerdialog der Partei Alternative für Deutschland untersucht ( Kap. 5).

Ebenso wie bei der Dauerkrise gleicht der Krisenverlauf der Reeskalation zu Beginn dem der idealtypischen Krise. Allerdings wird hier der vorläufige Konfliktzenit erreicht und das Konfliktpotenzial nimmt durch eine weitere Eskalation noch einmal zu, was eine Verschärfung der Situation bedeutet. Die Erklärung für dieses Phänomen ist folgende: Es schwelt ein Konflikt, der an Intensität langsam zunimmt. Um diesen zu beruhigen, lädt man alle Konfliktparteien zu einer Dialogveranstaltung ein, bei der der Konflikt nach Möglichkeit beigelegt werden soll. Allerdings treffen nun beide Konfliktparteien, die sich vorher möglicherweise aus dem Weg gegangen sind und nur indirekt miteinander kommuniziert haben, direkt aufeinander, was deren gegenseitige Abneigung weiter verstärkt. Durch emotionale Überschlagshandlungen werden weitere bisher unangesprochene Konflikte »scharf« gestellt und die Konfliktintensität steigert sich massiv. Der Dialog hat das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich bezwecken sollte, und es kommt zu einer »jetzt erst recht«-Stimmung auf beiden Seiten, die zu einer offenen Feindschaft aller Parteien führt. An dieser Stelle verstetigt sich der Protest und es treten verstärkt soziale Bewegungen und organisierte Protestgruppen auf, die sich auch überregional organisieren. Direkter Dialog zwischen den Konfliktparteien ist kaum mehr möglich und neue Formate sind eher vermittelnder und indirekter Natur, um überhaupt wieder eine gemeinsame Basis zu schaffen.


Abb. 6: Die Reeskalation (eigene Darstellung)

Bei der Reeskalation kommt Dialog an seine Grenzen, vor allem, wenn die Reeskalation erst aufgrund eines gescheiterten Dialogversuchs auftritt. Zudem geht mit diesem Krisenverlaufstyp das Risiko der gewaltsamen Konfliktaustragung einher, wodurch eine grundlegende Vorbedingung von Dialog verletzt wird. In diesem Falle sind neben den Konfliktparteien auch Sicherheitsbehörden am Prozess beteiligt, was eine Versöhnung noch weiter erschweren kann. Weiterhin sind der Organisationsgrad und die damit einhergehende Selbstreferentialität und Immunisierung gegenüber Argumenten anderer Konfliktparteien bei einer Reeskalation am höchsten. Eine Konfliktlösung überfordert damit zumeist lokale Akteur*innen und sollte daher auf verschiedenen politischen Ebenen zugleich und mit professioneller Unterstützung von außen gefunden werden.3

Gesellschaftliche Krisen und Proteste

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