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Er und die zwei Kleinen

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Seit seine Frau ihn verlassen hatte, konnte er Frauen nur in kleinen Portionen vertragen. Sie war klein, und all das Kleine an ihr erfüllte ihn mit schmerzendem Entzücken: die orangenkleinen Brüste, die ihr immer makellos weißes T-Shirt ausbuchteten, ihre mit den Händen zu umspannende Taille, ihre zarten und doch prallen Schenkel in den enganliegenden Jeans, die sie stets trug, ihr sicher sehr fester Po, den er am liebsten in seine Hand genommen hätte, ihre graugrünen Augen, ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar, der zu all dem Kleinen erregend kontrastierende große Mund mit den wiederum sehr kleinen perlweißen Zähnen. Er war Ende vierzig und sie fünfundzwanzig, und sie hatte eine Tochter von acht oder neun Jahren, die natürlich noch viel kleiner und entzückender war, und wenn er in seiner Phantasie mit den beiden sonntags im Park spazieren ging, hielten die ehrbaren Bürger, denen sie begegneten, die drei für Vater, Tochter und Enkelin. Sie drehten sich oft nach ihnen um und bedachten sie mit wohlwollenden Blicken, denn sie ahnten nichts von der frivolen Maßlosigkeit seiner Gedanken und Absichten, die so alles andere waren als väterlich oder gar großväterlich.

Zu ihrem letzten Geburtstag hatte er ihr einen Blumenstrauß geschickt, fast so groß wie sie selbst; keine roten Rosen – davor hatte er sich gehütet –, sondern ein buntes Wirrwarr von Astern, Nelken, Lilien, Hyazinthen und Feldblumen, das dem Durcheinander seiner Gefühle entsprach. Daß Liebe dabei war, hoffte und fürchtete er mit gleicher Inbrunst: Er empfand ihr gegenüber neben oder verwoben mit seinen überaus männlichen Wünschen einen qualvollen Drang, zärtlich mit ihr zu sein, ein fast körperlich schmerzendes Verlangen, sie in seinen Händen zu bergen wie einen kleinen Vogel, sie zu streicheln und nichts als das. Daß er es bis jetzt nicht getan hatte, lag teils daran, daß ihm dieses Gefühl so wertvoll war und er es deshalb hütete wie einen Schatz, den zu heben zugleich bedeuten konnte, ihn zu zerstören; zum anderen erfüllte ihn eine erklärliche Scheu, sich vor ihr und aller Welt grauenhaft lächerlich zu machen, die er vor allem vor dem Spiegel empfand, wenn er darin einen älteren Herrn mit Bauch und kleiner Glatze sah: Sie mochte eine Cleopatra sein, aber er war kein Cäsar.

Was diesen schwebend unentschiedenen Zustand noch unerträglicher machte, war, daß er die Gefährdetheit seiner Position ständig auf entsetzliche Weise vor Augen hatte: Er hegte mörderischen Haß gegenüber jungen Männern mit braungebrannten Armen und Beinen in weißen Tennisdresses oder hinter den Lenkrädern von Sportcoupés, denn er bemerkte sehr wohl, wie sie sie begehrlich anschauten und wie sie ihren Blicken, um ihm nicht wehzutun, mit rührender Rücksicht auswich.

Solche Empfindungen und Gedanken erfüllten ihn unaufhörlich – auch als er jetzt, in seiner Phantasie, wie an jedem Sonntag, mit ihr und der noch Kleineren das Gartenlokal betrat, um die beiden mit Kaffee und Torte und Eis und Schlagsahne zu bewirten. Sie fanden einen Tisch für sich allein, und nachdem er bei dem Kellner seine umfängliche Bestellung aufgegeben hatte, war der Tisch bald voller Teller, Tassen und Schüsseln. Fürsorglich schenkte er beiden Damen Kaffee ein. Während diese sich über die aufgetragenen Süßigkeiten hermachten, hielt er sich wie immer wegen seines Bauchs zurück und sah sich in dem Lokal um. Da waren wie an jedem Sonntagnachmittag die älteren Damen, die flüsternd die Köpfe zusammensteckten und freundlich zu ihnen herüberschauten, da waren die stumm aneinander vorbeisehenden Ehepaare, bei denen die Männer hin und wieder einen Blick auf das neben ihm sitzende Märchenmädchen riskierten – und da war auch schon er: der junge Mann, braun und blond, der sie unentwegt anstarrte, ja der die unerhörte Kühnheit besaß, in völliger Ignoranz seiner Anwesenheit den Stuhl so zu rücken, daß er sie noch besser ins Auge fassen konnte, ein Laffe, ein Fatzke, ein unglaublicher Widerling, den er …

Er war nahe daran, aufzuspringen, hinüberzustürzen, den frech glotzenden Jüngling hochzureißen, ihn ins Gesicht zu schlagen – da spürte er, wie sich in den kleinen Finger seiner auf dem Tisch liegenden Hand ein noch kleinerer kleiner Finger hakte, darum schlang, und dann schob sich eine kleine Hand über die seine und drückte sie zärtlich, und als er sich zu ihr wandte und sie ungläubig anschaute, sah er, daß sie hinüberblickte zu dem Laffen, dem jungen, dem Fatzke, dem Widerling, und dann streckte sie aus dem geliebten großen Mund die umwerfend entzückende kleine Zunge hervor und zeigte sie dem jungen Kerl da drüben, der erbleichte und sich hinter seinen Tisch duckte, als wolle er sich verstecken.

Eine rote Woge schoß in ihm hoch, durchflutete ihn bis in die Zehenspitzen und Haarwurzeln, und ihm wurde einen Moment schwindlig. Taumelnd sprang er auf, warf einen Fünfzigmarkschein auf den Tisch, packte zuerst die eine und dann die andere Kleine, klemmte die eine unter den rechten und die andere unter den linken Arm und rannte unter den fassungslosen Blicken der älteren Damen und der Ehepaare und des herbeieilenden Kellners aus dem Gartenlokal und die Parkallee hinunter.

Graugrün und Kastanienbraun. Aufzeichnungen eines Neurotikers

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