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I. Anstöße gegenwärtiger Christologie 1. Revisionen a) Die These vom Mythos des inkarnierten Gottessohnes
ОглавлениеEntmythologisierungsprogramm
Rudolf Bultmann († 1976) nannte die Sendungs- und Präexistenzchristologie des Neuen Testaments und den damit verbundenen Inkarnationsgedanken „mythologisch“, ebenfalls die Geburt Jesu aus Maria der Jungfrau, die Vorstellung von der Sünde, des stellvertretenden Sühnetodes Jesu sowie die Rede von der Auferstehung der Toten (Bultmann/107/108). Bultmanns Entmythologisierungsprogramm versteht sich als kritische „Destruktion der neutestamentlichen Mythologie“ (Bultmann/108: 21) und der nachfolgenden Metaphysik des Gottessohnes, wofür nach Bultmann schon im Neuen Testament die entscheidenden Ansätze bereit liegen (107: 14). Die Destruktion der neutestamentlichen Mythologie erfolgt durch eine konsequent existentiale Interpretation des urchristlichen Kerygmas. So wird der „mythologischen Rede“ die Funktion zugeschrieben, die existentielle Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte zum Ausdruck zu bringen (108: 21).
Da das urchristliche Kerygma für Bultmann auf nichts anderes zielt als die „Eigentlichkeit“ menschlicher Existenz, die Wahrheit des durch Christus eröffneten neuen Lebens, ist der „Mythos“ einer Präexistenz und Gottessohnschaft Christi für Bultmann theologisch ebenso verzichtbar wie die Vorstellung seines stellvertretenden Sühnetods. Bultmann reduziert damit die in Christus geschehene göttliche Offenbarung auf ihre existentiale Funktion für die Begründung der Eigentlichkeit menschlicher Existenz. Dies zeigt sich auch an seinem Verständnis der Auferweckung Jesu, die er nicht als ein geschichtliches Ereignis, das heißt als ein eigenes Geschehen neben Jesu Leben und Sterben betrachtet. In der Rede von der Auferweckung Jesu sieht Bultmann nur den „Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes“ (108: 56f.). An der historischen Frage sei der christliche Osterglaube nicht interessiert (60–62).
Auf den Einwand, ob mit der Rede von Gottes Handeln nicht ein „mythologischer Rest“ im urchristlichen Kerygma verbleibt, hat Bultmann geantwortet: „Wer es schon Mythologie nennt, wenn von Gottes Tun die Rede ist, für den gewiß“ (63). Diese letztlich unbefriedigende Antwort macht den inneren Widerspruch in Bultmanns Entmythologisierungsprogramm deutlich. Wenn Gott an Jesus gehandelt hat, warum – so hat Heinrich Schlier († 1978) gefragt (Schlier/253: 139–142) – darf dann der Satz, Gott hat Jesus von den Toten auferweckt, nicht als eine Aussage über ein geschichtliches Ereignis verstanden werden? Es war Herbert Braun († 1991), der Bultmanns Entmythologisierungsprogramm konsequent radikalisierte und schließlich auch noch Gott selbst, das heißt seine Personalität und sein geschichtliches Handeln, entmythologisierte: Gott ist in dieser Welt, nicht vor ihr oder außer ihr. Er ereignet sich in der Mitmenschlichkeit (Braun/101: 114–122).
Inkarnationschristologie als Mythos
Die These vom Mythos der Inkarnationschristologie bestimmt auch das Werk „Christ sein“ (Küng/418) des bekannten Schweizer Theologen Hans Küng. Die Theotókos-Lehre des Konzils von Ephesus (431) kommentiert Küng mit dem rationalistischen Pathos der Aufklärung: „Als ob Gott geboren werden könnte und nicht vielmehr ein Mensch, in welchem als Gottessohn Gott selbst für den Glauben offenbar ist“ (418: 561). Jesus von Nazaret ist ein Mensch, in dem als Gottes Sachwalter dieser für uns offenbar wird. Diese funktionale Sachwalterchristologie hat später zu der mit der christlichen Glaubensüberlieferung unvereinbaren Forderung geführt, hinter das Konzil von Nizäa (325) und die altkirchliche Trinitätslehre auf die ersten Anfänge der Christologie zurückzugehen, um das interreligiöse Gespräch der abrahamitischen Religionen nicht mit dem Bekenntnis zur Gottheit Christi zu belasten.
Drei Jahre nach Hans Küngs „Christ sein“ erschien in England ein von John Hick herausgegebenes Buch mit dem Titel „The Myth of God Incarnate“ (Hick/327). Die Autoren des Buches, das eine intensive theologische Debatte ausgelöst hat (Green/326; Goulder/325; Mackey/333; Dalferth/22: 1–37), gehen davon aus, dass es sich bei der Inkarnationschristologie um eine mythologische Darstellungsform handelt, die auf poetische Weise die Bedeutung der Person Jesu zur Sprache bringt. Im Christusbekenntnis der Kirche sehen sie das Resultat eines realistischen Missverständnisses bestimmter, mit dem biblischen Präexistenzgedanken verbundener Bekenntnisaussagen. Das Bekenntnis zu Jesus dem Gottessohn stelle eine als Mythos fungierende metaphorische Aussage dar, die in der späteren Inkarnationschristologie metaphysisch ausgedeutet worden sei (Hick/329). Eine Variante dieser These findet sich bei Karl-Josef Kuschel und seiner gegen das christologische Dogma von Nizäa gerichteten Rede von der „Poesie der Präexistenzaussagen“ (Kuschel/269: 672).
Leitend ist bei der These vom Mythos des inkarnierten Gottessohnes ein weiter und unpräziser Begriff des Mythologischen. So definiert John Hick „Mythos“ als „eine Geschichte, die erzählt wird, aber nicht buchstäblich wahr ist, oder eine Idee oder ein Bild, die oder das auf eine Person oder Sache angewandt wird, aber nicht buchstäblich zutrifft, sondern bei den Hörern eine bestimmte Haltung oder Einstellung herbeiführt“ (Hick/327: 188). Der mythologische Satz „Jesus ist der Sohn Gottes“ mache eine Aussage über die Bedeutung der Person Jesu, nicht über seine Existenz. Damit ignoriert Hick die Differenz zwischen der christlichen Gottesrede, die sich auf ein geschichtliches Gründungsereignis bezieht, und den mirakulös-mythologischen Gotteserzählungen griechischer bzw. orientalischer Herkunft.
So hat Ingolf U. Dalferth darauf hingewiesen, dass sich das Bekenntnis zu Jesus, dem Sohn des Vaters, auf die geschichtliche Person des auferweckten Gekreuzigten bezieht. „Denn Christen bekennen Jesus als Sohn Gottes, Herr, Retter, Wort Gottes oder wie auch immer sonst gerade deshalb, weil sie ihn als den von Gott vom Tode auferweckten Gekreuzigten kennen“ (Dalferth/22: 23). Daraus kann allerdings nicht der Verzicht auf eine Inkarnationschristologie abgeleitet werden, da sich das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Christi zugleich auf ihn in seinem Leben und Sterben und das darin sich offenbarende Verhältnis zu seinem Vater bezieht. Die „Selbstvergegenwärtigung“ bzw. „Selbsterschließung“ Gottes in Jesus Chris tus kann ohne das inkarnationstheologische Modell nicht im Sinne einer endgültigen Selbstaussage Gottes gedacht werden.