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»Heimweh sucht Utopia …«

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Dieser Titel richtet die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Gestern und Übermorgen, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen Heimat und Neuland, zwischen Materie und Idee und damit zwischen der gelebten Realität und der ersehnten Vorstellung. Und dieser Titel beschreibt zugleich die Bewegung vom dauernden Sehnen und Suchen nach dem Guten und Gerechten im gleichsam paradiesisch idealen Zusammensein von Menschen einer Gesellschaft, eines Staates.

»Heimweh« sehnt sich nach dem vertrauten, weil bereits bekannten Gestern, das »Suchen« verläuft aktiv im Heute und ist auf dem Weg zu jener besseren Welt, die man als »Utopia« in das Übermorgen projiziert, denn die Utopie liegt weit hinter der Zukunft – genaugenommen dort, wo sich die geraden Parallelen treffen!

Der Akt des »Suchens« beschreibt eine Bewegung in den Dimensionen von Raum und Zeit. Philosophisch gesehen geht es um die Erfüllung von anhaltendem Glück im dauerhaften Frieden. Physikalisch gesehen gleichen sich Polaritäten aus und ergeben als Entropie den einen Zustand – genannt Ordnung, die im Wärmetod des geschlossenen Systems erstarrt.

Unter »Utopie« verstehen wir gemeinhin den gedachten, erhofften, ersehnten, idealen Zustand des Ausgleichs allen Unrechts, die Erfüllung aller menschlichen Sehnsüchte, die sich erst im Wiederfinden jenes Paradieses erfüllen, das der Mensch nach der göttlichen Erschaffung der Welt durch das Laster seiner eigenen Begierde schuldhaft verloren hat.

»Wenn Heimatforschung von Sehnsucht erfüllt nach der Zukunft fragt« … dann wird gedanklich der Bogen gespannt über der sinnerfüllten, empathisch rationalen Suche in den Ruinen der Vergangenheit nach den Bruchstücken der Hoffnung auf ein besseres Sein in Zukunft.

Der von Sir Thomas More (genannt Morus) im Jahr 1516 in Form eines philosophischen Dialogs diskutierte Nichtort »Utopia« wird als Insel im »Nirgendwo« beschrieben. Auf diesem im rauschenden Meer liegenden Eiland wird von einem Gemeinwesen berichtet, das alle Kriterien des idealen Sozialstaates erfüllt.

Aber: Ist dem wirklich so?

Die Schrift von Morus trägt den lateinischen Titel »De optimo rei publicae statu deque nova insula utopia«, in der deutschen Übersetzung lautet er »Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia«. Es durfte nicht (irgend-) eine Insel sein, sondern es musste die neue, bislang noch nicht entdeckte Insel als Heimat der bestmöglichen Konstruktion eines Staates sein. Eine Weissagung? Eine Behauptung? Ein Versprechen? Ein Irrtum?

Das literarische Werk verbreitet sich schnell. Die Erstveröffentlichung der zwei Bücher, zu einem verbunden, erfolgt im Jahr 1516 auf Anregung des humanistischen Gelehrten Erasmus von Rotterdam (um 1467–1536), einem Freund von Morus. Gedruckt wird die Erstausgabe in Belgien durch den Löwener Universitätsdrucker Theod. Martin von Aelst. Die einführende Illustration ist auf schlichte Weise kartografisch ausgearbeitet und als Holzstich umgesetzt.

Der abgebildete Inselstaat ist durch einen Kanal vom Festland getrennt und gilt als Anspielung auf England und dessen Hauptstadt London, die bekannterweise oft in Nebel gehüllt ist.

Dem Werk voran steht eine Vorrede mit Widmung an den Humanisten und Antwerpener Verleger Petrus Aegidius. Der erste Teil enthält einen humanistischen Dialog über die bestehenden Missstände in England als Rahmenhandlung, und im zweiten Teil folgt die eigentliche Beschreibung der Insel Utopia und ihrer Bewohner durch den weit gereisten Erzähler Raphael Hythlodeus.

1517 erscheint das Werk in Paris, und 1518 wird eine revidierte Ausgabe mit detailreichem Frontispiz »Utopiae Insulae Figura« auf Seite 12 vom deutsch-schweizerischen Grafiker und Maler Ambrosius Holbein (1494–1519) mit üppigen Festons ausgeschmückt, mit Kartuschen versehen und von Johann Froben (um 1460–1527) in Buchform gedruckt.

1524 gibt es die deutsche Übersetzung (nur des zweiten Teils) unter dem Titel »Von der wunderbarlichen Innsul Utopia genannt, das andere Buch«. Und erst 1551 erscheint die englische Übersetzung in London, die der Autor jedoch nicht mehr erleben kann.

Am 6. Juli 1535 wird der einstige Lordkanzler Thomas Morus im Alter von siebenundfünfzig Jahren im Namen Heinrichs VIII. als Hochverräter auf dem Schafott auf dem Tower Hill hingerichtet. Die philosophische und politische Brisanz seiner Schrift bleibt jedoch erhalten und wirkt als amüsanter und inspirierender Gesprächsstoff bis heute.

Im Jahr 1581 wird »Utopia« von der römischen Inquisition zwar auf den Index verbotener Bücher gesetzt, was die Gültigkeit und weite Verbreitung durch ständige Neuauflagen in vielen Sprachen und in vielen Ländern bis heute geltend nicht verhindern konnte.

Die politische Utopie von Morus prägte in ihren Grundzügen jede weitere literarisch verfasste Schrift, die von einer glücklichen Lebensgemeinschaft der Menschen im Einklang mit der Natur handelt und gab dem Genre den Namen »Utopie«.

Als Kriterien für den utopischen Zustand des Staates werden allgemein genannt: die Organisation der Menschen in Form einer Republik, regiert von einem demokratisch gewählten Senat als weltliche Organisation mit religiöser Toleranz. Weiterhin gelten die Ablehnung des Privateigentums, der Verzicht auf Geld, gemeinschaftlich produzierte Güter, die Versorgung eines jeden Einzelnen nach dessen Bedarf, die Gleichstellung von Mann und Frau, die monogame Ehe, eine Arbeit begrenzt auf sechs Stunden am Tag, Respekt vor der Weisheit des Alters, gemeinsames Kochen und Essen, Schulpflicht für Kinder, Förderung von besonderer Begabung in Kunst und Wissenschaft, allgemeine wissenschaftliche Vorlesungen sowie bestmögliche Versorgung der Kranken.

Auch an die Erledigung unangenehmer Arbeiten war gedacht, indem Straftäter aus dem Ausland gekauft und als Zwangsarbeiter gehalten wurden und Männer zusammen mit Frauen den Dienst der Verteidigung des Staates übernahmen.

Weiterhin durften die Städte auf der Insel eine vorgeschriebene Größe nicht übersteigen, und das Problem einer eventuellen Überbevölkerung wurde durch Bildung von Kolonien im Ausland gelöst.

Diese Insel »Utopia« wurde zu einer Zeit erdacht und beschrieben, in der es nach der Entdeckung des amerikanischen Kontinents im Jahr 1492 noch immer unbekannte Orte auf dem Planeten Erde gab.

Die Existenz der beschriebenen Insel war also denkbar möglich. Doch diese Möglichkeit entschwand mit der kommenden, vollständigen Entdeckung und Erforschung des Lebensraumes Erde.

Also legte die nächste Generation der Literaten, die sich mit dem Utopischen beschäftigen, ihren Ort in die vierte Dimension, nämlich außerhalb des aktuellen Raumes in eine andere Zeit. Einen guten Ort für Fantasien bietet die Zukunft, die mit einer wissenschaftlich-technisch gelösten Zeitreise per Zukunftsmaschine zu erreichen ist.

Wie verläuft nach dem Erstlingswerk von Morus die weitere Geschichte der literarischen Utopie? Welche Formen mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten und geschrieben aus welchen Intentionen der Autoren sind im Verlauf der Geschichte erdacht, gedruckt und verlegt worden?

Und wie hat die Öffentlichkeit auf diese Werke in der Literatur sowie in der politischen Theorie und der revolutionären Praxis reagiert?

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