Читать книгу Letzter Weckruf für Europa - Helmut Brandstätter - Страница 26
Die Werte der Union klingen wunderbar
ОглавлениеDie Konflikte, die vor der Corona-Krise virulent geworden waren, lassen sich aber nicht mit Geld allein beseitigen, denn es geht plötzlich um das Wertefundament Europas. Werte? Sind sich alle Regierungen einig darüber, auf welchen Fundamenten Europa nach den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts errichtet wurde? Theoretisch vielleicht, aber die national befeuerten Emotionen, aus denen wieder ein völkischer Furor werden könnte, spielen eine immer größere Rolle. Dabei haben alle Länder, die später in mehreren Wellen der Europäischen Union beigetreten sind, den Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Mit diesem haben im Februar 1992 die zwölf damaligen Mitglieder Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Großbritannien die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur Europäischen Union weiterentwickelt. Und zwar mit vielen Werten, Grundsätzen und sich daraus ergebenden Verpflichtungen. Die Länder erklärten in Maastricht, eine Europäische Union zu gründen, und zwar
ENTSCHLOSSEN, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben,
EINGEDENK der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen,
IN BESTÄTIGUNG ihres Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit,
IN DEM WUNSCH, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken,
IN DEM WUNSCH, Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken, damit diese in die Lage versetzt werden, die ihnen übertragenen Aufgaben in einem einheitlichen institutionellen Rahmen besser wahrzunehmen,
ENTSCHLOSSEN, die Stärkung und die Konvergenz ihrer Volkswirtschaften herbeizuführen und eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, die im Einklang mit diesem Vertrag eine einheitliche, stabile Währung einschließt,
IN DEM FESTEN WILLEN, im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker zu fördern und Politiken zu verfolgen, die gewährleisten, dass Fortschritte bei der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebieten einhergehen,
ENTSCHLOSSEN, eine gemeinsame Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen ihrer Länder einzuführen,
ENTSCHLOSSEN, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verfolgen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte, und so die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern,
IN BEKRÄFTIGUNG ihres Ziels, die Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger durch die Einfügung von Bestimmungen über Justiz und Inneres in diesen Vertrag zu fördern,
ENTSCHLOSSEN, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen,
IM HINBLICK auf weitere Schritte, die getan werden müssen, um die europäische Integration voranzutreiben.
Man muss diese Präambel mehrfach und genau lesen, da sie sehr differenziert formuliert ist. Entschlossen waren die Unterzeichner bei der Gründung einer Wirtschafts- und Währungsunion mit einer „stabilen Währung“, bei der „Unionsbürgerschaft“, dem „Subsidiaritätsprinzip“ und einer „gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“. Eine „gemeinsame Verteidigung“ wurde schon unter Vorbehalt genommen, dazu „könnte“ es kommen. Wobei der Nutzen einer gemeinsamen Verteidigung klar beschrieben wird: „Die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern.“ Das sollten wir tun, aber davon sind wir weit entfernt. So sind wesentliche Fortschritte, die für die EU überlebenswichtig sind, nur mit der Formulierung „in dem Wunsch“ eingeleitet: „Solidarität zwischen den Völkern unter Achtung der Kultur und der Geschichte“ sowie der „Ausbau der Demokratie“.
Immerhin, im Vertrag von Maastricht geht es nicht mehr nur um einen gemeinsamen Markt, um den Abbau von Zöllen oder Bewegungsfreiheit. Nein, hier werden die Grundlagen des Zusammenlebens für alle Bürgerinnen und Bürger genannt, wenn schon nicht in einem Staat, so doch in einer „Union der Völker Europas“: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und die Angleichung der Volkswirtschaften sind mehr als nur ein Ziel, diese Werte sind das Motto für ein grenzenloses Leben und Arbeiten. Außerdem wird die Achtung der unterschiedlichen Geschichte der Völker und die Stärkung der Kultur und der Traditionen proklamiert. Und schließlich ist der Vertrag von Maastricht auch die Grundlage für die Einführung einer gemeinsamen Währung, die auf der gemeinsamen Verpflichtung von Höchstgrenzen für die Defizite und die Verschuldung der Staaten beruhen soll.