Читать книгу 70 Tage Pandemie - Hendrike Piper - Страница 26
ОглавлениеTag 18
Heute lese ich in der Zeitung (wieso ich mich mit dieser gleichgeschalteten Schundlektüre jeden Tag selbst kasteie, weiß ich eigentlich auch nicht. Vermutlich liegt es einfach daran, dass hier sonst nichts passiert: Draußen ist tote Hose, die Straßen meist menschenleer, treffen darf man ja eh keinen und wenn man telefoniert, hat man sich nichts zu erzählen, weil keiner etwas erlebt. Und die sich in den Straßen aufhäufenden Leichen sind auch weiterhin ausgeblieben, nicht mal einen kleinen Husten gibt’s…), jedenfalls lese ich in der Zeitung, dass unser schönes Ausflugslokal vom letzten Wochenende auf Grund des Hinweises eines aufmerksamen Lesers vom Ordnungsamt geschlossen wurde. PETZE! Wie kann man nur? Auf Seite 3 erfahre ich dann, wieso diese und ähnliche Verhaltensweisen keine Denunziation sind. Und zwar beinhalte der Begriff der Denunziation das Zugrundeliegen „niederer Motive“. Da die braven Mitbürger, die meine Schwägerin und das Ausflugslokal verpfiffen haben, aber selbstverständlich aus rechtschaffender Wohlanständigkeit gehandelt haben, ist die Verwendung solcher Begriffe natürlich völlig überzogen. Ich erinnere mich, dass es vor 85 Jahren schon einmal ein Volk voller rechtschaffender Bürger gab – und mir wird ziemlich schlecht.
Wenige Seiten später trifft die moralinsaure Empörung der tugendhaften Bürger bereits ihr nächstes Ziel: Den Sündenpfuhl der feiernden Skifahrer in Uschpl. Für diesen bekannten Skiort sehr ungünstigerweise ließen sich einige Infektionen hierzulande (vor allem hier im Süden) auf dort zurückzuführen. Natürlich ist sich unsere hochgeschätzte Tageszeitung nicht zu schade, angesichts dieses Skandals 1. ein „Ballermann im Schnee“-ähnliches „Party und Sauf – Bild“ aus den Archiven zu holen, abzudrucken und 2. es dann noch mit „Schlimme Bilder aus Uschpl“ zu untertiteln. Wie praktisch, dass es mit den feiernden Skifahrern direkt zwei beneidete und daher suspekte Gruppen in Personalunion trifft: Menschen, die sich zum einen so einen Urlaub leisten können (oder es einfach tun!) - während wir hier vernünftigerweise unsere Raten fürs Eigenheim abstottern und uns solche Extravaganzen nicht gönnen, wo kämen wir denn da hin?! Und zum anderen feiern die auch noch in ausgelassener und völlig unbeherrschter Weise, was sich das brave Bürgerlein ja nicht trauen kann, weil es viel zu peinlich ist. Und überhaupt, was sollen die Nachbarn denken? Ja, wie praktisch, dass Rocona und die Meinungsmache der hiesigen Zeitung einem jetzt mal so einen richtig guten und richtig richtigen Grund gibt, über diese Menschen vom Leder zu ziehen!
Mal ehrlich: soll ich mir diesen schlechten Trip wirklich noch 52 Tage lang geben?