Читать книгу Trugbild der Schatten - Helmut Aigner - Страница 31
Kapitel 26
ОглавлениеAm Ende des Pfades hatte sie den höchsten Winkel der Erhebung erreicht. Die Aussicht war von einem Geflecht aus Laub eingerahmt, wild gewachsenes Grün krönte den Hügel. Dazwischen sah Etaila vereinzelt das Glimmen einzelner Punkte. Der Magier konnte weitersehen und nahm die Grundrisse dunkler, schiefer Mauern wahr, die Bestandteil von Sturmfels, der Festungsstadt, waren. Sie war durch Übersee-Handel zu einem einzigen großen befestigten Hafen aufgestiegen. Die Lichter gehörten zu Fackeln und Laternen. Eine gewaltige Menschenmenge hatte sich vor den Toren versammelt und hoffte auf Einlass. Der Ankerplatz, die Wohnbezirke, die Tempel, einfach alles, was den Bewohnern vor noch einem Tag zugänglich gewesen war, war nun abgeriegelt. Selbst die in der Gruppe, deren Sehkraft nicht so weit ausreichte, konnten ahnen, dass die Silbernen die Stadt fest in ihrer Hand hatten. Vor einem Durchgang, der links und rechts mit Wehrtürmen gesichert blieb, überprüfte ein nervöser Trupp der Stadtwache jeden Besucher.
Verzweifelt schaute Etaila auf die Burg hinab, sah den Hafen und die Schiffe, die auf und absteigend vor Anker lagen. Sie wünschte sich in einen Bauch der Boote hinein, wenn der Kahn auch noch so morsch gewesen wäre.
Um Höflichkeit bemüht, half der Magier der Söldnerin vom Pferd abzusteigen und jagte es mit einem gut gezielten Klaps auf den Hintern davon.
„Können es jetzt leider nicht mehr gebrauchen, fürchte ich.“
„Ihr hättet uns Euren Plan früher mitteilen sollen, das heißt, wenn Ihr einen habt“, sagte der Thärde, der auf den unteren Stadtteil starrte.
Die Schlange der Wartenden begann auf der Höhe einer naturbelassenen Mole. Jede Sorte von Besuchern war darunter vertreten. Von einfachen Händlern über den Bettler, der sich nach Verstellung bemühte, bis zum Söldner, wie sie von Etailas Schlag waren, plump bewaffnet, loyalitätslos und allezeit pleite. Dazu gesellten sich reiche Stadtbewohner, die wie die anderen auf Durchlass hofften. Das war eine der wenigen Momente von Gleichheit der unterschiedlichen Klassen der freien Städte, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind wurde gleich schlecht behandelt.
Und zu beiden Seiten der Menge überwachten die Silbernen jeglichen Schritt jedes Einzelnen, auf und ab galoppierend, ihre kuriosen Schusswaffen ohne Unterlass griffbereit. Alles, wirklich alles war abgeriegelt.
Die Söldnerin konnte schwören, dass sie von diesen seltsamen, stangenartigen Waffen noch nie ein Wort, ein Gerücht vernommen hatte, und jetzt sah sie so viele davon. Und selbst in der Ferne, immer mehr von Dunkelheit durchwirkt, sah man vom Abhang hinab diese hohe Zahl an Lichtpunkten, Fackeln, die von der Stadtwache und ihren Knechten aufgestellt waren. Die Nacht brach heran, doch wirklich jeder, der auf Einlass Hoffenden sollte überprüft werden.
„Mein Plan ist so einfach, dass ich Euch nicht lange damit aufhalte. Wir folgen dem Pfad hinunter bis ans Ufer und stellen uns zu den Wartenden. Ich verlange eine Menge Geduld. Aber in maximal zwei Stunden sind wir durch die Kontrolle gelangt. Im Anschluss daran nehmen wir uns ein Schiff, die Fahrt strecke ich mit meinem Geld vor. Wir werden in Mondave vor Anker gehen, was übrigens meine Heimatstadt ist. Von dort aus geleite ich Euch zu einer Kontaktperson, die uns zusammen in das Lager der Magier führt. Mein Freund kennt Schleichwege quer über die Berge, wir umgehen den Reifopass. Dann seid Ihr in Sicherheit, in weniger als zwei Tagen, wenn alles gut geht.“
Der Rotschopf lächelte sie an und entblößte dabei gesunde Zähne. Ein Ding der Seltenheit in diesen Zeiten, denn nur Reiche konnten sich Mundhygiene leisten und mussten die Werkzeuge und jene, die damit Umgang hatten, teuer bezahlen.
„Ich kann es nicht versprechen, doch ich glaube, dass ich Euch lebend und bei Kräften zu Venya geleiten werde.“
Etaila erwiderte sein Lächeln keinesfalls und dachte nicht an einen Dank, weder für Tregardis noch für den fremden Magier. Vor nicht allzu vielen Tagen war ihr Leben zwar nicht ungefährlich, aber auch nicht eine solche Anhäufung von Gewalt, Tod und Flucht gewesen. Vor allem musste sie sich daran gewöhnen, davonzulaufen. So oft war sie nie zuvor davongerannt, das musste sie bisher nicht.
Mit verschränkten Armen stand der thärdische Soldat vor Coldwyn, man konnte gut erkennen, dass die beiden keine guten Freunde auf der Reise werden sollten.
„Und wie stellt Ihr Euch vor, sollen wir an den Ordensrittern vorbeikommen? Die haben eine genaue Beschreibung von ihr und wahrscheinlich ebenfalls von mir. Um eine vernünftige Verkleidung aufzutreiben, fehlen uns jetzt die Mittel nehme ich an.“
„Das sehe ich auch so“, gab Coldwyn bissig zurück. Er wollte sich keinesfalls von dem älteren Soldaten provozieren lassen. Seine Miene blieb kalt und abweisend.
„Ich habe eine bessere Idee als eine Maskerade aus Stoff und Faden.“
„Und das wäre?“
Der Magier zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Soldaten, welcher sofort das Verlangen verspürte, an sich hinabzuschauen, und seinen Sinnen nicht mehr traute.
In einem winzigen Augenblick musste er feststellen, wie ihm eine riesige Wampe vor dem Hosenbund wuchs. Seine muskulösen Arme verwandelten sich im Nu in schwabbeliges, untrainiertes Fett. Seine Kleidung wurde bunter von Farben übersättigt. Er trug das Gewand eines fahrenden Händlers und konnte sich kaum eines Ansturms an Panik erwehren. Nur absolute Selbstdisziplin verhinderte, dass er den Magier aus voller Kehle anschrie.
„Keine Sorge, das ist bloß ein Trugbild und bleibt nicht von Dauer und Ihr seid nicht der Einzige, dem das widerfahren ist.“
Der Thärde schaute nach rechts und sah eine ältere, schwarzhaarige Frau mit krummem Rücken, in schmutzige Kleidung gehüllt. Seine Begleitung war mit verfilzter Frisur und schiefer Nase unter zerfurchter Stirn nicht wirklich ein schöner Anblick. Sie trug einen Korb, der über den Schultern festgebunden war, gefüllt mit Kleinkram von niederer Qualität. Jetzt waren sie genau die Reisenden, die durch Dörfer und kleine Siedlungen zogen, um Schnüre, Gürtelschnallen oder Knöpfe loszuwerden. Die Menschen, die am wenigsten Probleme bereiteten und die eine Stadtwache als notwendiges Übel ansah und meistens passieren ließ.
Und auch ohne viel Mühe davonjagte.
„Ihr müsst zugeben, hätte ich Euch schöner aussehen lassen, wärt Ihr zu auffällig für die silberne Garde und wir dürften uns einem Verhör stellen. So aber werden sie uns bestimmt unbeschadet Einlass gewähren.“
„Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich Euch hasse.“
Er starrte dem Magier direkt in sein unverändertes Ebenbild und war leider dazu gezwungen anzuerkennen, dass der Plan der beste war, den sie momentan hatten. Und Etaila musste das Land verlassen. Wenn er von Coldwyn auch nicht viel hielt, unterstützte er ihn doch dabei, die Frau zum Reifopass zu führen.
„Oh doch, ich kann mir gut vorstellen, wie sehr Ihr mich verachtet. Ich habe den Ruf eines Trunkenbolds und Frauenhelden und es gefällt Euch nicht, dass so jemand in Notzeiten Verantwortung trägt. Aber nun muss es so sein.“
„Vorerst Coldwyn, nur für eine gewisse Zeit“, sagte Tregardis nicht sonderlich überzeugt von dem, was er erzählte. Und sie schritten weiter den Abhang hinab, während der Thärde sich erst mal an die auffällige magische Aura gewöhnen musste. Er konnte kaum das Gleichgewicht halten und ging in Schlangenlinien hin und her wankend den Pass entlang.
Coldwyn unterdrückte mit viel Mühe ein böses Lachen.
Doch als der beleibte Thärde ins Wanken geriet, stolperte und ungebremst in eine Pfütze fiel, prustete ein warmes Gelächter nur so aus ihm heraus.
Das dauerte so lange, bis ihn ein dickliches Gesicht, ihm zugewandt, böse ermahnte, damit aufzuhören.