Читать книгу Trugbild der Schatten - Helmut Aigner - Страница 27
Kapitel 22
ОглавлениеDer Boden unter ihren Füßen gab abrupt nach und in der Dunkelheit verloren beide, Söldnerin und Thärde, komplett den Halt.
Sie fielen lang und ungebremst eine Mulde hinab. Nach etlichen kostbaren Sekunden fand Etaila zuerst, dreckverkrustet, die Orientierung wieder. Ihr Schädel brummte wie ein Schwarm Hornissen, ihr rechter Arm blieb taub und von Abschürfungen überzogen, denn sie hatte ihn sich zum Schutz vors Gesicht gehalten. Sie zog Tregardis aus dem Matsch, in dem er mit dem Kopf und den Schultern voran steckte. Er sah auch nicht besser aus und die Söldnerin hatte Mühe, ihren Beschützer unter einer Dreckkruste zu erkennen.
Tregardis, der Kerl mit den scharfkantigen Zügen und dem kurz geschorenen dunklen Haar, schaute genauso ängstlich drein wie sie. Er mochte um die vierzig sein und mehr als doppelt so viele Schlachten wie sie erlebt haben, aber Alter schützte einen keineswegs vor der überkommenden Panik einer Flucht angesichts eines zahlenmäßig stark überlegenen Feindes. Trotzdem reagierte er blitzschnell und bewaffnete sich mit seinem Schwert, das er beim Sturz verloren hatte, doch nicht weit von ihm gefallen war.
Sie waren reichlich entfernt von irgendwelchen Pfaden, was die junge Frau erkannte, als sie sich umschaute.
Der Soldat drehte sich ebenfalls im Kreis. Keine Spur von Verfolgern, nur normale Geräusche von Wild. Die Schüsse waren abgeebbt und es gab keinen Laut von den Silbernen.
Sein Gespür für Gefahr bescherte ihm Herzrasen und ein Stechen hinter den Augen, eine nervöse Angewohnheit. Rechts von ihm lag eine Ebene aus Wiesen, Hügeln und offenen Forsten, sehr zugänglich, äußerst rasch zu durchqueren und fast ohne Probleme zum Aufholen für Verfolger. Kaum ein Punkt, um sich zu verbergen,- der direkte Weg also. Der Verstand des ehemaligen Soldaten arbeitete rasant für seine Art. Ihn zog es in die andere Richtung zu einem Feld, gesäumt mit Felsen und Brocken unterschiedlicher Größe, wo er Klüfte vermutete, hinter denen sie Deckung fänden.
Nach reichlicher Überlegung entschied Tregardis sich für den Umweg, der ihm verlässlicher erschien.
Er führte sie hinab in ein Geröllfeld und kletterte wenig später auf einen Block Granit, der hoch genug wirkte, um sich Überblick zu verschaffen. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte er helle, sich bewegende Punkte, die sich deutlich vom Hintergrund abhoben.
„Die Silbernen patrouillieren auf Pferden“, sagte er schlicht.
„Wie können wir denen entkommen? Haben sie uns bemerkt?“
Tregardis ließ sich einige grausame Sekunden Zeit für seine Antwort. Die Einheiten bewegten sich in Windeseile auseinander, überquerten und umrundeten die Ebene der Siedlung. Bisher konnte er nicht sagen, ob sie abzogen oder die Gegend genauer absuchten. Aber ihm erschien es so, dass weniger Soldaten den Umkreis durchstreiften, als noch vorhin beim Angriff im Dorf.
Der Trupp hatte sich getrennt, das Ablenkungsmanöver der Hexe hatte ihnen also genützt. Es mussten auch andere aus der Gemeinschaft entkommen sein. Möglicherweise hatte Venya es sogar geschafft und den übermächtigen Orden für einen Moment blind und lahm werden lassen.
Er musste endlich antworten. Seine Vermutung kundtun.
„Sie sehen uns nicht und sie bewegen sich auch nicht in unsere Richtung. Aber wir wissen nicht, wie viele von Sturmfels in das Dorf unterwegs sind oder ob uns die Silbernen den Weg abschneiden wollen.“
Das flüsterte er ihr zu, ohne den Blick von dem entfernten Ort mit den Reitern zu nehmen, die umher trabten.
„Sie hat gezaubert.“ Ihre Worte klangen ungläubig, denn sie konnte es kaum für möglich halten, was sie gesehen hatte.
„Wir müssen in die entgegengesetzte Richtung.“ Er sprach laut, mehr zu sich selbst, war beschäftigt mit Zweifeln. Etaila wiederholte ihre Aussage und der Soldat fühlte sich veranlasst, ihr zu erklären, was vor sich ging. Er schlitterte auf dem Hosenboden den Felsen herab, verlor keine Zeit, zog die Söldnerin mit und erzählte ihr knapp das Wichtigste.
„Es existieren nur wenige unter den Magiewirkern, die ihre Kräfte kontrollieren können, vier oder fünf sind mir bekannt. Doch die Drude ist eine von ihnen, die mächtig genug ist, die alte Magie zu beherrschen, die ihr heute gesehen habt. Das war der Plan: Falls das Dorf angegriffen wird, sollte ich Euch ins Hochlandlager führen. Das heißt, Coldwyn und ich, aber der ist nur ein Taschenspieler, jemand, der andere mit billigen Tricks beeindruckt. Er ist nicht hier, wie ich erwartet hatte, wenn es Ärger gibt. Ihr müsst Euch nun erst mal auf mich verlassen. "
Er schweifte ab und merkte es.
„Aber wir müssen fort, wir müssen das zweite Lager am Reifopass erreichen, hinter Mondave. Und dabei hoffe ich, dass viele aus unserer Gemeinschaft es dorthin schaffen werden.“
Beide zuckten fast gleichzeitig zusammen. Ein Schuss aus der Waffe, die sie heute kennengelernt hatte, knallte durch die Ebene. Sie konnte unmöglich sagen, ob man auf sie gezielt hatte oder auf andere Flüchtlinge. Zum Reden blieb also keine Zeit mehr.
„Dreht Euch um Himmelswillen nicht um! Diese Gewehre sind mir nicht neu, ich wusste nur nicht, dass selbst die Kirchenmänner sie nun mit sich führen. Auch aus großer Entfernung können sie tödlich sein und sie zerschmettern mit einem Treffer ganze Gliedmaße.“
Sie gingen gebückt voran, entfernten sich von den Felsblöcken. Etaila hörte einen zweiten Schuss nicht viel weiter weg von dem ersten. Es regnete knapp neben ihr Erdbrocken. Jetzt gab es die Bestätigung: Man zielte wirklich auf sie.
Sie vernahmen sowohl Rufe als auch wütende Stimmen und auf einmal glaubte Etaila sogar, ihren Namen gehört zu haben. Doch das wollte sie nicht wahrhaben.
Die Geröllbrocken wurden größer, je weiter sie nach Süden vorstießen, und boten so zumindest eine geringe Deckung, die die beiden, so gut es ging, ausnutzten.
„Sie wollen mich töten."
Es war eine bittere Erkenntnis für die Couranterin und außer einem ehemaligen Soldaten, dem sie noch bis vor wenigen Stunden nicht über den Weg trauen konnte, hatte sie niemanden an ihrer Seite. Während sie sich durch eine Ebene voller Geröll quälten und Tregardis nichts Besseres zu tun hatte, als ständig hinter seine Schulter zu schauen, bemerkte die Söldnerin einen dichten Gürtel aus Bäumen, dem sie sich näherten. Ein Wäldchen, das Schutz vor Blicken bot. Aber kurz bevor sie die Grenze dazu passierten, packte der Soldat erregt das Handgelenk von Etaila und zerrte sie erneut weg. Südlich an den Ausläufern der ersten Birken vorbei, also genau weg von der Deckung.
„So langsam nervt Ihr mich wirklich mit Eurem Gezerre!“
„Das ist Selbstmord“, antwortete Tregardis. „Die Silbernen erwarten, dass wir diesen Weg nehmen. Sie haben Pferde und werden uns auf der anderen Seite den Weg abschneiden. Wir müssen einen Pfad wählen, mit dem sie nicht rechnen, ein Ort, der gefährlicher zu passieren ist und den vernünftige Reisende meiden.“
„Aber woher wollt Ihr das wissen?“
„Vertraut mir, ich würde es an ihrer Stelle genauso machen, wenn ich jemanden fassen wollte. Es ist so leicht, uns mit Gewehren auf der anderen Seite abzuknallen.
Die Söldnerin schaute zu ihm auf und glaubte kurzzeitig, er habe den Verstand verloren, aber sie konnte keine Anzeichen für ihre Vermutung in seinem Gesicht ablesen.
Der Mann wirkte sogar gefasst, äußerlich ruhig, vielleicht hatte er sogar recht.
„Wo sollen wir lang?“, fragte sie so ängstlich, dass sie ihre eigene Stimme nicht wiedererkannte.
Und dann noch ein Schuss, der die Luft zerschnitt. Wieder einer und nicht einmal die Gewissheit, ob man auf sie gezielt hatte. Entweder waren sämtliche Schützen der Silbernen sehr schlecht in ihrer Disziplin oder sie gewannen ihre Kämpfe durch die Angst ihrer Feinde im Fernkampf.
„Ihr kennt doch sicher die besondere Gabe von Zyklopen und ihren entfernten Verwandten, den Kobolden oder?“
Seine scheinbar sinnlose Frage beschäftigte sie einige Sekunden, die er nutzte, um die Söldnerin in eine neue Richtung weiter südlich zu lotsen. Eine Region, die von einer natürlichen Felsformation eingeschlossen war, einer Bergwand. Ein perfekter Ort für eine Festung mit einem Wall zum Schutz hätte Etaila vermutet. Aber auf einer Anhöhe hinter den Felsen, die ringförmig verstaubten, befand sich weder eine Burg noch eine andere Befestigung. Nur nackte Erde. Es wurde ihr klar, was er als Antwort hören wollte.
„Sobald man ihnen ihre Sehkraft raubt, erhalten sie die Gabe, jede Art von Magie auszumachen. Sie sollen sie riechen können wie Hunde ihre Beute. So erzählte man es sich in Courant jedenfalls.“
Er wurde schneller, löste sich von ihrer Hand und nickte ihr zu, sie war fit genug, Schritt zu halten und bewies das auch deutlich.
„Richtig! Thetyr benutzte vor langer Zeit blinde Zyklopen in ihren Schlachten, um Magier schnellstens zu beseitigen. Noch heute führt jede größere Armee mindestens einen Kobold mit. Sie benutzen sie zur Kontrolle und der Durchsuchung von Menschenmassen. Venya wählte damals einen Ort, an den uns die Silbernen auf gar keinen Fall vermuten würden - sie ist gerissen: Einen Wald, der verdammt ist und die Grabstätte von Einäugigen nicht fern davon.“
Was auch immer er vorhatte, er geleitete sie weiter weg von dem verfluchten Wäldchen, und führte sie näher zu dem Grabmal im Zentrum heran.
„Ich hoffe wirklich, dass dieser Ort mittlerweile verlassen ist, wenn nicht, haben wir ein ebenso großes Problem am Arsch wie außerhalb mit den Ordensleuten.“
Tregardis klang nicht sehr mutig.