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d) Christologie als dramatische Kreuzestheologie
ОглавлениеHans Urs von Balthasar († 1987) hat von einem Ausfall einer ausgearbei teten Kreuzestheologie in der Christologie Rahners gesprochen (Balthasar/276: 96f.). Balthasar ist neben Karl Barth und Karl Rahner die führende Theologengestalt des letzten Jahrhunderts. Die Mitte der Theologie und Christologie Balthasars ist das Kreuzesgeschehen und seine trinitarische Tiefendimension. Leitend ist dabei die Grundformel „Glaubhaft ist nur Liebe“. Sie ist der Titel jener frühen Programmschrift (Balthasar/405), in der Entäußerung des SohnesBalthasar Grundzüge seiner heilsdramatischen Theologie skizziert, die er in der großen „Triologie“ (Herrlichkeit, Theodramatik, Theologik) und der „Theologie der drei Tage“ (Balthasar/21) entfaltet.
Entäußerung des Sohnes
Ein Zugang zur Christologie ist für Balthasar weder in einem rein kosmologischen noch in einem rein anthropologischen Horizont möglich, da beide Ansätze zu einer „Reduktion“ der ganzen Wahrheit und Fülle des Christusereignisses führen (Balthasar/405). Der Angelpunkt der Christologie Balthasars ist die Schau der Herrlichkeit der Liebe Gottes, die sich im Leben, Sterben und der Auferstehung Christi, das heißt der radikalen Entäußerung (Kenose) des Sohnes, zeigt. Jesus ist die Form Gottes in der Offenbarung des Fleisches (O’Donnell/427: 263.265). Die Liebe Gottes kann in der Person Jesu nur dann im Sinne einer „Theophanie“ Gestalt gewinnen, wenn seine Existenz im vor- und überzeitlichen Sein des ewigen Gottessohnes selbst gründet. Als der menschgewordene Sohn des Vaters ist Jesus die sichtbare Manifestation des unsichtbaren Gottes.
In der Offenbarung Gottes durch seinen Sohn geht es allerdings nicht nur um die Wahrnehmung der Herrlichkeit der Liebe Gottes, sondern zugleich um die Begegnung von unendlich-göttlicher und menschlich-endlicher Freiheit. Das Verhältnis Gottes und der geschöpflichen Welt ist für von Balthasar das eines Dramas. Vom Drama dieser Begegnung, das durch die Sünde und Entfremdung des Menschen und Gottes Treue zu seiner Schöpfung bestimmt ist, handelt die „Theodramatik“. Ihre soteriologische Mitte bildet der stellvertretende Sühnetod des Sohnes für das Heil der Menschen (Balthasar/41: 189–395). Mit Paulus (Phil 2,6–8) verbindet Balthasar den Gedanken der Entäußerung (κένωςις) des Sohnes in der Offenbarung im Fleisch mit dem Kreuz, durch das er für uns zur Sünde gemacht wurde (vgl. 2 Kor 5,21).
des Kreuz des Sohnes Christi als trinitarisches Ereigni
In seiner dramatischen Kreuzestheologie versucht Balthasar das stellvertretende Sterben des Sohnes in seiner trinitarischen Tiefendimension zu erfassen. Die Identität Jesu ist in der ewigen Gemeinschaft der göttlichen Trinität begründet. Der biblische Gedanke der Präexistenz und Sendung des Sohnes ist für Balthasar unaufgebbar. Die Hingabe Jesu am Kreuz gründet in der „ewigen Sohnesliebe gegenüber dem ‚je-größeren‘ Vater“ (Balthasar/21: 87), stellt also ein trinitarisches Geschehen dar. Der Vater ist die grundlose Liebe, die Quelle der Liebe, der Sohn die Antwort auf die Liebe des Vaters. Die Preisgabe des Lebens des Sohnes wird von Balthasar mit der Schrift als „Gehorsam“ gegenüber dem Willen des Vaters interpretiert. Im Mittelpunkt der Existenz Jesu steht sein Gehorsam (vgl. Joh 4,34; 8,29). Man hat hier von einer „Christologie als Auslegung des Sohnesgehorsams Christi“ gesprochen (Schilson-Kasper/34: 63–70).
Der aktiven Selbsthingabe des Sterbens des Sohnes am Karfreitag stellt Balthasar die Passivität des Gekreuzigten am Karsamstag gegenüber. Der Gekreuzigte erfährt, so die Interpretation des Höllenabstiegs Christi, die Verschlossenheit des sündigen Menschen gegen Gott, seine Gottverlassenheit und totale Machtlosigkeit (Balthasar/21: 153–170). Der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Willen des Vaters ist nicht die Unterwerfung unter einen Gott, der zu seiner Versöhnung ein Menschenopfer fordert. Gott will kein Menschenopfer; deshalb brauchte Abraham Isaak am Ende nicht zu opfern. Dafür gibt Gott sich selbst in seinem Sohn. Der Hingabe des Sohnes bis ins Kreuz entspricht auf Seiten des Vaters jene göttliche Liebe, die bis zum Äußersten geht und das Eigenste in den Tod gibt, um so die Welt mit sich zu versöhnen (Balthasar/41: 306).
Ur-Kenosis und Trennung in Gott
Von der Selbstentäußerung des Sohnes bis zu dessen eigener Gottverlassenheit am Kreuz ist der Vater zutiefst innerlich betroffen, bis hinein in den „Riss“, den das Verstummen des göttlichen Wortes im Leben Gottes bedeutet. „Am Kreuz und in seiner Verlassenheit … wird die ganze Distanz des Sohnes vom Vater offenbar“ (41: 297). Für Balthasar hat der „Riss“ seine Voraussetzung in der Kenose des Vaters der Zeugung seines gleichwesentlichen Sohnes (299f.). Balthasar spricht von der „Ur-Kenosis“ (302), einer „Trennung“ in Gott selbst: „Daß Gott (als Vater) seine Gottheit so weggeben kann, daß Gott (als Sohn) sie nicht bloß geliehen erhält, sondern ‚gleichwesentlich‘ besitzt, besagt eine so unfassbare und unüberbietbare ‚Trennung‘ Gottes von sich selbst, daß jede (durch sie!) ermöglichte Trennung, und wäre es die dunkelste und bitterste, nur innerhalb ihrer sich ereignen kann“ (302).
Passio Caritatis
An dieser Stelle macht sich der im Spätwerk Balthasars immer stärker werdende Einfluss der Mystikerin Adrienne von Speyr († 1967) bemerkbar (Krenski/268: 123–157), der vor allem gegen Ende der „Theodramatik“ zu theologisch teilweise umstrittenen Spekulationen über das innergöttliche Leben (Werbick/275) führt. Doch bleibt davon das Zentrum der imposanten trinitarischen Kreuzestheologie Balthasars unberührt: Es ist die „Passio Caritatis“ (Krenski/268), die freie Selbsthingabe des Sohnes bis ans Kreuz. „Freiheit ewiger Selbsthingabe aus grundloser Liebe“ (Balthasar/345: 15) – dies ist das in Christus gesprochene göttliche Grundwort. In der Person Christi, seinem Leben und Sterben, offenbart sich die letzte und alles umfassende Wahrheit Gottes als Liebe. Das Kreuz Christi ist die Offenbarung von Gottes trinitarischer Liebe. Balthasar war deshalb Zeit seines Lebens bemüht, Gottes trinitarisches Sein und Wesen als Liebe zu denken. Mit seiner dialogischen Trinitätskonzeption ist er dabei einen anderen Weg gegangen als Karl Rahner, der auf der Linie Augustins und des Thomas von Aquin das trinitarische Sein Gottes, ausgehend von der Struktur des menschlichen Geistes und der Einheit des Sohnesbewusstseins Jesu, zu verstehen suchte.