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e) Theodizee-empfindliche Christologie

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Auschwitz als Anstoß für eine theodizee-empfindliche Theologie

Für Johann Baptist Metz hat die Theologie zu lernen, dass sie „nach Auschwitz“ nicht mehr die gleiche sein kann wie „vor“ den Schrecken, die mit diesem Namen verbunden sind (Metz/420: 42). Auschwitz signalisiert für Metz „einen Schrecken jenseits aller vertrauten Theologie, einen Schrecken, der jede situationsfreie Rede von Gott leer und blind erscheinen“ lässt (422: 81) und zugleich eine radikale Rückfrage von Christentum und Theologie nach sich selbst erforderlich macht. Als Christen kommen wir „niemals mehr hinter Auschwitz“ zurück, über Auschwitz hinaus aber „nur noch mit den Opfern von Auschwitz“, im Sinne eines „heilsgeschichtlichen Bündnisses“ von Juden und Christen (420: 31f.).

Der Christologie kommt hier eine zentrale Aufgabe zu, weil das in Jesus begründete Heil, das Thema der Christologie, nur allzu oft einen Antijudaismus legitimierte. „Wurde in der Christologie die Hiobfrage nicht häufig zu sehr verdrängt oder herabgesetzt, so dass das Bild des Sohnes, der an Gott und an dessen Ohnmacht in der Welt leidet, mit allzu sieghaften Zügen ausgestattet wurde?“ (420: 36). Die Christologie gilt es von ihrem „heilsgeschichtlichen Triumphalismus“ und der damit verbundenen „messianischen Schwäche“ (37) zu befreien. Im Verlust der messianischen Erwartung sowie der Verinnerlichung und Privatisierung des messianischen Heilsgedankens sieht Metz den entscheidenden Grund, warum die christliche Theologie in ihrer Geschichte durch „radikale Unterbrechungen und Sinnkatastrophen“ so wenig erschüttert wurde. Dagegen stellt Metz die Forderung einer messianischen Praxis der Nachfolge, die mystisch und poli tisch zugleich ist (40f.). Den Juden schulden wir, „keine Theologie mehr zu treiben, die so angelegt ist, daß sie von Auschwitz unberührt bleibt bzw. unberührt bleiben könnte“ (42). Gefordert ist eine Revision unseres Verhältnisses zur Glaubensgeschichte des jüdischen Volkes in einer „Ökumene in messianischer Perspektive“ (47).

Karsamstagschristologie

Von Metz wird kein „Christologieverzicht“, gefordert, sondern eine dem jüdischen Volk und seinen Opfern „geschuldete Christologie“ (372: 99/373: 755) eingeklagt, die den Gedanken einer „Substitution“ Israels durch die Kirche hinter sich lässt. Israel darf nicht mehr zu einer überholten heilsgeschichtlichen Voraussetzung des Christentums degradiert werden. Zugleich hat eine dem jüdischen Volk und seinen Opfern geschuldete Christologie den Mangel an „Theodizee-Empfindlichkeit“ (422: 82) in der Theologie zu überwinden und die christliche Rede vom „letzten“ und „endgültigen Wort“ Gottes in Jesus Christus zugleich als eine Zeitansage zu begreifen, die „eine Logik befristeter Zeit“ (420: 101) erzwingt und einen „Logos der christlichen Theologie“, der von der memoria passionis als „Eingedenken fremden Leids“ geprägt ist (102). Die Perspektiven, die sich für eine „nach Auschwitz“ geschuldete Christologie ergeben, markiert Metz mit den Stichworten „Nachfolgechristologie“ (372: 102) und „Karsamstagschristologie“ (421: 80). Es ist eine Christologie „mit Empfindlichkeit für die Theodizeefrage“, „mit apokalyptischem Gewissen“ und im „synoptischen Paradigma“ (373: 758f.), eine Christologie mit „schwachen Kategorien“ (Erzählung, Gedächtnis, Solidarität), das heißt weniger „Ostersonntagschristologie“.

Abwehr der Vorstellung vom leidenden Gott

Die Christologie braucht eine durch den Schrei der unschuldig Leidenden nach Gerechtigkeit provozierte „eschatologische Unruhe“ (422: 86). Dazu ist es notwendig, die „theologischen Stillegungen der Theodizeefrage“ (87), die Tabuisierung der Rückfrage an Gott, aufzubrechen. „Wie anders wäre die Christologie von dem Verdacht zu befreien, sie sei gar nicht Theologie, sondern Mythologie? Schließlich würde der, der die Osterbotschaft so hört, daß in ihr der Schrei des gottverlassenen Sohnes vergessen ist, nicht das Evangelium hören, sondern eben einen Siegermythos“ (372: 103). Metz bestreitet entschieden, dass „die Christologie die Theologie dazu nötigt oder auch nur dafür legitimiert, vom leidenden Gott bzw. vom Leiden ‚in‘ Gott zu sprechen“ (96). Mit Karl Rahner wendet er sich deshalb gegen trinitarisch verankerte Kreuzestheologien (Eberhard Jüngel, Hans Urs von Balthasar, Jürgen Moltmann u.v.a.).

kritische Rückfragen

Die von Metz gegebenen Anstöße für eine veränderte Christologie haben eine breite Resonanz gefunden. Doch kann eine Christologie, nimmt sie das Kreuz als göttliches Offenbarungsereignis ernst, wohl kaum auf den Gedanken einer Mitbetroffenheit des Vaters durch das Leiden des Sohnes verzichten. Sollte man dann aber nicht auch von einem Leiden Gottes an seiner entstellten und gequälten Kreatur sprechen können? Auch wenn die johanneische Aussage „Gott ist die Liebe“ den Charakter einer Verheißung hat (96), so ist Gott doch in der Geschichte seines Volkes und im „geborenen Juden“ Jesus so sehr „involviert“, dass er durch das Leiden Jesu, der Angehörigen seines Volkes und aller übrigen gequälten Kreatur zuinnerst betroffen ist. Kann aber eine „Mystik des Leidens an Gott“, jene Theologie der „Klage“, die von Metz gegen den mitleidenden Gott in Anschlag gebracht wird, der „Nähe“ Gottes bei seinem Volk und in dem Menschen Jesus gerecht werden, von der die biblischen Schriften erzählen? Es ist irritierend, dass sich Metz gegen die unter hellenistischem Einfluss erfolgte „Halbierung des Christentums“ wendet, mit seiner Kritik des leidenden Gottes aber dem Apathie-Axiom der griechischen Philosophie verhaftet bleibt. So stellt sich die Frage, ob eine trinitarische Kreuzestheologie tatsächlich zur Stilllegung der Theodizeefrage führen muss, wenn dabei der von Metz mit Recht eingeforderte biblische Monotheismus im Auge behalten wird.

Auch ist nicht erkennbar, wie in der von Metz skizzierten theodizee-empfindlichen Christologie die Auferweckung des Gekreuzigten anders als eine Verheißung zur Geltung gebracht werden könnte; die Auferweckung des geschundenen Leibes Christi vermag den Leidenden ja nur deshalb Hoffnung zu geben, weil sie eine geschichtliche Rettungstat ist, die Vernichtung des Todes durch Gott am Ostermorgen. Die von Metz angedeuteten Perspektiven einer „nach Auschwitz“ geschuldeten Christologie lassen trotz einiger Hinweise (Rückübersetzung in die befreiende und gefährliche Erinnerung der Kirche und die biblischen Nachfolgegschichten) auch nicht erkennen, wie eine hermeneutische Aneignung der christologischen Lehrüberlieferung, an der Metz festhalten möchte (373: 756.760), auszusehen hätte (Tück/90: 155–219).

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