Читать книгу Letzter Weckruf für Europa - Helmut Brandstätter - Страница 13

Die Illusion der falschen Bedrohungen

Оглавление

„Ein Europa, das schützt“ war die gefällige Losung, als Österreich am 1. Juli 2018 den Ratsvorsitz der EU übernahm. Die damalige türkis-blaue Regierung mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) war gerade mal ein halbes Jahr im Amt, die beiden Parteien waren sich in der Öffentlichkeit in allen Fragen einig. Nach vielen Jahren, in denen die große Koalition aus SPÖ und ÖVP den permanenten Konflikt lebte, war der Slogan „Nicht streiten“ schon ein kleines Erfolgsrezept. Der Ibiza-Skandal brachte dieser Koalition im Mai 2019 das frühe Ende. Heftige Nachwirkungen spürt das Land nun im Ibiza-Untersuchungsausschuss, in dem es um möglicherweise käufliche Gesetze und fragwürdige Postenvergaben geht. Bis zur Sommerpause hat der Ausschuss des Parlaments jedenfalls einige Fälle von Postenschacher und noch mehr Erinnerungslücken bei führenden Politikern hervorgebracht.

Für Kurz und Strache war die Parole vom „schützenden Europa“ ein deutlicher Hinweis auf ihre Politik der geschlossenen Grenzen der Europäischen Union nach außen und, wenn aus ihrer Sicht notwendig, auch innerhalb der EU. Vor allem sollte signalisiert werden: Wir schützen euch vor Flüchtlingen und überhaupt Zuwanderern aller Art. In den offiziellen Verlautbarungen wurde das noch mit anderen Themen verbunden. So hieß die Zusammenfassung des Programms „Ein Europa, das schützt“ auf der Website www.eu2018.at:

„Der Zugang, den Österreich wählen wird, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Verstärkung des Subsidiaritätsprinzips. Die Europäische Union soll auf die großen Fragen fokussieren, die einer gemeinsamen Lösung bedürfen, und sich in kleinen Fragen zurücknehmen, in denen die Mitgliedstaaten oder Regionen selbst besser entscheiden können. Dadurch soll dem Motto der EU 'In Vielfalt geeint' Rechnung getragen werden. In diesem Sinne wird der österreichische Ratsvorsitz die effektive Schutzfunktion der EU insbesondere in drei Schwerpunktbereichen in den Vordergrund stellen:

•Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration,

•Sicherung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung,

•Stabilität in der Nachbarschaft – Heranführung des Westbalkan/Südosteuropas an die EU.“

Das klang damals alles recht gut, aber zwei Jahre später, in der Corona-Krise, wurde klar, wie sehr die EU auf große Herausforderungen eben nicht vorbereitet war. Zum Teil, weil die Nationalstaaten etwa im Bereich der Gesundheit über die wesentlichen Kompetenzen verfügen, weiters weil die EU und die einzelnen Staaten viel zu wenig dafür taten, dass die im Programm angesprochenen Regionen über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg kooperieren, etwa durch gemeinsame Vorsorge für den Fall einer Pandemie. Auch im Bereich der Digitalisierung gab es keine wirklichen Anstrengungen, wodurch ein Informationssystem hätte aufgezogen werden können, und schließlich wurden in der Corona-Krise zunächst die künftigen Beitrittsländer am Balkan vergessen, was sich längerfristig rächen wird, etwa durch einen noch stärkeren Einfluss Chinas. Die Regierung in Peking bemühte sich etwa ganz ostentativ um Serbien und andere Balkanstaaten.

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić rief Mitte März 2020 bei einer Pressekonferenz: „Es gibt keine Solidarität Europas. Nur China kann uns helfen.“ Vučić erklärte, er habe keine medizinische Ausrüstung von EU-Ländern bekommen, deshalb habe er einen Brief an den chinesischen Staatschef Xi Jinping geschrieben, den er als „Freund und Bruder“ ansprach. Die Lieferung chinesischer Hilfsgüter wurde in Belgrad als großes Fest der Völkerverbindung inszeniert. Kurz darauf schickte die EU-Kommission Ende März 38 Millionen Euro zur Unterstützung an die sechs Balkanstaaten. Die Bevölkerung erfuhr leider nur wenig von dieser Hilfe, da diese nicht in das Konzept der Regierungen passte und die EU-Kommission in ihrer Kommunikation viel zu zurückhaltend auftritt.

Aber zurück zum Programm der österreichischen Präsidentschaft von 2018. Es bestand also aus großen Worten und wenig Umsetzung – das war nicht unbedingt nur die Schuld der Wiener Regierung, sondern ein grundsätzliches Problem der komplizierten Organisation der EU, wo jeder Mitgliedstaat den Vorsitz ein halbes Jahr lang innehat und während dieser Zeitspanne wenig bewegen, aber für Propaganda verwenden kann. Und zwar für nationale Propaganda, versteht sich, nicht für ein geeintes Europa.

Letzter Weckruf für Europa

Подняться наверх