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Osteuropa:
Rückfall in autoritäre Zeiten
ОглавлениеIn den Staaten des früheren Ostblocks schien es nach dem Fall der Mauer und der Beseitigung des Eisernen Vorhangs wirklich so, als würden dort Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte verankert werden sowie das Prinzip des Wohlfahrtsstaats, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg überall in Westeuropa entwickelt hatte. Immerhin hatten sich einige Völker ihre Freiheit gegen die lokalen kommunistischen Diktatoren, die mit den sowjetischen Panzern im Hintergrund herrschten, erkämpft, in einem zum Teil jahrzehntelangen Prozess.
Die Ungarn hatten sich schon 1956 gegen die sowjetischen Besatzer gewehrt, Tschechen und Slowaken 1968. Vergeblich. Im Jahr 1980 wurde der 37-jährige Elektriker Lech Wałęsa in Danzig Chef der neuen Gewerkschaftsbewegung Solidarność. Dort agierten endlich keine angeblichen Arbeiterführer mehr, die nur dem Staat und ihrer Ideologie dienen wollten, sondern echte Gewerkschafter, die für ihre Kolleginnen und Kollegen eintraten, auch mit Streiks. Das hatte Wałęsa schon zehn Jahre davor versucht und war deshalb verhaftet worden. Nun wurde er zum weltweiten Helden, den auch Kriegsrecht und Hausarrest nicht mundtot machen konnten. Neun Jahre später, im Sommer 1989, machte Wałęsa – in noch nicht wirklich freien Wahlen – den Christdemokraten Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Auch andere Völker, die seit dem Krieg von sowjetischen Panzern beherrscht waren, lehnten sich auf. Am 7. Oktober 1989 beobachte ich in Ost-Berlin die offiziellen Feiern zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR, der Deutschen Demokratischen Republik. Unweit des Alexanderplatzes war eine riesige Tribüne aufgebaut, von wo aus der damals 77-jährige Staatschef Erich Honecker gemeinsam mit den anderen überwiegend greisen Mitgliedern des Politbüros und dem vergleichsweise jugendlichen sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow die Militärparade beobachtete. Auf der ehemaligen Stalinallee, die seit Herbst 1961 Karl-Marx-Allee hieß, demonstrierten Panzer sowjetischer Bauart die Macht des Militärs im „Arbeiter- und Bauernstaat“, tausende Soldaten marschierten im Stechschritt nach dem Vorbild preußischer Exerzierregimenter an den kommunistischen Führern vorbei. Ich stand ganz vorne, nahe dem Alexanderplatz, von wo auch viele Ost-Berliner die Szene mitverfolgten. Da trat ein DDR-Bürger einen Schritt nach vorne, an einen abgesperrten Bereich heran. Ein Volkspolizist wies ihn rüde an, wieder auf den Gehsteig zurückzugehen. Der Mann sah den Uniformierten an und fragte: „Warum?“ Das war eine Revolution im Kleinen, der Polizist schaute verwundert und drehte sich um. Als ob er geahnt hätte, dass das Geschehen nur mehr der letzte Akt einer schlechten Show war, die verzweifelte Farce einer Führung, die nur mehr wenige Wochen existieren würde.
In diesem Herbst des Jahres 1989 veränderte sich ganz Europa. Östlich des Eisernen Vorhangs ganz radikal, im Westen zunächst unbemerkt. Mauer und Stacheldraht hatten auch dazu geführt, dass viele Menschen im Westen nur wenig über das Leben jenseits der Todesstreifen wussten. Am Balkan machten sich die ersten Vorboten nationaler Konflikte bemerkbar, die in blutige Kriege münden sollten. Und es ging alles sehr schnell: in Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, der ČSSR – die Tschechoslowakische Sozialistische Republik der Tschechen und Slowaken –, Estland, Lettland, Litauen.
Bereits am 10. November 1989, einen Tag nach Öffnung der Berliner Mauer, musste Todor Schiwkow als Generalsekretär der kommunistischen Partei Bulgariens zurücktreten. Er war seit 1954 im Amt gewesen. In Rumänien wollte Nicolae Ceaușescu beweisen, dass er sich zurecht Titel wie „das Genie der Karpaten“ oder „Sohn der Sonne“ verliehen hatte und glaubte, mit Hilfe des Geheimdienstes Securitate den Sturm der Demokratisierung des Ostens zu überleben. Nach kurzem Prozess wurden der Diktator und seine Frau Elena, laut Propaganda eine „Gelehrte von Weltruhm“, am 25. Dezember 1989 standrechtlich erschossen. Fotos und Videos sollten den Tod der beiden beweisen. In Ungarn fanden am 25. März 1990 die ersten freien Wahlen statt, Regierungschef wurde der Christdemokrat Joszef Antall. In Estland erklärte der Oberste Rat der Estnischen Sowjetischen Sozialistischen Republik unter dem Vorsitzenden Arnold Rüütel ausgerechnet am 8. Mai 1990, 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, seine erneute Souveränität von der Sowjetunion. Ab sofort nannte sich das Land Republik Estland, eine Bezeichnung, die 1991 zusammen mit den ebenfalls wieder unabhängigen Ländern Litauen und Lettland durchgesetzt wurde.
In Mittel- und Osteuropa waren die nationalen Zusammensetzungen und Grenzen weitgehend unbestritten, nur Tschechen und Slowaken gründeten am 1. Jänner 1993 ihre eigenen Staaten, nachdem sie sich zuvor mit einer Föderation geplagt hatten.