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Rückfall in den Nationalismus
ОглавлениеAber zurück zur Befreiung der Jahre 1989/1990, zu dieser friedlichen Revolution: Unsere östlichen Nachbarn mussten nach der Teilung Europas allzu lange auf der stalinistischen, und nach Stalins Tod auf der sowjetischen Seite der Geschichte leben. Und sie haben sich auf unterschiedliche Weise vom Joch der Unterdrückung, von Einparteiendiktatur, Misswirtschaft und Funktionärsmissbrauch befreit. Das war und ist eine historische Leistung, für die wir sie bewundern müssen. Aber warum erleben wir dort seit einigen Jahren den Rückfall in den Nationalismus? Das Phänomen ist überall zu beobachten, und es gibt dazu inzwischen unterschiedliche Erklärungsversuche, die darauf gründen, dass wir mitten in einer technologischen und gesellschaftspolitischen Entwicklung stehen, die weit über Europa hinausgeht. Das ist schon ein Teil der Erklärung: Diese vielfältigen Veränderungen machen Angst. Da liegt der Rückzug in das Vertraute, und das ist auf verführerische und trügerische Weise auch die Nation, durchaus nahe.
Heute, 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und nachdem die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) den ewigen Frieden ausgerufen hat, leben wir plötzlich wieder mitten in einem nationalistischen Gepolter, das sich durch ganz Europa bis in kleine Regionen zieht. Der Ton wird lauter und aggressiver. Institutionen, die für das Gemeinsame stehen, wie die Europäische Union, werden von den Rechten diffamiert. Selbst gemäßigte Politiker gehen auf Distanz zur EU, um bei nationalen Wahlen zu punkten. Wird aus Nationalismus wieder Chauvinismus, die Verachtung der anderen? Da werden wir sehr genau hinschauen und hinhören müssen.