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c) Pluralistische Deabsolutierung der Christologie

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Die entwickelte Moderne ist durch einen radikalen Pluralismus gekennzeichnet, der jeden unbedingten Wahrheitsanspruch fraglich erscheinen lässt. Die Antworten der Religionen auf die Fragen nach Leben und Tod können unter dieser Voraussetzung nur relativ sein. Von dieser Position geht die so genannte „Pluralistische Religionstheologie“ aus. Dabei handelt es sich um eine Richtung der „philosophy of religion“, deren bekanntester Vertreter John Hick (Hick/328) ist. Hick stützt seine pluralistische Sicht der Religionen auf Kants Unterscheidung zwischen dem „Ding an sich“ und dessen „Erscheinung“ und verknüpft damit die These, dass das Transzendente (Absolute, Reale) an sich unerkennbar ist und sich in Welt und Geschichte nicht endgültig offenbare. Auch wenn nicht alle Religionen ihrer Bestimmung in gleicher Weise gerecht werden und es Unterschiede in ihrer Lehre gibt, so sind sie doch im Prinzip gleichwertige Antworten auf die Fragen nach Leben und Tod (Schmidt-Leukel/338/339).

„gradualistische“, „funktionalistische“ Christologie

Religionen sind unterschiedliche Medien des Transzendenten, die dazu dienen, den Menschen in einem Prozess, den Hick als „soul-making“ bezeichnet, von der Existenzweise der „self-centredness“ (Selbstzentriertheit) zur Existenzweise der „reality-centredness“ (Wirklichkeitszentriertheit“) zu führen. Religionen sind unterschiedliche „soteriologische Wege“, auf denen der Mensch Heil, Befreiung und letzte Erfüllung finden kann (Hick/328: 261f.). Religionen werden von Hick an ihrer soteriologischen Effektivität und nicht an ihrer Lehre gemessen. Integrationsfähigkeit und soteriologisch bestimmte Theozentrik sind für Hick die entscheidenden Kriterien zur Beurteilung von Religionen wie Hinduismus, Buddhismus, Christentum, Judentum und Islam. Dies führt zu einer Relativierung religiöser Bilder und Symbole, Traditionen, Riten und Dogmen durch den einen religiösen Akt, sich in seiner Existenz auf das Transzendente zu beziehen. Eine endgültige Offenbarung Gottes in einem einzelnen Menschen lehnt Hick als vernunftwidrig ab. Die unterschiedlichen apersonalen und personalen Bilder, Vorstellungen und Begriffe des Transzendenten sind Linsen, durch die das Absolute betrachtet werden kann. So vertritt Hick eine „gradualistische“ und „funktionalistische“ Christologie (Schmidt-Leukel/340: 218f.),die den essentiellen Unterschied zwischen der Person Jesu und allen anderen Menschen aufhebt (Menke/335: 231–240).

soteriologischer Theozentrismus

Paul F. Knitter, ein anderer Vertreter der pluralistischen Religionstheologie, bestreitet ebenfalls eine endgültige Offenbarung des göttlichen Absoluten. In Jesus haben wir es nicht mit Gott selbst zu tun, sondern wir werden durch Jesus dazu geführt, uns vom göttlichen Absoluten beanspruchen zu lassen. Religionen sind unterschiedliche Wege zu diesem einen Ziel. Zum Verständnis der Person Jesu schlägt Knitter ein theozentrisches Modell vor. Die Einzigartigkeit der Person Jesu ist weder exklusiv (die anderen Religionen ausschließend) noch inklusiv (die anderen Religionen integrierend) zu verstehen, sondern relational, bezogen auf andere einzigartige religiöse Gestalten. Knitter nennt seine Theologie der Religionen eine „theozentrische Theologie der Religionen“, die „auf einer theozentrischen, nichtnormativen Reinterpretation der Einzigartigkeit Jesu beruht“ (Knitter/331: 147).

So ist Gottes Menschwerdung nicht auf Jesus beschränkt. Es gibt „andere Menschen, die dieselbe Fülle der gott-menschlichen Einheit, wie sie in Jesus verwirklicht ist, erreicht haben“ (331: 133). Für die Offenbarung Gottes in Jesus Christus kann demnach keine „Endgültigkeit“ oder „Normativität“ behauptet werden (193). Entscheidend sind für die Religionen nicht ihre Wahrheitsansprüche, sondern ihre Fähigkeit, zur Befreiung des Menschen beizutragen. Die im Neuen Testament bezeugte Einzigkeit Christi interpretiert Knitter im Sinne subjektiver Einzigartigkeit: Christen betrachten Jesus, wenn sie ihn „Sohn“ oder „Christus“ Gottes nennen, als einzigartig, weil sie sich zu ihm in der Sprache der Liebe, die den Geliebten einzigartig nennt, bekennen. Was die Liebe über die Geliebten sagt, gilt aber nicht an sich, sondern nur für den Liebenden (123–125).

„Orthopraxie“statt „Orthodoxie“

Die neutestamentlichen Aussagen über die Einzigkeit der Person Jesu (vgl. 1 Tim 2,5; Apg 4,12; Joh 1,14; Hebr 9,12) gehören für Knitter nicht zum wesentlichen Bestandteil der Verkündigung. Sie müssen aus ihrem historisch-kulturellen Kontext erklärt werden, in dem man noch davon ausging, dass die Wahrheit eine einzige sei. Wie der Inkarnations- und Auferstehungsmythos haben sie die Funktion, die theozentrische Bedeutsamkeit der Person Jesu auszudrücken und für die Gemeinschaft der Glaubenden identitätsstiftend zu wirken (Knitter/331: 119–123). Entscheidend sei heute im Zeitalter des religiösen Pluralismus aber nicht mehr die „Orthodoxie“, die richtige Lehre, sondern die „Orthopraxie“, die richtige Praxis der Nachfolge (331: 138–141).

Anders als das postmoderne Pluralismusparadigma kennt die pluralistische Religionstheologie mit dem Göttlichen (Transzendenten, Absoluten, Realen) etwas, das die Pluralität der Standpunkte und Meinungen übergreift, selbst allerdings unbestimmt bleibt. Jesus wird damit auf einen „Katalysator“ für unsere Beziehung zum Transzendenten reduziert, eine Katalysatorfunktion, die auch andere religiöse Gestalten erfüllen können. Nach christlichem Verständnis ist Jesus allerdings mehr als einer der vielen Zeugen des Absoluten. Er ist Gottes endgültige Offenbarung, seine Selbstmitteilung in Person, jenes „geschichtlich Unbedingte“, gegen das der Religionspluralismus so vehement ankämpft.

Eine endgültige Offenbarung Gottes kann aber nicht nur als „subjektiver Sinn“, als „Sinn für mich“, beansprucht werden. Soll der Glaube an Gottes letztgültige Offenbarung nicht das Paradox eines bloß subjektiven Meinens sein, muss Jesus Christus als der Weg, die Wahrheit und das Leben für die Welt und damit als „Sinn an sich“ (Menke/334: 75–110) bezeugt werden. Um seiner Identität willen muss deshalb das Christentum an der Einzigkeit Christi festhalten. Eine pluralistische Deabsolutierung der Christologie, die in Jesus von Nazareth eines der vielen Gesichter des ewigen Logos, eine seiner Inkarnationen sieht, nicht aber Gottes endgültige Offenbarung, das „concretum universale“, läuft in der Konsequenz auf eine Aufhebung des Christentums hinaus.

Einführung in die Christologie

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