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Kapitel 17
ОглавлениеAuch bei Tagesanbruch verspürte Etaila noch nicht die Absicht, sich aus dem Staub zu machen. Morgens hatte man ihr etwas zu Essen gebracht, eine Schale mit Suppe und ein Stück Brot, welches sie gierig verschlungen hatte, als wäre es das Letzte, das sie zu Lebzeiten vertilgen dürfte.
Sie schlenderte ohne Rüstung hinaus, grüßte ein kleineres Grüppchen von Frauen, die sie argwöhnisch aus den Augenwinkeln unter die Lupe nahmen. Man grüßte zurück. Beide Parteien wurden dadurch nicht sonderlich warm miteinander.
Vor einer Wiese mit Wildgras fand sie einen breit angelegten Brunnen.
Selbst in der Frühe waren die Temperaturen gestiegen. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu waschen, kannte allerdings nicht die Gepflogenheiten der Einwohner.
Sie zog einen vollen Eimer aus dem Schacht, zog ihr Hemd aus und schüttete Wasser über ihren blanken Oberkörper.
Sie hörte deutlich die Protestlaute wegen ihres unsittlichen Verhaltens.
Allerdings von der weiblichen Bewohnerschaft, nicht von der männlichen.
Nach dem Waschen zog sie sich an und genau in diesem Moment fiel ihr einer von zwei leeren Kübeln fast vor die Füße, er gehörte einem der jungen Bauern des Ortes.
„Ich heiße Rhodrin und Ihr seid neu hier, nehme ich an.“
Sie bejahte.
„Verzeiht meine Frage, aber sind alle aus dem Süden so freizügig wie Ihr?“
„Freizügig? Wascht Ihr Euch etwa angezogen? "
Der junge Mann verkniff sich ein Lächeln.
„Natürlich nicht, jedoch, machen wir das in unseren Unterkünften, nicht im Freien.“
„Und mein Volk bevorzugt jede Wasserstelle, die dafür geeignet ist.“
„Nun, wir sind da anders, und wenn Ihr nicht dem Getuschel unserer Frauen ausgesetzt werden wollt, solltet Ihr Euch lieber zurückhalten.“
„Ihr erteilt mir einen Rat, nehme ich an.“
„Einen freundlichen, vielleicht sieht man sich ja noch einmal.“
Sie verabschiedeten sich, denn in der Zwischenzeit hatte Rhodrin seine schwebenden Wasserkübel in den Brunnenschacht absteigen und gefüllt hinter sich herfliegen lassen. Seine Arbeit war erledigt und die Söldnerin umso mehr beeindruckt.
Magie konnte also auch zu etwas Nutze sein.
Sie kehrte in ihr vorläufiges Heim zurück.
Vor der Türschwelle zur Kate befanden sich abgenutzte Stufen, sie nahm darauf Platz und beobachtete am fortgeschrittenen Morgen den Dorfplatz und das, was dort vor sich ging.
Sie zählte neun Hütten, bei den meisten rauchte bereits der Schornstein. Die Leute bereiteten sich ihr Frühstück zu. Äußerlich war es ein ärmliches Dorf, wie es viele im Süden von Courant gab, keine geeignete Gegend, um Reichtümer aufzuhäufen. Man war froh, wenn der Weizen wuchs und kein Stamm der Frostbanninseln für Raubzüge einfiel.
Wenig entfernt bemerkte sie die Aufmerksamkeit von Tregardis. Er tat so, als achtete er auf ein paar frei umherlaufende Hühner. Ein mickriges Alibi, sie durchschaute seine wahre Absicht sofort. Vertrauen hatte bei den Dörflern strikte Grenzen. Sich einfach davonmachen, konnte sich die Söldnerin nicht erlauben. Der Thärde, so verstand sie, passte auf, dass sie nicht auf dumme Gedanken käme.
Und dann, kurze Zeit danach, rief Tregardis seinen einzigen Schüler herbei, noch am Tagesbeginn sollten sie sich im Schwertkampf üben.
Er holte die Holzschwerter herbei, welche der thärdische Soldat eigens dafür geschnitzt hatte. Und er musste nicht zweimal rufen, sein Lehrling, ein Mann nicht weit über zwanzig, konnte den täglichen Waffengang kaum erwarten. Etaila hörte eine gut gelaunte Begrüßung des Schülers, er nannte sich Sirul. Er trug eine saubere Lederrüstung und hielt seine Ausbildung für ein Abenteuer. Tregardis gab eine einsilbige Begrüßung zurück und gleich darauf begannen sie mit ihren Übungen, den immer gleichen Angriff und Abwehrbewegungen des Nahkampfes.
Etaila schaute gebannt zu und bemerkte, wie Tregardis seine Angriffsbewegung bewusst verlangsamte, damit Sirul überhaupt eine Chance hatte, sie abzuwehren.
Holzschneide knallte auf Holzschneide und der Schüler war sichtlich begeistert darüber, die Attacke des Meisters erfolgreich abgewehrt zu haben. Ein Hieb kam von links, Sirul parierte, der nächste schnellte von rechts heran und traf den gepolsterten Oberkörper. Der Schüler landete, von der Wucht des Schlags erfasst, im kniehohen Gras und musste lachen. Mit geübtem Blick erkannte Etaila, dass er noch am Anfang seiner Ausbildung stand. Seine Bewegungen wirkten hölzern wie plump und es fehlte ihm der nötige Ernst des Studiums.
Sein Lehrer half ihm auf, reichte ihm die Hand und nun war er an der Reihe, den erfahrenen Kämpfer anzugreifen. Ohne Mühe parierte Tregardis entweder die Schwerthiebe oder ließ sie ebenso geschickt in die Leere gehen.
Und selbst nach einer Stunde Plackerei strahlte Sirul weiterhin. Man sah ihm an, dass er genau dieser Tätigkeit nachgehen wollte, während Tregardis unbegeistert sein Wissen vermittelte oder es nur vorgab.
Der Junge wollte weitermachen, am liebsten den ganzen Tag, aber die Frauen der Gemeinschaft kamen herbei und protestierten, er solle lieber etwas Vernünftiges mit der Zeit anstellen, Feuerholz suchen und Unkraut jäten. Er murrte, konnte sich aber der Übermacht nicht erwehren und ging zu seiner Arbeit.
Etaila fragte sich, womit der Thärde sein Tageswerk bestritt.
Später schaute die Söldnerin bei den üblichen Arbeiten der Menschen zu. Ein alter Mann, vermutlich ein Schmied im Ruhestand, reparierte mit Zange und Hammer verbogene Eisenwerkzeuge, die dringend für die wenigen versackten Felder im Umland gebraucht wurden. Die Frauen der Siedlung, eindeutig in der Unterzahl, holten weiterhin Wasser aus dem einzigen tiefen Brunnen und versorgten damit die Böden. Eine große Anzahl jüngerer Burschen schoben Wache. Als Söldnerin erkannte sie sogleich, dass diese nur unzulänglich ausgerüstet und noch schlechter ausgebildet waren. Viele der Bewacher standen in Gruppen beisammen und beobachteten gelangweilt die Grenzen des Umlandes hinter den ersten Baumreihen.
Unter den Posten machte Etaila auch diejenigen aus, bei denen das Magicka durch rohe Zerstörung erwacht war.
Es gehörte zum normalen Anblick, dass bei etlichen, vor allem den Jüngeren, Gesicht und Oberkörper mit Brandwunden bedeckt waren.
Einige starrten vielleicht nur zu lange aufs Herdfeuer und so war dieses auf sie oder andere Objekte übergesprungen.
Gleiche Geschichten vom Erwachen der Ketzer hörte man selbst im Süden des Festlandes, und Etaila hatte nicht selten solchen Erzählungen am Lagerfeuer gelauscht und dachte nun mit Schrecken an den Wahrheitsgehalt der Legenden.
Sie schaute wieder auf den Wald, diese natürliche Grenze rund um die Siedlung der Gemeinschaft.
Dieser ruhige Forst mit wenig Wild wartete vor ihnen, weiter im Westen der unruhige Dyfro, der tosende Wellen gegen den nackten Felsen des Deltas warf. Dieses Gebiet war ihr schon eher bekannt.
Mit einem Boot war sie vor einigen Jahren bis zu einem Hafen mit anliegender Siedlung vor Sturmfels gelangt. Die Gegend rund um den Fluss hatte sie abgestoßen. Die Männer, wenn sie nicht zu betrunken dafür waren, belästigten sie genauso schamlos, wie sie in den Baracken der Bevölkerung Unmut verursachten.
Sie hatte sich bei einem Holzarbeiter, den sie begleitet hatte, auszahlen lassen und auf der Rückfahrt geschworen, dem Dyfro nie wieder weiter als bis hier zu folgen.
Selbst hier in der Siedlung von Ausgestoßenen war es besser als die paar Stunden Fußweg entfernt.
Doch der derzeitige Aufenthalt gefiel ihr nicht, egal wie sehr sie es mit anderen, noch mieseren, Zwischenstopps vergleichen wollte.
Es gab nichts Interessantes unter ihren Gastgebern zu entdecken. Sie konnte es kaum glauben, dass diese langweilig wirkenden Menschen zu jenen Magiewirkern gehörten, die der Orden geschworen hatte auszumerzen. War Venya, die Anführerin der Gemeinschaft, so geschickt, Fakten zu verschleiern oder sich als harmlos auszugeben?
Magusketzer, als Kind dachte man daran, diese Ausgestoßenen lauerten im Schatten, von Gefahr umgeben planten sie Aufstände und schulten sich in der Kunst des Feuerlegens.
Von dem Wasserholen und den Arbeiten auf den Gemüsebeeten und im Kräutergarten hatte ihr nie jemand erzählt.
Immer wieder betrachtete sie ihre Finger. Die Verbrennungen schmerzten längst nicht mehr. Ihre Fingerspitzen waren taub und ihr kam der folgende Gedanke fremd vor, dass sie nun selbst zu diesen Ketzern gehörte. Erging es allen diesen Verfluchten so, wurden sie über Nacht aus ihrem unbedeutenden Leben herausgerissen, damit sie sich zu Feinden der Kirche erklärten, ganz so, als zöge man einfach das falsche Los?
Sie brauchte Zeit, um sich zu fassen, Zeit, die bitter nötig war.
Unter der großen aufgegangenen Sonne, einige Schritte von ihr entfernt, stand eine betagte Bewohnerin.
Mit ihrem dürren Leib schaukelte sie benommen im aufkommenden Wind, die Frau wirkte abwesend.
Sie war ohne viel Aufsehen aufgetaucht. Sie hieß Zeliha, hatte eine Unzahl von Sommern und Wintern in der Wildnis verbracht und jedes einzelne Jahr war auf ihrem Gesicht eingezeichnet worden, wie auf einer Landkarte aus Leder.
Auf den ersten Blick konnte Etaila nur annehmen, dass sie den ältesten Menschen betrachtete, den sie jemals zuvor erblickt hatte. Die Greisin, die sich höflich mit ihren Namen vorgestellt hatte, stellte die einzige Person dar, die die Söldnerin als Neuankömmling scheinbar nicht völlig ignorierte. Sie starrte die Neue direkt an. Die Beobachtete versuchte, die Störung ebenso abzuschütteln wie die Überwachung des Thärden, und bedachte ihr Gegenüber mit stillschweigender Hinnahme. Doch nach einigen Minuten stand die Greisin ohne besondere Regung immer noch auf demselben Fleck und betrachtete die junge Frau genauso so interessiert, als gäbe es kaum eine andere Person weit und breit zum anglotzen. Nicht sehr lange und es wurde Etaila zu dumm, sie steigerte sich in Wut hinein und sprach es frei heraus.
„Habt Ihr keine bessere Beschäftigung für den Tag gefunden? Wenn Ihr etwas von mir wollt, sagt es gefälligst.“
Sie bekam keinerlei Antwort, nicht einmal eine Reaktion, die verständlich machte, dass Zeliha die Rüge überhaupt richtig aufgefasst hätte.
Sie wiederholte nur wieder ihren Namen, als kurze Vorstellung, das musste genügen.
Die Schwertkämpferin raunte und hatte vor, aufzustehen und in ihre Unterkunft zu verschwinden, als die Alte näher trat und mit einer brüchigen Stimme, die ganz zu ihrem Aussehen passte, begann, auf sie einzureden.
„Wartet, Ihr solltet mich nicht falsch verstehen, Ihr seid ein neues Gesicht und kennt die Marotten der verschrumpelten Zeliha leider nicht.“
„Das könnt Ihr laut sagen“, murmelte die Söldnerin mehr zu sich selbst gerichtet und blieb sitzen. Die Frau schlurfte heran und wirkte im kräftigen Spätsommerlicht des angebrochenen Tages noch einige Jahre älter. Etaila fragte sich, warum der Schnitter sie nicht bereits zu sich gerufen hatte, so verletzlich und kraftlos wirkte sie.
Unaufgefordert nahm Zeliha neben der jungen Frau Platz. Sie wischte sich eine weiße Strähne aus dem Gesicht und bestand darauf, stumm zu bleiben. Die Sonne brannte längst auf die Siedler herab und ermüdete diejenigen, die hart arbeiten mussten, um ihr tägliches Soll zu erfüllen. Die Neue kümmerte das wenig, denn sie gehörte nicht zu den Bauern, die Tag für Tag einem Fürsten unterstanden, und wollte es auch nicht. Sie war zu stolz dafür, zu stolz für niedere Tätigkeiten. Und dadurch, dass sie keiner aufforderte, beim Ernten und Pflegen der Felder zu helfen, dachte sie gar nicht daran, aufzustehen.
So blieben die beide einige Zeit schweigend nebeneinandersitzen, dann, mit einem Mal, wunderte sich Etaila, weil die Ältere anfing zu reden, plötzlich und wie ein Wasserfall.
„Ich erinnere mich genau, wie ich in derselben Krise steckte wie Ihr nun. Das ist länger her, als Ihr es Euch denken könnt. Ich war noch jünger, als Ihr es jetzt seid und verstand nicht, was mit mir passierte. So ist es mit der Jugend, sie ist mit Unverständnis geschlagen.“
Sie machte eine denkwürdige Pause, komplett so, als versuchte die Alte, die passenden Worte zu finden, dann gab sie es auf und redete, wie es ihr am besten gefiel.
„Manchmal, wenn ich jemanden aus meinem Dorf ansah, sah ich die Aura, die jeden Menschen umgibt. Ich konnte das Schicksal sehen - von Geburt an bis zum letzten Lebtag. Ich sah in sie alle hinein, meine Familie, auch viele Fremde, die zu Besuch erschienen, waren wie ein offenes Buch für mich. Nichts blieb verborgen und seit dem ersten Tag dieser magischen Katastrophe passierte es immer öfter. Ich verstand, dass es mich mein Leben lang begleiten würde. Ich wusste nur nicht, dass es so geraume Zeit dauern sollte.“
Etaila wünschte sich abermals, dass die Frau schweigen sollte, nickte aber nur stumm zu den Worten. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Tregardis, der sie wie ein überarbeiteter Gefängniswärter anstarrte. Sie hatte in ihrem Gewerbe genügend Söldner mit ähnlichen Charakterzügen kennengelernt und in Windeseile vergessen.
Mürrisch, gewalttätig, stur und sich nur auf seine Muskelberge verlassend, das waren Begriffe, die den Schlag von Menschen ausmachten, zu denen der Soldat auf jeden Fall gehören musste.
Sie mochte ihn nicht, schon die erste Begegnung war ungünstig verlaufen. Sie glaubte nicht, dass sich dieses Verhältnis verbessern würde.
Die Söldnerin ertappte sich dabei, wie ihr Interesse für das einseitige Gespräch immer mehr schwand. Sie hörte nicht zu und verspürte auch keinen Drang, der Alten zu sagen, dass ihre Lebensgeschichte jetzt fehl am Platz war.
Sie griff nur noch Satzfetzen auf. Eine ausgedehnte trostlose Geschichte folgte, geprägt von Verstoßung und wie sie diese Siedlung im halb verhungerten Zustand gefunden hatte und wie sicher die Leute sich hier fühlten, die dieses Gefühl schon lange nicht mehr gekannt hatten.
Die Söldnerin schaute mit müdem Blick auf.
Endlich war die Alte verschwunden, nach einer Verabschiedung hatte Zeliha sich davongeschlichen. Der Söldnerin war es erst spät aufgefallen. Was für eine Verschwendung von Zeit. Auf was wartete sie bloß? Warum tat sie sich das an? Sie nickte dem Thärden zu, welcher nicht reagierte, sondern unschuldig tat. Dann verschwand sie in der Hütte. Die Bewohner dieses Kaffs waren ihr gleichgültig.