Читать книгу Einführung in die Christologie - Helmut Hoping - Страница 7
Einführung
ОглавлениеAufgabe der Christologie
Christologie ist die Lehre von Jesus dem Christus. Der Christustitel ist die latinisierte Fassung von Χριστός, der griechischen Übersetzung des hebräischen Wortes : der Gesalbte, der „Messias“ (vgl. Mk 8,27 u.ö: Χριστός; Joh 1,41; 4,25: Μεσσίας). Von Jesus dem Christus zu sprechen bedeutet mehr, als auf eine historische Person Bezug zu nehmen. Der Christustitel bringt die Heilsbedeutung Jesu im Kontext der endzeitlichen Erwartungen Israels zum Ausdruck. Wie der Eigenname „Jesus“ (Jeschua), der sich von der hebräischen Wurzel (jašac) ableitet, was soviel bedeutet wie „retten“ und „helfen“, erinnert der Christustitel für immer daran, dass der Gott Jesu kein anderer ist als der Heilige Israels. Neben dem Christustitel kennt das Neue Testament andere Prädikationen, mit deren Hilfe es die Bedeutung der Person Jesu für das Heil der Menschen zur Sprache bringt: Herr (κύριος), Menschensohn (ιός νθρώπου), Sohn Gottes (ιός θεο), Heiland/Retter (σωτήρ). Die Christologie hat es mit dem zentralen Bekenntnis des Glaubens zu tun, mit der Antwort auf jene alles entscheidende Frage, die schon die Jünger Jesu beschäftigte: Wer ist dieser Jesus? (vgl. Mk 4,41).
Christologie als Mitte der Theologie
Die Christologie bildet „das Kernstück einer jeden christlichen Theologie“ (Pannenberg/31: 13). Denn in ihr geht es zugleich um das Proprium des christlichen Gottesverständnisses. Denn wenn Jesus Christus Gottes endgültige Offenbarung ist (vgl. Hebr. 1,1–2), dann gehören seine Person und Geschichte zur Identität Gottes. Thomas von Aquin († 1274) konnte deshalb in der Lehre von Jesus Christus ein „compendium theologiae“, eine Zusammenfassung der ganzen christlichen Theologie, sehen (Comp. theol. c.1). Für Bonaventura († 1274) hält Jesus Christus in allem die Mitte (In Hex. Coll. I, 10), da er der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (1 Tim 2,5). Jesus Christus ist der Grund des christlichen Glaubens und der Kirche. Denn „einen anderen Grund kann niemand legen“ (1 Kor 3,11; vgl. Mk 12,10f.). Ohne Jesus Christus gäbe es kein Christentum, ohne die Erinnerungs- und Überlieferungsgemeinschaft der Kirche aber wäre der Glaube an Jesus Christus nicht auf uns gekommen.
Bibelkritik der Aufklärung
Individualisierung, Traditionsabbruch sowie wachsender kultureller und religiöser Pluralismus haben in unseren Tagen zu einer Krise des Christusbekenntnisses geführt, die tiefgreifender ist als die Infragestellung der kirchlichen Christologie im Zuge der radikalen Bibelkritik der Aufklärung und der „Leben-Jesu-Forschung“. Der Hamburger Orientalist Hermann Samuel Reimarus († 1768) behauptete zwischen dem, was Jesus selbst gelehrt und gewirkt hat, und dem Christusbild seiner Jünger einen unüberbrückbaren Gegensatz: Jesus selbst verstand sich als irdisch-politischen Messias und wurde als solcher schließlich hingerichtet. Die Jünger haben aus ihm einen vom Himmel kommenden Messias, den Sohn Gottes, gemacht. Nach dem Begräbnis Jesu stahlen sie seinen Leichnam, verkündeten seine Auferweckung, sprachen seinem Kreuzestod Heilsbedeutung zu, bildeten eine eigene Gemeinde und führten neben der Idee der Parusie, der Wieder kunft des gekreuzigten Messias, die Sakramente Taufe und Abendmahl ein.
Auch wenn die von Reimarus vertretene Betrugs- und Verfälschungstheorie heute in der exegetischen Forschung nicht mehr ernsthaft vertreten wird, hatten doch seine Thesen eine große Breitenwirkung, die bis in die popularwissenschaftlichen Jesusbücher unserer Tage hineinreicht, in denen mit schöner Regelmäßigkeit die Betrugs- und Verfälschungstheorie neu belebt wird. Für die moderne Exegese kommt Reimarus eine große Bedeutung zu, da er die Berichte und Erzählungen der Evangelien als Erster konsequent nach ihrer Historizität befragte und dabei auf unterschiedliche Angaben hinwies, etwa was die Zahl der Blindenheilungen (Mk,10,46–52; Mt 20,29–34) oder den Zeitpunkt der Tempelreinigung (Mk 11,15–19; Joh 2,13–22) betrifft.
Reimarus wusste, dass seine Thesen den christlichen Glauben in seinem Kern trafen. Die Schriften, die seine provozierenden Thesen enthielten, vor allem die Schrift „Vom Zwecke Jesu und seiner Jünger“ (1778), hat er deshalb nicht publiziert. Es war Gotthold Ephraim Lessing († 1781), der sie auszugsweise unter dem Titel „Fragmente eines Wolfenbüttelschen Ungenannten“ (1774–1778) veröffentlichte. Lessing, der große Denker und Dichter der Aufklärung, markiert zugleich die historische Krise der Christologie: Wenn historische Ereignisse immer kontingent sind, und das hieß für Lessing „zufällige Geschichtswahrheiten“, wie kann ihnen dann eine absolute, unbedingte Bedeutung zukommen? In seiner Schrift „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ (1777) brachte Lessing sein Argument gegen die Vorstellung einer endgültigen geschichtlichen Offenbarung Gottes auf die Formel: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden“ (Lessing/10: Bd. 8, 441).
Mit Reimarus und Lessing begann jene radikale protestantische Bibelkritik, die am Ende wenig übrig ließ von der Gewissheit, die noch der Reformator Martin Luther († 1546) in der Schrift zu finden glaubte (Schönborn 35: 31). Luthers bibelhermeneutischer Grundsatz, dass die Schrift sich selbst auslegt (Sacra scriptura sui ipsius interpres), verlor im Zuge der modernen Exegese zunehmend an Plausibilität, sofern diese zu einem radikalen Pluralismus von Theorien, Hypothesen und Positionen führte. Zudem ließ der „methodische Atheismus“ der historisch-kritischen Exegese, die Schrift auszulegen etsi Deus non daretur, den Charakter der Schrift als Wort Gottes zunehmend verblassen (Oeming/140: 42–46).
Leben-Jesu-Forschung
Die von Lessing veröffentlichten Fragmente waren der Ausgangspunkt der Leben-Jesu-Forschung. Ihre Geschichte hat der evangelische Theologe, Arzt und Nobelpreisträger Albert Schweitzer († 1965) geschrieben (Schweit zer/148). Der Anstoß zur Kontroverse, die im 19. Jahrhundert um das Leben Jesu und den historischen Wert der Evangelien geführt wurde, kam von David Friedrich Strauß († 1874). In seinem Werk „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ (1835–1836; 21837) ersetzte Strauß die seiner Meinung nach supranaturale Sicht der Geschichte Jesu in den Evangelien durch eine konsequent rationale Betrachtungsweise: In der göttlichen Würde der Menschheit sieht Strauß die ewige Wahrheit der mit der Person Jesu verbundenen mythischen Vorstellungen.
Der Kern des Christusmythos ist nach Strauß nicht ein geschichtliches Ereignis oder eine geschichtliche Person, sondern die religiöse Idee des Gottmenschen in uns, die in der absichtslos dichtenden Sage, die den Mythos hervorbringt, historisiert wird. Die Menschheit wird so zum Inhalt der Christologie erklärt (Barth/207: 509). Der Gegenstand der Verkündigung Jesu ist kein anderer als die „unterschiedslose Güte“ des „himmlischen Vaters“. Im Spätwerk Strauß’ wird die christliche Religion ganz auf eine reine Humanitätsreligion zurückgenommen, bei der von der Einzigartigkeit Christi nichts mehr übrig bleibt. Strauß hat mit seinen Schriften eine ähn liche Wirkung erzielt wie die von Lessing veröffentlichten Fragmente. Eine Spätfolge der von Strauß vorgenommenen Trennung von mytholo gischer Gestalt und Inhalt des Glaubens ist das bis heute einflussreiche Entmythologisierungsprogramm des evangelischen Theologen Rudolf Bultmann († 1976).
Mythologieverdacht
Für viele Zeitgenossen, selbst Theologen, ist es eine ausgemachte Sache, dass die Schriften des Neuen Testaments voll von mythologischen Bildern und Vorstellungen sind, die für uns heute keine Gültigkeit mehr haben. In der Menschwerdung Gottes in seinem Sohn wird ebenso eine mythologische Vorstellung gesehen wie in der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria. Die Dämonenaustreibungen und Wunderheilungen stehen gleichermaßen unter Mythologieverdacht wie der stellvertretende Sühnetod Jesu am Kreuz und dessen rituelles Gedächtnis in der Feier der Eucharistie. Der Mythologieverdacht wird schließlich auch gegen das christliche Grundbekenntnis der Auferweckung Jesu von den Toten vorgebracht. Das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu könne heute nicht mehr so verstanden werden, wie es ursprünglich gemeint war. Als religiöses Symbol für die allgemeinmenschliche Hoffnung auf ein Leben über den Tod hinaus komme der Auferweckung Jesu dagegen eine bleibende Bedeutung zu.
„Christologie von oben“–„Christologie von unten“
Der Mythologieverdacht gegenüber der Vorstellung einer Menschwerdung Gottes in seinem Sohn hat die traditionelle dogmatische Christologie erschüttert. Man hat sie als „Christologie von oben“ bezeichnet, weil sie bei dem von Ewigkeit her existierenden, präexistenten, in der „Fülle der Zeit“ menschgewordenen Logos Gottes ihren Ausgang nimmt. Sofern eine Inkarnationschristologie die Gottheit Jesu immer schon voraussetzt, steht sie in der Tat in der Gefahr, die Besonderheit der Person und Geschichte Jesu wie ihres Zusammenhanges mit dem Judentum aus dem Blick zu verlieren. Die gegenwärtige Christologie setzt deshalb bei der Botschaft, dem Wirken (Zeichenhandlungen) und dem Geschick Jesu sowie seinem Gottesbezug an und fragt, wie das neutestamentliche Christusbekenntnis und die nachfolgende christologische Lehrentwicklung in der Person und Geschichte Jesu begründet sind. Den veränderten Ansatz der gegenwärtigen Christologie bezeichnet man gegenüber der „Christologie von oben“ als „Christologie von unten“.
Es gehört zur methodischen Grundüberzeugung zeitgenössischer Christologie, dass sich die wahre Erkenntnis der Bedeutung Jesu nur aus der Geschichte dieser Person begründen lässt (Pannenberg/31: 15–24). Will eine „Christologie von unten“ mehr sein als eine der vielen modernen Jesulogien, darf sie der christologischen Frage nach der Einheit Jesu mit Gott aber nicht ausweichen, die mit dem biblischen Sendungs- und Präexistenzgedanken aufgeworfen wird. Das theologisch unaufgebbare Anliegen einer methodisch reflektierten Inkarnationschristologie besteht darin, Person und Geschichte Jesu als Gottes endgültige Selbstoffenbarung zu denken und das Bekenntnis zu Jesus Christus trinitarisch zu verankern, was nicht ohne „ontologische“ Aussagen im weiteren Sinne möglich ist (Essen/213: 394).
Hellenisierungsthese
Adolf von Harnack († 1930), der führende Vertreter der liberalen Schule, hat gegenüber dem christlichen Dogma den Verdacht geäußert, es sei der Form und dem Inhalt nach ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums (Harnack/182: 20). Die These, die christologische Lehrentwicklung habe vom geschichtlichen Jesus eher weggeführt, als die Bedeutung seiner Person und Geschichte angemessen zu entfalten, wird bis heute vertreten (Küng/418; Ohlig/68/271; Hasenhüttl/412). Diese These ist hermeneutisch aber ebenso unbefriedigend wie die These vom Gegensatz zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des urchristlichen Kerygmas. Denn sie läuft letztlich darauf hinaus, in der christologischen Lehrentwicklung eine grandiose Verstellung der Person Jesu zu sehen.
Hermeneutik der christologischen Überlieferung
Da das Christusbekenntnis „Anhalt am historischen Jesus“ (Ebeling/53: 50f.) haben muss, hat eine Christologie ihren Ausgang bei der historischen Rückfrage nach Jesus von Nazaret zu nehmen. Will man aber nicht der Reproduktion jener einseitigen Jesusbilder Vorschub leisten, wie sie sich in der Jesusforschung des 19. Jahrhunderts (Schweitzer/148) und den zahlreichen popularwissenschaftlichen Jesusbüchern unserer Zeit finden (Heiligenthal/57), kann sich eine Christologie mit der historischen Rückfrage nach der Person Jesu nicht zufrieden geben. Die zentrale Aufgabe einer sys tematischen Christologie besteht in einer wahrheitsverpflichteten Hermeneutik der christologischen Überlieferung. Dem Christusbekenntnis der Schrift, als der primären Glaubensinstanz, kommt hier eine zentrale Rolle zu. Ausgangspunkt muss dabei das besondere Sohnesverhältnis Jesu sein. Grundlage der Christologie ist allerdings nicht nur die Schrift. Denn nach katholischem Verständnis kommt auch der darüber hinausgehenden authen tischen Glaubensüberlieferung eine normative, wenn auch abgeleitete Funktion zu. Zur Aufgabe einer systematischen Christologie gehört von daher die hermeneutische Aneignung des christologischen Dogmas (Essen-Pröpper/55).
Die vorliegende Einführung in die Christologie hat fünf Kapitel. Das erste Kapitel (I. Anstöße gegenwärtiger Christologie) versucht, ausgehend von der Debatte um den mythologischen Charakter der christlichen Botschaft einen Überblick über gegenwärtige Christologien zu geben. Dabei wird unterschieden zwischen Programmen, die explizit eine Revision der überlieferten Christologie fordern, und Neuansätzen, die sich um eine hermeneutische Aneignung der überlieferten Christologie bemühen, mögen sie auch im Einzelnen kritische Rückfragen aufwerfen. Das zweite Kapitel (II. Der Gott Israels und die Ankunft seines Messias) entfaltet die biblischen Grundlagen des Christusbekenntnisses, das dritte behandelt das Christusbekenntnis der Alten Kirche und Aspekte der Soteriologie (III. Der menschgewordene Sohn Gottes). Im vierten Kapitel werden die großen Entwicklungen in der westlichen Christologie vom Mittelalter bis zur Moderne aufgezeigt (IV. Jesus Christus im abendländischen Denken). Das letzte Kapitel skizziert Perspektiven für eine Hermeneutik der Christologie (V. Hermeneutik der Christologie und Israel-Theologie).